Stefan Zweig

Marie Antoinette


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verdrossen, üben sie keinen Einfluß aus auf ihren königlichen Vater, der einzig nur sein Vergnügen will, und zwar in sinnlich groben, sogar allergröbsten Formen; da sie aber keine Macht haben, keinen Einfluß, da sie keine Stellungen vergeben, bemüht sich nicht einmal der geringste Höfling um ihre Gunst, und aller Glanz, alle Ehre fällt derjenigen zu, die mit Ehre sehr wenig zu tun hat: der letzten Mätresse des Königs, der Madame Dubarry. Aus der untersten Hefe des Volkes heraufgekommen, dunklen Vorlebens und, wenn man den Gerüchten Glauben schenken will, auf dem Umweg über ein öffentliches Haus in das königliche Schlafgemach gelangt, hat sie sich von ihrem willensschwachen Liebhaber, um einen Schein der Hofzugehörigkeit zu erschleichen, einen adeligen Gatten, den Grafen Dubarry, kaufen lassen, einen höchst gefälligen Eheherrn, der am Tage nach der papierenen Hochzeit für ewig verschwindet. Aber immerhin, sein Name hat das ehemalige Straßenmädchen hoffähig gemacht. Zum zweitenmal hat die lächerliche und erniedrigende Farce vor den Augen ganz Europas stattgefunden, daß sich ein Allerchristlichster König seine ihm wohlbekannte Favoritin förmlich als fremde Dame von Adel vorstellen und bei Hof vorführen läßt. Durch diesen Empfang legitimiert, wohnt die Geliebte des Königs im großen Palais, drei Zimmer weit von den skandalisierten Töchtern und durch eine eigens gebaute Treppe mit den Gemächern des Königs verbunden. Mit ihrem eigenen, wohlerprobten Leib und dem noch unerprobten hübscher, gefälliger Mädchen, die sie dem alten Wollüstling zur Aufmunterung bringt, hält sie den senil-erotischen Ludwig XV. völlig im Bann: kein Weg geht zur Gunst des Königs, außer über ihren Salon. Selbstverständlich drängen, weil sie Macht zu vergeben hat, alle Höflinge zu ihr hin, die Gesandten aller Herrscher warten voll Ehrerbietung in ihrem Vorzimmer, Könige und Fürsten schicken ihr Geschenke; sie kann Minister absetzen, Stellen vergeben, kann sich Schlösser bauen lassen, über den königlichen Schatz verfügen; schwere Brillantengehänge umblitzen ihren üppigen Hals, riesige Ringe funkeln an ihren Händen, die von allen Eminenzen und Fürsten und Strebern ehrfürchtig geküßt werden, und unsichtbar blitzt der Kronreif in ihrem vollen, braunen Haar.

      Alles Licht der königlichen Gnade fällt breit auf diese illegitime Herrscherin des Bettes, alle Schmeichelei und Ehrfurcht umbuhlt diese verwegene Buhlerin, die sich in Versailles frecher als je eine Königin brüstet. Rückwärts aber in den Hinterzimmern sitzen die verdrossenen Töchter des Königs und greinen und zetern über die freche Dirne, die den ganzen Hof in Schande bringt, die ihren Vater lächerlich, die Regierung ohnmächtig und jedes christliche Familienleben unmöglich macht. Mit allem Haß ihrer unfreiwilligen Tugend, diesem ihrem einzigen Besitz – denn sie haben nicht Anmut und Geist und Würde –, hassen diese drei Töchter die babylonische Hure, die an Stelle ihrer Mutter hier Königinnenehre genießt, und von morgens bis abends haben sie keinen anderen Gedanken, als sie zu verspotten, zu verachten und ihr Schaden zu tun.

      Da erscheint, willkommener Glücksfall, dieses fremde, erzherzogliche Kind am Hof, Marie Antoinette, fünfzehnjährig erst, aber durch den ihr gebührenden Rang als zukünftige Königin nun von Rechts wegen die erste Frau am Hofe; sie gegen die Dubarry auszuspielen, wird für die drei Jungfern willkommene Aufgabe, und vom ersten Augenblick an arbeiten sie daran, dieses unbedachte und ahnungslose Mädchen scharf zu machen. Sie soll vorangehen; während sie selber im Dunkel bleiben, soll sie das unreine Wild erlegen helfen. So ziehen sie zum Scheine zärtlich die kleine Prinzessin in ihren Kreis. Und ohne daß sie es ahnt, steht Marie Antoinette nach wenigen Wochen mitten in erbittertem Kampf.

      Bei ihrer Ankunft hat Marie Antoinette weder von dem Dasein noch von der sonderbaren Stellung einer Madame Dubarry gewußt: am sittenstrengen Hof Maria Theresias war der Begriff einer Mätresse völlig unbekannt. Sie sieht nur bei dem ersten Souper unter den anderen Hofdamen eine vollbusige, heiter aufgeputzte Dame mit prachtvollem Schmuck, die neugierig zu ihr herüberschaut, und hört, daß man sie mit »Gräfin« anspricht, Gräfin Dubarry. Aber die Tanten, die sich sofort liebevoll der Unerfahrenen annehmen, klären sie gründlich und absichtsvoll auf, denn wenige Wochen später schreibt Marie Antoinette schon ihrer Mutter über die »sotte et impertinente créature«. Laut und unbedacht plaudert sie all die boshaften und hämischen Bemerkungen nach, welche die lieben Tanten ihr auf die lockere Lippe legen, und nun hat plötzlich der gelangweilte und immer nach solchen Sensationen gierige Hof seinen prächtigen Spaß; denn Marie Antoinette hat es sich in den Kopf gesetzt – oder vielmehr, die Tanten haben es ihr in den Kopf gesetzt –, diesen frechen Eindringling, der sich hier am Königshof wie ein Pfau aufplustert, auf das gründlichste zu schneiden. Nach dem ehernen Gesetz der Etikette darf am Versailler Königshofe niemals eine rangniedere Dame an die ranghöhere das Wort richten, sondern sie muß ehrfurchtsvoll warten, bis die ranghöhere sie anspricht. Selbstverständlich ist die Dauphine in Abwesenheit einer Königin die ranghöchste und macht ausgiebig Gebrauch von diesem Recht. Kühl, lächelnd und herausfordernd läßt sie diese Gräfin Dubarry auf eine Ansprache warten und warten; wochenlang, monatelang läßt sie die Ungeduldige hungern nach einem einzigen Wort. Das merken natürlich die Zuträger und Schranzen bald, sie haben an diesem Zweikampf höllischen Spaß, der ganze Hof wärmt sich vergnüglich an dem von den Tanten vorsorglich geheizten Feuer. Alles beobachtet voll Spannung die Dubarry, die in schlecht verhaltener Wut unter allen Damen des Hofes sitzt und zusehen muß, wie dieser kleine, fünfzehnjährige, freche Blondkopf heiter und vielleicht geflissentlich heiter mit allen Damen plaudert und plaudert; nur bei ihr zieht regelmäßig Marie Antoinette die ein wenig vorhängende Habsburger Lippe scharf an, spricht kein Wort und sieht durch die diamantenblitzende Gräfin hindurch wie durch Glas.

      Nun ist die Dubarry eigentlich keine bösartige Person. Als echte rechte Frau aus dem Volke hat sie alle Vorzüge des unteren Standes, eine gewisse Emporkömmlingsgutmütigkeit, eine kameradschaftliche Jovialität für jeden, der es mit ihr wohl meint. Aus Eitelkeit ist sie jedem leicht gefällig, der ihr schmeichelt; lässig und nobel gibt sie jedem gern, der sie um etwas bittet; sie ist durchaus keine ungute oder neidische Frau. Aber, weil von unten so verwirrend rasch emporgelangt, hat die Dubarry nicht genug daran, die Macht zu spüren, sie will sie auch sinnlich und sichtbar genießen, sie will sich eitel und üppig in dem ungebührlichen Glanz sonnen, und vor allem, sie will, daß er als ein gebührlicher gelte. Sie will in der ersten Reihe unter den Hofdamen sitzen, sie will die schönsten Brillanten tragen, die prachtvollsten Kleider besitzen, den schönsten Wagen, die schnellsten Pferde. Alles das erhält sie ohne Mühe von dem willensschwachen, ihr sexuell völlig hörigen Mann, nichts wird ihr verweigert. Aber – Tragikomödie jeder illegitimen Macht, sie ereignet sich selbst an einem Napoleon! – gerade von der legitimen anerkannt zu werden, ist ihr letzter, ihr äußerster Ehrgeiz. So hat auch Gräfin Dubarry, obwohl von allen Fürsten umschwärmt, von allen Höflingen verwöhnt, nach all ihren erfüllten Wünschen noch einen: von der ersten Frau des Hofes als vorhanden anerkannt, von der Erzherzogin aus dem Hause Habsburg herzlich und freundlich empfangen zu sein. Aber nicht nur, daß diese »petite rousse« (so nennt sie Marie Antoinette in ihrer ohnmächtigen Wut), daß dieses kleine, sechzehnjährige Gänschen, das noch nicht anständig Französisch reden kann, das nicht einmal die lächerliche Kleinigkeit fertigbringt, ihren eigenen Mann zur wirklichen Eheleistung zu bewegen, nicht nur, daß dieses unfreiwillige Jüngferlein immer die Lippen hochzieht und sie vor dem ganzen Hof schneidet – es erfrecht sich sogar, sich ganz offen, ganz schamlos über sie lustig zu machen, über sie, die mächtigste Frau am Hofe, – und das, nein, das läßt sie sich nicht gefallen!

      Das Recht in diesem homerischen Rangstreit ist dem Buchstaben nach unumstößlich auf seiten Marie Antoinettes. Sie ist höheren Ranges, sie braucht mit dieser »Dame«, die als Gräfin tief unterhalb der Thronfolgerin rangiert, nicht zu sprechen, wenn ihr auch für sieben Millionen Diamanten auf dem Busen blitzen. Aber hinter der Dubarry steht die tatsächliche Macht: sie hat den König völlig in ihrer Hand. Schon nahe der untersten Stufe seines moralischen Abstieges, vollkommen gleichgültig gegen den Staat, gegen Familie, Untertanen und Welt, hochmütiger Zyniker – après moi le déluge – will Ludwig XV. nur noch seine Ruhe haben und sein Vergnügen. Er läßt alles laufen, wie es läuft, er kümmert sich nicht um Zucht und Sitte an seinem Hof, wohl wissend, daß er sonst bei sich selbst anfangen müßte. Lange genug hat er regiert, diese letzten paar Jahre will er leben, nur für sich leben, mag alles rings um ihn und hinter ihm zugrunde gehen. Deshalb stört dieser plötzlich ausgebrochene Weiberkrieg ihm ärgerlich den Frieden! Seinen epikureischen Grundsätzen gemäß möchte er sich am liebsten nicht einmischen. Aber die Dubarry liegt