Birgit Henriette Lutherer

Uppers End


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Erhard und Hannah vorausgegangen. Hannah hatte Erhard erzählt, dass sie schwanger sei, worauf er, wie ich meine mitbekommen zu haben, sehr zerknirscht auf die Botschaft reagierte. Ich spürte deutlich Hannahs Traurigkeit und Verzweiflung. Ihre Gefühle trafen mich so sehr, dass ich die Lust an meinem täglichen Training verlor. Ich verhielt mich ganz still. Hannah sollte wegen mir nicht noch trauriger werden. Nachdem sich ihr Streit gelegt hatte, brachen die zwei auf, um Heinrich und Martha von mir zu erzählen. So viel ich mitbekam sagte Heinrich erst nichts dazu, wohingegen Martha Hannah sofort wie eine Furie anging. Sie schimpfte rum und machte Hannah irgendwelche Vorwürfe von denen ich nichts verstand. Hannah hingegen setzte sich zur Wehr und beschuldigte Martha wegen irgendwelcher Dinge. Jedenfalls gipfelte der Streit darin, dass Martha Hannah und Erhard anschrie: `Das eine sage ich euch: Das ist nicht mein Enkelkind! Das erkenne ich nicht an! ´ Dann vernahm ich Heinrichs Stimme: `Da kannst du dich auf´ n Kopp stellen, Martha. Und ob! Und ich kaufe den Kinderwagen, damit du´s weißt!“ Dann knallten Türen. Der Streit war vorbei. Erhard und Hannah gingen wieder nach Hause.“

      „Linda, das muss schrecklich für dich gewesen sein.“

      „Ja Upper, das war es auch. Doch es wurde noch schlimmer: Es muss so einige Tage später gewesen sein – ich weiß nicht mehr genau, jedenfalls hatte ich mich wieder beruhigt, spielte und trainierte in meiner Behausung wie zuvor – da klingelte es an der Wohnungstüre. Hannah öffnete. Martha stand vor ihr. Sie hatte einen Topf mit Suppe dabei, den sie Hannah bringen wollte. Hannah ließ Martha rein. Die beiden sprachen diesmal ganz normal miteinander. Martha sogar sehr versöhnlich. Unterdessen spielte ich voller Freude vor mich hin. Auf einmal fühlte ich, dass wieder etwas nicht in Ordnung war. Hannah ging es schlecht. In ihr verkrampfte sich alles. Sogar meine gemütliche Behausung wurde erschüttert. Da wurde ich neugierig. Was ging da vor sich? Ich belauschte ihr Gespräch: `Das ist ganz einfach´, hörte ich Martha sagen, ´ bei uns aufm Dorf haben das die Weiber immer gemacht, wenn sie nicht wollten. Ich hab´s selber getan und anderen auch dabei geholfen. Ich weiß genau, wie´s geht. Ich helfe dir auch Hannah. Wirst sehen, ruckzuck ist die Sache vorbei und vergessen. Haste mal ´ne Stricknadel?“

      „Wie kannst du nur Martha! Was denkst du von mir! Pfui Teufel! So was tue ich nicht. Das ist Sünde. Scher dich raus!“

      „Wenn ´de nicht willst? Dann eben nicht! Wirst schon sehen was du davon hast. Aber komm mir später ja nicht angejammert, verstehste? Von mir kannste keine Hilfe erwarten, du dumme Gans!“

      Ich hörte wie die Wohnungstüre geöffnet wurde und wieder ins Schloss fiel. Martha war gegangen. Zurück blieben eine verzweifelte Hannah und ich. Aber da es jetzt wieder ruhig war, beschäftigte mich der Vorfall nicht lange und ich spielte munter weiter. Tags darauf geschah jedoch etwas Schauerliches. Hannah war derart verzweifelt und fühlte sich mit mir von allen alleingelassen, dass sie nun doch handeln wollte. Ich hatte zuvor mitbekommen, wie sich Hannah in der Nacht in ihrem Bett unruhig herumgewälzt hatte und nicht schlafen konnte. Sie quälte sich mit irgendwelchen Gedanken herum. Nun fühlte ich, wie sie zwar ängstlich aber dennoch entschlossen war. Ich hatte keine Ahnung was folgen sollte. Unbekümmert spielte ich an diesem Tag, wie jeden Tag herum, trainierte und entwickelte mich wie vorgesehen. Plötzlich wurde mein Spiel jäh unterbrochen. Ich spürte wieder die Verkrampfung in Hannahs Bauch. Diesmal steigerte sie sich noch. Zum ersten Mal verspürte ich Angst. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Instinktiv verhielt ich mich ganz still. Regungslos verharrte ich in meiner sicheren Behausung und horchte nur. Ich wusste ja, hier war ich gut aufgehoben. Hier konnte mir nichts geschehen – so war ich mir bis dahin sicher. Doch ich sollte eines Besseren belehrt werden: Auf einmal verkrampfte sich Hannahs Körper wieder. Ich konnte sehen, wie etwas Spitzes, Langes auf mich zu glitt. Wo kam das denn her? Wie aus dem Nichts tauchte es auf. Es muss wohl von unten, unterhalb meiner Füße eingedrungen sein. Egal woher, es kam immer näher und stocherte nach mir. Simm – fuhr es zwischen meiner Versorgungsleitung und meinem Körper vorbei. Dann zog es sich wieder zurück. Simm – erneut steuerte es direkt auf mich zu. Beinahe hätte es meinen Rücken getroffen. In Panik ergriff ich meine Leine und zog mich hinauf an meine gepolsterte Wand. Ich drückte mich eng an sie an. Dann wieder: Simm – schoss das Ding an mir vorbei und traf diesmal die Wand, drang ein, zog sich alsbald wieder zurück. Das Ding hatte wohl seinen Auftrag erfüllt, denn nun gab es Ruhe. Ich sah, wie Blut an mir vorbeitropfte und unten hinausfloss. Es stammte aus der Verletzung meiner Behausung. Bald versiegte es wieder. Die Wunde schloss sich rasch.“

      „Ich muss gestehen, ich habe da etwas nachgeholfen“, gestand Fridolin. „Deine Zeit war nach meiner Berechnung noch lange nicht abgelaufen. Deshalb musste ich was tun. Ein Tröpfchen Quod wirkte da Wunder. Ich wusste, nicht nur deine Behausung musste intakt sein, auch du brauchtest Kraft von außen. Hannah hatte nicht mehr genug, um dich zu versorgen. Durch das ganze Drumherum hatte sie beinahe alle Reserven verbraucht. Deshalb gab ich dir durch ein Quäntchen Quod die nötige Kraft der Stricknadel auszuweichen und mit einem weiteren Tröpfchen Quod die Verletzung, die durch die Stricknadel in der Wand deiner Behausung entstanden war, zu verschließen. Zum Schluss träufelte ich dir noch ein wenig zusätzliches Quod ein.“

      „Danke Fridolin. Das war echt nett von dir. Ich brauchte tatsächlich nach der Attacke eine Menge Kraft, denn ich traute mich nicht mehr meine Existenz zu zeigen. Ich war von den Geschehnissen noch so unter Schock, dass ich mich an meiner Versorgungsleitung festhielt und starr an der sicheren, weichen Wand verharrte. Ich verbrachte meine weitere Zeit im Bauch von Hannah sozusagen in Schockstarre. Niemand sollte mich bemerken, damit ich nicht noch einmal in Gefahr geriet. Mein Plan ging auf. Ich war so gut im Verstecken, dass ich quasi unsichtbar war. Selbst Hannah dachte, ich sei nicht mehr da. Die Welt der Familie schien wieder in Ordnung zu sein. Viel später entnahm ich aus Erzählungen, dass alle, die Hannah nach meiner Geburt mit mir im Kinderwagen sahen, verwundert fragten, ob ich ihr Kind sei. Sie hätten gar nicht bemerkt, dass sie schwanger gewesen wäre. Tatsächlich war es auch meiner Mutter Hannah ein Rätsel. Sie war während der gesamten Zeit ihrer Schwangerschaft über spindeldürr gewesen. Nicht einmal der Ansatz eines Bauchs war bei ihr zu sehen gewesen. Hannah fragte sich selber, wo ich gesteckt hatte. Lange Zeit hatte sie geglaubt, ihr Abtreibungsversuch wäre damals geglückt. Die sofort einsetzende Blutung und die starken Unterleibsschmerzen dienten ihr als Beweis. Hannah war sich sicher es hätte geklappt und sie wäre mich los. Ich verhielt mich aber auch die ganze Zeit über mucksmäuschenstill. Ich traute mich nicht einmal meine Zunge im Mund zu bewegen vor lauter Angst entdeckt zu werden. Dabei wollte ich das, wie so vieles andere auch, so gerne ausprobieren. Es half nichts – das Risiko entdeckt zu werden war mir viel zu hoch. Ich verharrte stoisch an meiner Wand. Dann, eines Tages, verließ mich die Kraft. Mittlerweile war ich um einiges größer geworden. In meiner Behausung war nun viel weniger Platz. Es wurde zusehends schwerer für mich, mich an meiner Versorgungsleine festzuhalten. Irgendwann konnte ich es nicht mehr. Meine Finger glitten von der Sicherheit gebenden Leine ab. Ich sank zum Boden hinunter. Wie von einer wundersamen Energie sanft an geschubst, drehte ich mich dabei ganz langsam. Letztendlich kam ich im Kopfstand am Boden meiner Behausung zum Stillstand. Irgendwie muss ich mit meinem Kopf einen Auslöser gedrückt haben, denn nun begann sich langsam unter meinem Kopf ein Tor zu öffnen.“

      „Das hast du gut beobachtet Linda. So war das“, bestätigte Fridolin. „Ich war die ganze Zeit über bei dir und konnte alles gut beobachten.“

      „Ach so? Und warum hast du mir nicht aus meiner misslichen Lage herausgeholfen, hmm?!“

      „Das kann ich dir sagen Linda: Ich durfte nicht. Das überschritt meine Kompetenzen. Ich darf nur eingreifen, wenn es an der Zeit ist nach Hause zu gehen. Und das war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt. Ich kannte deinen Zeitplan, meine Liebe. Ich hatte dir ausreichend Quod gegeben, damit du die Zeit überstehst bis du soweit bist das Licht der Welt zu erblicken. Zugegeben, es war etwas früh, genau gesagt fünf Wochen zu früh, aber auch das gehörte zum Plan. Weißt du nicht mehr? Wir hatten uns doch über deine Reiseausrüstung unterhalten. Als du dich entschlossen hattest den Rest deiner Zeit in Hannahs Bauch an der Wand zu kauern, fragte ich dich noch mal nach deinem Equipment, bevor ich mich wieder in den Hintergrund begeben musste. Da sagtest du mir, du hättest alles dabei, außer deinem Schatten. Das hätte Tomasin dir geraten. Ich riet dir allerdings, deinen Schatten nachträglich zu bestellen. Du wolltest es dir überlegen. Damit ließ ich es bewenden. Ich verabschiedete mich von