Birgit Henriette Lutherer

Uppers End


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immer funktioniert. Ich kann doch nicht ahnen, dass du dich so dumm anstellst, du ungeschicktes Ding! Na ja, jetzt ist das Balg halt da. Ob du willst oder nicht, ich sag es dir trotzdem. Sollst später nicht behaupten können, ich hätte tatenlos zugesehen und nichts gemacht, damit die kleine durchkommt. Also hör gut zu: Wir haben die kleinen Dinger wie Hefeteig behandelt. Der muss auch größer werden und aufgehen, damit was draus wird. Und was macht man mit Hefeteig Hannah?“

      „Man lässt ihn an einem warmen Platz gehen?“

      „Ja, genau! Ist ja doch noch nicht alles verloren mit dir meine liebe Schwiegertochter. Da wir jetzt gerade Winter haben, gibt es natürlich nicht so viele geeignete warme Plätze. Da kommt nur der Backofen in Frage.“

      „Moment Mal Martha, willst du mir etwa sagen, ihr habt die Kleinen in den Backofen gelegt?“

      „Richtig! Da bekamen sie Bruttemperatur und gediehen. Ich mach dir einen Vorschlag Hannah: Ich habe eben ein Blech Butterkuchen gebacken. Der Backofen ist noch schön warm. Ich nehme Linda gleich mit zu mir rüber.“

      „Das ist doch krank! Finger weg von meiner Linda! Die kriegst du nicht!“ Hannah fauchte Martha panisch an.

      „Na, na, jetzt stell dich nicht so an! Ich werde dem kleinen Teufelsbraten schon nichts antun. Du tust gerade so, als würde ich, wie die Hexe im Märchen, kleine Kinder braten und dann essen. Ist doch sowieso nichts dran an dem mickrigen Ding.“

      Tatsächlich hatte Hannah dieses Bild im Kopf. Sie traute Martha nicht über den Weg. Allerdings, wenn sie es sich recht überlegte, war die Sache mit dem warmen Platz im Backofen gar nicht so verkehrt, jedoch bestimmt nicht mit Martha.

      „Linda bleibt hier und damit basta!“, sagte Hannah barsch.

      „Schon gut – wenn´ de nicht willst?! Dann geh ich mit Ute und Hans eben rüber zu uns.“ Die Kinder zogen artig ihre Schuhe und Mäntelchen an und folgten ihrer Oma. Einerseits freuten sie sich, denn Oma backte immer so leckeren Kuchen und außerdem durften sie bei Martha das, was sie Zuhause nur selten durften: Limonade trinken und Zuckerwürfel naschen. Andererseits waren sie eifersüchtig auf Linda, weil sie bei ihrer Mutter bleiben durfte und sie sie nun ganz alleine für sich hatte. Ich glaube, die beiden waren ganz schön eifersüchtig auf mich. Ute hasste mich sogar. Das sagte sie auch unverhohlen. In ihren Augen war ich dafür verantwortlich, dass ihre Mutter nach meiner Geburt noch so lange im Krankenhaus bleiben musste. Nun ja, so ganz unrecht hatte sie damit nicht, aber hatte ich das mit Absicht getan? Bestimmt nicht! Genauso wenig war ich dafür verantwortlich, dass unsere Mutter noch sehr viel Zeit brauchte, bis sie wieder vollkommen zu Kräften gekommen war. Mir ging es da ganz ähnlich. Ich brauchte auch viel Zeit dafür. Das kümmerte Ute aber nicht. Ich war ihr egal. Ich war schließlich nur ein Störfaktor, der die Unverschämtheit besessen hatte, plötzlich da zu sein und Anspruch auf ihre Mutter erhob. Eine Frechheit war das! Okay, ich kann auch das sogar ein Stück weit verstehen, denn bis zu meiner Geburt wusste ja keiner von meiner Existenz. Hannah glaubte, sie hätte mich damals weggemacht, Erhard und seine Eltern waren froh, dass sich die Sache von selbst geregelt hatte und meine Geschwister wussten sowieso nichts von dem ganzen Vorfall – selbstverständlich hatte ihnen niemand davon erzählt. Wie es auch sei, ich war da, ob Ute das gut fand oder nicht. So war das nun mal - da konnte sie mich hassen wie sie wollte. Ute hatte andererseits nicht wirklich Grund sich zu beklagen, denn sie hatte in ihrer Oma Martha eine Ersatzmutter gefunden.

      Martha kümmerte sich rührend um Ute. Oma Martha verstand sie. Die beiden mochten sich sehr und sie mochten den kleinen Hans. Mich mochten sie allerdings beide gar nicht. Mein Bruder Hans war mir freundlicher zugetan als Ute. Er war in gewisser Weise fasziniert von mir. Als Hannah mit mir aus dem Krankenhaus kam, konnte Hans es kaum fassen: was hatte Mama denn da für eine kleine Puppe dabei? Das musste er genauer erforschen. Hans musste übrigens alles erforschen. Nichts war vor ihm sicher. Er war erst fünf Jahre alt, musste aber schon alles auseinander nehmen und erkunden, was ihm in die Finger kam. Er zerlegte Steckdosen, nahm Papas Kofferradio auseinander und machte auch vor Utes Lieblingspuppe Froni nicht halt. Einmal operierte er die Puppe mit Mamas Küchenmesser. Er schnitt ihr den Bauch auf, weil er wissen wollte, wie Froni von innen aussah. Er war erstaunt, dass nichts in ihr zu finden war. Dann forschte er weiter: was würde wohl passieren, wenn Froni auf die heiße Herdplatte fallen würde? Gedacht, getan. Genau in dem Moment, als Froni auf der Herdplatte landete, kam Ute ins Zimmer. Es zischte und qualmte auf dem Herd. Ute blieb starr vor Schreck stehen. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte sie entsetzt, wie Fronis Gesicht zu schmelzen begann. Es verformte sich durch die Hitze rasch zu einer grauenvollen Grimasse. Das Bild der dahin schmelzenden Froni verfolgte Ute noch bis ins hohe Erwachsenenalter. Ute hat Hans das nie verzeihen können.

      Es kam wie es kommen musste: Hans wollte auch mich erforschen. In den

      ersten Tagen nach meiner Ankunft in der Familie, musste Hannah mich

      immer wieder ausziehen. Hans ließ unserer Mutter keine Ruhe.

      „Herrje, hat der kleine Kerl mich damals genervt“, meldete sich Hannah. „In der ersten Zeit hat er mich täglich aufgefordert Linda aus den Tüchern und Decken, in die sie gewickelt war, auszupacken. Er wollte nachsehen, ob an ihr auch wirklich alles dran war. Er hat nicht aufgehört zu quengeln, bis ich nachgab. Erst nachdem er sie inspiziert hatte und sich überzeugen konnte, dass alle Zehen, Finger, eben alles da war wie es sich gehörte, gab er Ruhe. Das war ganz schön anstrengend für mich. Ich hatte da Linda, die ihr Fläschchen nicht trinken wollte, Hans den ich nicht aus den Augen lassen konnte, weil ich Sorge hatte, er würde wieder was anstellen und meinen Haushalt, den ich perfekt in Ordnung halten musste, weil sonst mit mir gemeckert wurde. Nur Ute war brav. Sie machte mir keinen Ärger. Ich konnte sie schnell zufrieden stellen. Wenn ich ihr erlaubte Martha zu besuchen, war sie glücklich. Der kleine Hans war auch gerne bei Oma Martha. Sie nahm sich Zeit und spielte mit ihm. Nur Opa Heinrich mochte er nicht so gerne. Er spielte zwar auch mit ihm, wenn er da war, aber er war ihm irgendwie suspekt. Etwas Seltsames, geradezu Unheimliches ging von ihm aus. Das empfand auch Ute so. Ich denke, es war weniger der Umstand, dass er ständig an ihnen herumfummeln musste und sie küssen wollte, was sie beide gleichermaßen eklig fanden, denn Opa stank nach Zigarre und seine verkrüppelten Finger taten ihnen oft weh, gerade, wenn er beim Kitzeln ganz aus Versehen mit der Hand zwischen ihre Beine rutschte - nein es war etwas anderes, das sie ängstigte. Es war so, als würde ihn eine düstere Wolke umgeben. Aber alles in allem waren Ute und Hans gerne bei ihren Großeltern zu Besuch. Für sie war es wie kleine Ferien von mir und Mama. Es war nämlich so, Hannah war oftmals ziemlich fertig mit den Nerven. Es war alles zu viel für sie. Sie war vollkommen überfordert mit der Situation und fühlte sich alleingelassen mit allem. Martha kümmerte sich zwar häufig um Ute und Hans, doch der Preis, den sie dafür zahlen musste war hoch, denn sie war Martha deshalb schutzlos ausgeliefert. Ständig hackte Martha auf Hannah und mir herum. Kein gutes Haar ließ sie an uns.“

      „Das stimmt Linda. Es war eine schwere Zeit für mich. Am liebsten hätte ich Martha die Türe wieder vor der Nase zugeschlagen, wenn sie klingelte und ich öffnete. Aber ich musste ja freundlich zu ihr sein. Schließlich entlastete

      sie mich, indem sie die Kinder nachmittags zu sich holte.“

      „Pah!“, fuhr Martha dazwischen. „Du tust ja gerade so, als wäre ich die schlimmste Person auf der Welt gewesen. Wenn dem so gewesen wäre, wären Ute und Hans bestimmt nicht so gerne zu Heinrich und mir gekommen. Also erzähl hier nicht so´ n Quatsch, Hannah.“

      „Ich gebe dir Recht, Martha. Meistens warst du nett zu mir, wenn die Kinder dabei waren. Aber wehe wir waren alleine. Dann fingst du augenblicklich mit deinen Gemeinheiten mir gegenüber an. Ich muss zugeben, manchmal warst du tatsächlich auch einfach mal nett zu mir - manchmal. Ich war damals so naiv und glaubte dir deine Freundlichkeit, denn ich gab die Hoffnung auf Besserung unseres Verhältnisses nicht auf. Wie sich herausstellen sollte, diente deine Nettigkeit aber nur dazu, um Anlauf zu nehmen für deine nächste Gemeinheit. Du wolltest mich in Ahnungslosigkeit und Sicherheit wiegen, um noch effizienter zuschlagen zu können. Leider ist dir das damals bravourös gelungen. Was war ich doch dumm und naiv!“ Hannah machte sich deswegen immer noch schwere Vorwürfe.

      „Na endlich hast´ de das kapiert“, triumphierte Martha.