Birgit Henriette Lutherer

Uppers End


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hatte mir erklärt, der Schatten würde mich diesmal nur belasten. Ich sei ja schon genug bepackt mit den zwei Aufgaben. Da würden die positiven Aspekte meines Archetyps, die gute Fee, der Kraftstrotzende und die hilfreiche Gönnerin vollkommen ausreichen. Das leuchtete mir ein.“

      „Das kann ich nachvollziehen“, pflichtete Fridolin Linda bei.

      „Tomasin wünschte mir eine gute Reise und entließ mich zum Startpunkt. Dort nahmst du mich in Empfang, Fridolin.“

      „Ja, ich erinnere mich. Wir mussten noch eine Weile warten, weil auf der Erde noch nicht alles bereit war. Du standst gar nicht auf dem Plan bei den Leuten, zu denen du gehen solltest. Da musste die Notfall-Crew ausnahmsweise mal konstruktiv im Vorfeld arbeiten.“

      „Stimmt!“, lachte Linda. Meine Güte, was war das für ein Gehampel. Ich durfte zwar nichts vor meiner Reise wissen, damit ich unbeeinflusst arbeiten konnte, doch ein bisschen was konnte ich doch von unserem Startpunkt aus erhaschen. Es drang so was wie Situations-Fetzen zu mir hinüber. Herrjemine, ´was für eine seltsame Mischpoke´, dachte ich. Das sollte also meine Familie sein.“

      „Nun erzähl schon Linda! Wie ging´s los?“ Gisela war ganz gespannt auf die Geschichte von Linda. Nur zu gerne hörte sie über Missstände in anderen Familien. Wenn´s dort schlecht herging, dann konnte sie sich so herrlich selber betuppen und sich vormachen, bei ihr sei alles in Ordnung.

      „Erhard und Hannah“, begann Linda, „sollten meine Eltern sein. Sie waren schon seit acht Jahren verheiratet. Es war eine große Liebe zwischen den beiden. Sie hatten schon zwei Kinder: Ute und Hans. Damit sollte eigentlich für sie die Familie komplett sein. Ute war zum Zeitpunkt meines Reisebeginns fünf Jahre alt und Hans beinahe vier. Im Grunde genommen ging es der kleinen Familie gut – wären da nicht immer wieder finanzielle Engpässe gewesen, die ihr Leben beeinträchtigten. Zum Glück wohnten ganz in der Nähe Heinrich und Martha, Erhards Eltern. Sie unterstützten die kleine Familie hin und wieder mit Geldgeschenken, damit sie keinen Hunger leiden müssten. Schließlich kannten sie den Mangel aus eigener Erfahrung. Gerade erst vor wenigen Jahren, waren sie wegen eines großen Krieges mit wenigen Habseligkeiten und sonst nichts als ihrer Kleidung auf dem Leib aus ihrer Heimat vertrieben worden. Aber auch dort, wo sie ein neues Zuhause gefunden hatten, hatte der Krieg gewütet und seine Spuren hinterlassen. Vieles war zerstört worden, Ernten vernichtet, sodass die Nahrung knapp war. Es gab für jeden gerade mal genug, um noch gerade so am Leben zu bleiben. Kurz und gut: Heinrich und Martha wussten, was Hunger war und was es bedeutet, ein Kind im Mangel ausreichend zu versorgen, damit es überleben konnte.“

      „Diese Sachen sind bekannt Linda. Ich glaube jeder der Anwesenden hier hat Erfahrungen aus dem großen Krieg mitgebracht – abgesehen von Max, der ja gerade erst beginnt Erfahrungen zu sammeln. Wie ging es dann weiter?“, wollte Upper wissen. Er brannte auf Lindas Bericht. Als Bibo hatte er zwar umfassendes Wissen und Einfluss auf seine Seins am Ort der Zeit ohne Zeit, doch für die Dauer des Aufenthalts seiner Forschungs-Seins auf der Erde galt das nur bedingt. Dort hatte Fridolin überwiegend die Kontrolle über sie. Deshalb konnte Upper die Berichte der Zurückkehrenden kaum erwarten. Vor allem der Bericht von Linda interessierte ihn sehr. Sie war schließlich in seinem speziellen Auftrag unterwegs gewesen, um Erkenntnis über das Geschehen zu erlangen.

      „Irgendwann konnten Fridolin und ich uns auf die Reise machen. Ich fühlte mich gut gerüstet und voller Quod. Ich war neugierig auf das, was ich antreffen würde. Ich erinnere mich: Für einen kurzen Moment durchzuckte mich plötzlich etwas - so was wie ein Stromschlag – und dann fand ich mich im Dunklen wieder. Nicht, dass mich das geängstigt hätte, es war nur auf einmal überraschend dunkel um mich herum. Dennoch fühlte es sich gut an, warm und wohlig. Ich hatte das Gefühl als würde ich in einer kleinen Kugel sanft durch einen Kanal treiben und bald darauf an einer weichen Wand andocken. Diese Wand schien mich in sich aufzunehmen. Gleichzeitig bemerkte ich, wie ich mich zu vervielfältigen begann. Meine Kugel teilte sich fortwährend. Alles waren Teile von mir, die sich da bildeten. Ich spürte auch, wie ich über eine Leitung mit der weichen Wand, die nun auch deutlich größer war als zu Beginn, verbunden war und mit Quod und anderen nährenden Stoffen versorgt wurde. So bildeten sich immer mehr Teile meines Körpers aus. Ich muss sagen, mir ging es ziemlich gut. Ich fühlte mich wohl, dort wo ich war. Irgendwann bemerkte ich, dass sich an meiner rechten und linken Seite Ärmchen und Händchen entwickelten. Unten traten Beinchen und Füßchen aus meinem Körper heraus. Auch hatte ich auf einmal einen Kopf mit Nase, Ohren, Mund und Augen. Ich öffnete irgendwann mutig meine Augen und entdeckte als erstes meine Hände. Ich begriff sofort, dass sie zu mir gehörten, denn ich konnte sie durch meine Gedanken steuern. Ich dachte: ´Was ist das? Dreh´ dich mal, damit ich auch die andere Seite sehen kann´, und Schwupps gehorchte mir die Hand und drehte sich, so dass ich ihre Außenansicht betrachten konnte. Was war das für ein herrliches Spiel! Es machte echt Spaß! Natürlich probierte ich das auch mit meinen Beinen aus – das klappte zunächst nicht ganz so gut, weil ich sie angezogen hielt, dicht an meinem Bauch herangezogen. Neugierig schaute ich mich weiter um. Ich entdeckte einen Schlauch, der an der Wand meines Zuhauses befestigt war. Bei näherer Betrachtung erkannte ich, dass dieser Schlauch mit mir verbunden war. Er mündete in meinem Bauch. In dem Schlauch war richtig was los: einerseits floss durch den Schlauch von der Wand aus etwas in mich hinein, andererseits, wurden aus mir Dinge abtransportiert, die ich nicht mehr gebrauchen konnte. Das, so schloss ich messerscharf, musste wohl die Versorgungsleitung sein. Das war ja prima! Ich musste nichts tun, außer zu wachsen und zu spielen.“

      „Es war eine Freude, dich dabei beobachten zu dürfen“, schwärmte Fridolin. „Du hast wirklich viel gespielt und ausprobiert. Ein gutes Training, das du sehr bald brauchen konntest.“

      „Stimmt! Das Drehen und Wenden und sogar Purzelbäume schlagen machte mir besonders viel Spaß. Das ging wie von selbst. Sicher gehalten von meiner Versorgungsleine, getragen von dem Wasser, in dem ich lebte, drehte ich Saltos noch und nöcher. Ich machte noch eine weitere fantastische Entdeckung: mit meinen Ohren konnte ich Geräusche wahrnehmen. Das erste, was ich hörte, war ein Gluckern und Glucksen. Wie sich später herausstellte waren das Geräusche aus Hannahs Bauch, in dem ich heranwuchs. Eines Tages vernahm ich seltsame Geräusche. Es waren Stimmen von außerhalb. `Aha`, dachte ich, ´hinter meiner Behausung und Hannahs Bauch, gibt es noch mehr`. Meine Neugier war geweckt. Ich trainierte ständig meine Ohren, weil ich noch mehr von da draußen hören wollte. Doch was ich dann eines Tages verstand, gefiel mir so gar nicht. Hannah hatte wohl von meiner Existenz erfahren. Komisch, bis zu diesem Zeitpunkt war ich ganz fest davon überzeugt gewesen, dass Hannah wusste, dass ich in ihr war. Das überraschte mich sehr. Ich konnte fühlen, wie verängstigt und erschrocken sie war. Sie fühlte sich schlecht, das bekam ich mit. Denn wenn Hannah sich nicht gut fühlte, fühlte ich mich auch nicht gut. Ob das an der Versorgungsschnur lag, die uns verband? Seltsam war das. Nun lebte ich schon, nach Erdenzeitrechnung, vier Monate unbemerkt in ihrem Bauch, aber erst jetzt entdeckte sie mich. Ich fühlte, es muss schlimm für sie gewesen sein. Meine Enttäuschung war riesig. Als ich meine Reise antrat, wusste ich zwar, dass ich in eine „schräge“ Familie gehen sollte, doch mit solcher Ablehnung von Beginn an hatte ich nicht gerechnet. Wenig später sah ich mich in einen gigantischen Streit verwickelt. Hannah, Erhard, Martha und Heinrich beschimpften sich aufs übelste.“

      „Das hast du kleiner Wurm damals alles mitgekriegt?“, fragte Hannah ungläubig. „Wenn ich das gewusst hätte…! Linda, es tut mir leid.“

      „Verdammt noch mal Leute, ich hab´ euch gesagt, ihr sollt Ruhe bewahren. Ich wusste, das ist nicht gut“, rief Erhard allen ins Gedächtnis.

      Die damaligen Streithähne guckten sich empört, aber dennoch schuldbewusst an.

      „Leute, fangt nicht schon wieder an! Ich hab´s doch überlebt! Ich habe keine Lust, schon wieder euren Streitereien ausgesetzt zu sein. Upper tu was!“, rief Linda. Doch Upper zuckte nur gleichgültig mit seinen Schultern.

      „Ja leider hat der kleine Bastard das überlebt“, murmelte Martha vor sich hin. Zum Glück hatte niemand das gehört. Wahrscheinlich wäre sonst die Hölle losgebrochen.

      „Linda, erinnerst du dich, worüber der Streit ging?“ Upper war interessiert an jedem Detail von Lindas