Alois Huber

Der Stadtrat in Passau


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besinnen und die Tagung endlich in Gang bringen.

      Die ersten Verhandlungspunkte betrafen allerdings Lappalien, die nur der Form halber zur Aussprache gestellt wurden. Sie wurden reibungslos erledigt. Dann aber kam es.

      „Als Punkt fünf steht auf der Tagesordnung der Antrag der Ratsherren Kälberer und Gutbrot betreffend Verlegung des Carossa - Denkmals. Der Antrag liegt allen Ratsherren im Wortlaut vor und dürfte zudem der gesamten Einwohnerschaft hinreichend bekannt sein“, erklärte der Oberbürgermeister, jetzt wieder im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und daher verhalten lächelnd. „Das Wort hat zunächst Ratsherr Anton Kälberer.“

      Der Vertreter der Passauer Neuen Presse hielt drei gespitzte Bleistifte, einen Block und sein Laptop bereit. Er war sicher, dass jetzt die Sensation, von der sein Blättchen so gut gezehrt hatte, aufgefrischt werden würde. Auch auf der Zuschauertribüne schärften alle Augen und Ohren. Und selbst im Plenum schien trotz der stickigen Atmosphäre und einschläfernden Ruhe eine gewisse Gespanntheit Platz zu greifen.

      Doch Anton Kälberer war kein Mann von vielen Worten. Wenn er in seinem Schlachthaus einem Ochsen das Lebenslicht ausblasen musste, sagte er nur: „Na denn, halt mal stille!“, und schon ließ er den tödlichen Bolzen knallen. So ähnlich glaubte er’s auch hier mit seinen Ratskollegen machen zu können.

      Wuchtigen Schrittes bestieg er das Rednerpodium. Aber kaum stand er da oben im Angesicht eines erwartungsvollen Auditoriums, da presste ihm eine jämmerliche Befangenheit fast die Kehle zu. Mit tremolierender kleiner Stimme, die so gar nicht zu seiner martialischen Gestalt passte, sagte er endlich:

      „Tja, meine Herren – tja, mein Nachbar Josef Gutbrot und meine Wenigkeit, wir haben also den Antrag gestellt, das olle Denkmal auf dem Residenzplatz wegzuschaffen. Wir wollen damit keinen Bürger kränken. Wir sind ja schließlich Geschäftsleute. Aber als Anlieger des Residenzplatzes kennen wir besser als jeder andere die dortige Verkehrslage. Und die ist nun einmal zwingend. Deshalb meinen wir, dass eine Verlegung des Denkmals doch halb so schlimm wäre und dass der Rat der Stadt wohl damit einverstanden sein könnte. Tja – das ist eigentlich alles, was ich dazu zu sagen hätte.“

      Er machte eine Pause, in der er hörbar aufatmete. Dann fügte er hinzu: „Aus den Leserbriefen in der Zeitung kennt ja wohl jedermann das Für und Wider. Ich für meinen Teil meine, es ist nicht zu viel verlangt, wenn wir auf dem Residenzplatz reine Bahn schaffen. Tja – und das möchte ich noch betonen: die Leserbriefe im PNP haben wir nicht geschrieben, weder Josef Gutbrot noch meine Wenigkeit. Das war die Stimme des Volkes. Aber wir schließen uns dieser Stimme an und rechnen mit einem vernünftigen Beschluss. Und der kann doch nur im Sinne unsere Antrages ausfallen.“

      Punktum!

      Wuchtig, wie er gekommen war, schritt Anton Kälberer wieder zu seinem Platz zurück. Dann herrschte eine Weile Tempelstille. Man hatte ein ganz anderes Auftreten des Antragstellers erwartet, eine ausgiebige und wohlfundierte Begründung seines Verlangens. Dazu Zwischenrufe, Beifalls – oder Missfallenskundgebungen und dergleichen mehr. Doch nichts von alledem war geschehen. Der Metzgermeister Kälberer hatte den Saal auf der ganzen Linie enttäuscht. Er war und blieb nun einmal der Mann, der nicht viele Worte machte, weil er mit Worten nicht eben sicher umgehen konnte.

      Und nun - ?

      „Ich stelle den Antrag zur Debatte“, sagte der Oberbürgermeister und sah im gleichen Augenblick hinten rechts einen Arm hochgehen. „Aha! Das Wort hat Ratsherr Horst Buschinski.“

      Ein Raunen ging durch den Raum, als der Namen des Keksfabrikanten fiel. Doch Buschinski eilte schon selbstbewusst und beschwingten Schrittes zum Rednerpult. Ha, wie anders wirkte er schon mit diesem Auftritt. Der feierliche Anzug, die große Hornbrille mit den funkelnden Gläsern, die forsche Stimme! Und nun gar die wohlakzentuierte Rede, der man die fleißige Einstudierung nach wenigen Sätzen anmerkte!

      „Meine Herren! Sie haben soeben vernommen, was die Antragsteller von uns Vertretern der Einwohnerschaft verlangen“, rief er dem aufhorchenden Plenum zu. „Sie waren Zeuge einer Attacke gegen das einzige Denkmal, das die dankbare Nachwelt unserem unvergesslichen Hans Carossa gewidmet hat. Das Denkmal hat über ein halbes Jahrhundert lang sowohl dem Andenken des Dichters als auch zur Zierde des Residenzplatzes gedient. Niemals ist es in der langen Zeit jemanden eingefallen, Anstoß daran zu nehmen; es sei denn, er wäre ein verkappter Anarchist gewesen. Umso erschütternder war für uns deshalb die Diffamierung des Dichters wie des Denkmals, die vor einiger Zeit in der Presse meuchlings vom Zaun gebrochen wurde.

      Meine geehrten Damen und Herren, Sie haben sich vielleicht über die Schärfe des Tons gewundert, mit der wir Freunde Hans Carossas auf die ominösen Leserbriefe antworteten. Aber wir wurden dazu herausgefordert. Und wir wollten gleich den Anfängen wehren um rechtzeitig etwaigen Gefahren vorzubeugen. Es hat leider nichts genutzt. Dass wir jedoch recht taten, ja, noch viel entschiedener hätten reagieren müssen, beweist nur der vorliegende Antrag…“

      Schnell und sicher hatte Horst Buschinski gesprochen. Nun hielt er kurz inne, um sich ein paar Atemzüge lang zu verschnaufen. Dabei stellte er fest, dass die Stadtväter, die allerdings zumeist nur über die Härte der Erwiderung staunten, gebannt lauschten. Auf vielen Gesichtern las er Neugier oder sogar Schmunzeln. Nur Kälberer und Gutbrot verzogen keine Miene.

      „Es wird in diesem Antrag von uns der Beschluss verlangt, das Denkmal zu verlegen“, setzte er seine Rede dann unbeirrt fort. „Gut; aber warum, so fragen wir, warum soll das Denkmal vom Residenzplatz verschwinden?“

      Er lachte spöttisch und fuchtelte mit dem Zeigefinger.

      „Warum also? Weil es in unserer Stadt Autobesitzer gibt, die zu bequem sind, um bei der Fahrt über den Residenzplatz einen Bogen um das Denkmal zu schlagen – einen Bogen, meine Herren, der vielleicht zehn Sekunden Zeit kostet und ein bisschen Vorsicht erfordert. Und weil außerdem die Antragsteller nicht gerade im Schnellzugtempo durch ihre Torwege ein – und ausfahren können!

      Das allein sind die Gründe, die wir aus den Leserbriegen kennen, die aber Herr Kälberer hier vor dem Plenum nur andeutungsweise zu nennen wagte. Höchst persönliche Gründe einiger weniger unwichtiger Zeitgenossen also! Sind die aber stichhaltig, um das Denkmal zu einem gefährlichen Verkehrshindernis zu stempeln? Und sind sie gewichtig genug, um die Kosten zu rechtfertigen, die eine Verlegung verursachen würde?“

      Er hielt wieder inne, als warte er darauf, dass ihm ein vielstimmiges Nein entgegenschalle. Doch es blieb still. Die Ratsherren saßen jetzt starr vor Staunen. Was für ein Sturmlauf gegen die sanften, beinah kläglichen Worte Meister Kälberers!

      Merkte denn Buschinski gar nicht, dass er wiederum viel zu grobe Geschütze auffuhr? Bewahre! Er wollte seinen Triumph haben. Zudem hatte er seine liebe Not mit dem Schweiß, der ihm aus allen Poren brach. Immerhin hob er kurz die Augen zum Zuschauerrang empor. Dr. Weißnicht sah er, der ihm, an der Brüstung stehend, mit einer stummen Geste Beifall zollte. Aber schon drängte in ihm der Redefluss nach Fortsetzung.

      „Nun“, hub er wieder an, „das eine wie das andere ist entschieden zu verneinen. Zu verneinen sind aber auch die Vorschläge, die man in Bezug auf den neuen Platz des Denkmals machen zu können glaubte. Hans Carossa an den Karolinenplatz verlegen? Ein Unsinn, meine Herren, ja, ein übler Witz, über den man nur den Kopf schütteln kann!

      Ach nein, was hier verlangt wird, ist wirklich zu viel! Die Antragsteller haben offenbar genau so wenig wie der Anonymus in der Zeitung gewusst, welche Dummheit – um nicht zu sagen: welche Infamie – sie begingen. Sie sind überhaupt nicht in der Lage, die überragende Bedeutung Hans Carossas zu ermessen oder auch nur die einfache Wahrheit zu begreifen, dass ein Denkmal nur vor seinem ehemaligen Wohnhaus stehen kann und nirgends sonst!

      Wir Freunde des verewigten Dichter, die wir uns zur Aufgabe gemacht haben, sein Erbe und Andenken zu wahren und zu fördern, können den Antrag daher nur als völlig undiskutabel bezeichnen. Wir wehren uns jedenfalls bis zum Äußersten gegen das schändliche Verlangen!“

      Und jetzt hob er nicht nur die Stimme, sondern auch die Fäuste, um sie, wie daheim vor dem Spiegel, beschwörend auf seinen Brustkasten zu trommeln: „Wir stellen uns, wenn es sein muss, mit unseren Leibern schützend vor