Stefan Zweig

Marie Antoinette


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Rückzugsgefecht: die Kapitulation ist im voraus besiegelt.

       Marie Antoinette, die Dauphine, als Hebe

       Ölgemälde von François Hubert Drouais

      Der Neujahrstag 1772 bringt endlich die Entscheidung in diesem heroisch-komischen Frauenkrieg, er bringt Madame Dubarrys Triumph, Marie Antoinettes Unterwerfung. Wieder ist die Szene theatralisch gestellt, abermals der feierlich versammelte Hof als Zeuge und Zuschauer berufen. Die große Glückwunschcour beginnt. Eine nach der andern defilieren, der Rangstufung gemäß, die Hofdamen an der Dauphine vorbei, darunter die Herzogin von Aiguillon, die Gattin des Ministers, mit Madame Dubarry. Die Dauphine richtet einige Worte an die Herzogin von Aiguillon, dann wendet sie den Kopf ungefähr in die Richtung der Madame Dubarry und sagt, nicht gerade zu ihr, aber doch so, daß man es mit einigem guten Willen als an sie gerichtet gelten lassen kann – alles hält den Atem an, um keine Silbe zu verlieren, – das lang ersehnte, das grimmig umkämpfte, das unerhörte, das schicksalsmächtige Wort, sie sagt zu ihr: »Es sind heute viele Leute in Versailles.« Sieben Worte, sieben genau gezählte Worte hat Marie Antoinette sich abgerungen, aber, ungeheures Ereignis am Hofe, wichtiger als der Gewinn einer Provinz, aufregender als alle längst notwendigen Reformen – die Dauphine hat endlich, endlich zur Favoritin gesprochen! Marie Antoinette hat kapituliert, Madame Dubarry hat gesiegt. Nun ist alles wieder gut, der Himmel von Versailles hängt voller Geigen. Der König empfängt die Dauphine mit offenen Armen, er umarmt sie zärtlich wie ein wiedergefundenes Kind, Mercy dankt ihr gerührt, wie ein Pfau schreitet die Dubarry durch die Säle, die verärgerten Tanten toben, der ganze Hof ist erregt, er schwirrt und schwätzt vom First bis in die Keller hinab, und all dies, weil Marie Antoinette zur Dubarry gesagt hat: »Es sind heute viele Leute in Versailles.«

      Aber diese sieben banalen Worte tragen tieferen Sinn. Mit diesen sieben Worten ist ein großes politisches Verbrechen besiegelt, mit ihnen das schweigende Einverständnis Frankreichs zur Teilung Polens erkauft. Nicht nur die Dubarry, sondern auch Friedrich der Große und Katharina haben mit diesen sieben Worten ihren Willen durchgesetzt. Nicht nur Marie Antoinette ist erniedrigt worden, sondern ein ganzes Land.

      Marie Antoinette ist besiegt worden, sie weiß es, ihr junger und noch kindisch unbeherrschter Stolz hat einen mörderischen Hieb empfangen. Zum erstenmal hat sie den Nacken gebeugt, aber sie wird ihn nicht ein zweitesmal mehr beugen bis zur Guillotine. Bei diesem Anlaß ist plötzlich sichtbar geworden, daß dieses weichherzige und leichtfertige Geschöpf, daß die »bonne et tendre Antoinette«, sobald es an ihre Ehre geht, eine stolze und unerschütterliche Seele birgt. Erbittert sagt sie zu Mercy: »Einmal habe ich zu ihr gesprochen, aber ich bin entschlossen, es dabei bewenden zu lassen. Diese Frau wird keinen Ton meiner Stimme mehr hören.« Auch ihrer Mutter zeigt sie deutlich, daß nach dieser einmaligen Nachgiebigkeit weitere Opfer nicht zu erwarten sind: »Sie dürfen mir glauben, daß ich immer meine Vorurteile und Widerstände preisgeben werde, aber nur so lange, als man von mir nichts Ostentatives verlangt oder etwas, was gegen meine Ehre ist.« Vergebens, daß daraufhin die Mutter, ganz empört über diese erste selbständige Regung ihres Kückens, sie energisch abtrumpft: »Du machst mich lachen, wenn Du Dir vorstellst, daß ich oder mein Botschafter Dir jemals einen Rat geben würden, der gegen Deine Ehre wäre oder sogar gegen das geringste Gebot der Wohlanständigkeit. Ich bekomme Angst um Dich, wenn ich diese Aufregung sehe um so weniger Worte wegen. Und wenn Du sagst, daß Du es nicht mehr tun willst, so läßt mich dies für Dich zittern.« Vergebens, daß Maria Theresia ihr immer und immer wieder schreibt: »Du mußt zu ihr wie zu jeder andern Frau am Hofe des Königs sprechen; Du schuldest das dem König und mir.« Vergebens, daß Mercy und die andern ohne Unterlaß auf sie einreden, sie solle doch zu der Dubarry sich freundschaftlich stellen und sich dadurch die Gunst des Königs sichern: alles zerschellt an dem neuerlernten Selbstbewußtsein. Die schmale Habsburger Lippe Marie Antoinettes, die sich ein einziges Mal widerwillig aufgetan hat, bleibt ehern verschlossen, keine Drohung, keine Lockung können sie mehr entsiegeln. Sieben Worte hat sie der Dubarry gesagt, und nie hat die verhaßte Frau ein achtes gehört.

      Dieses eine Mal, am 1. Januar 1772, hat Madame Dubarry über die Erzherzogin von Österreich, über die Dauphine von Frankreich triumphiert, und vermutlich könnte mit so mächtigen Bundesgenossen wie einem König Ludwig und einer Kaiserin Maria Theresia die Hofkokotte ihren Kampf gegen die zukünftige Königin weiterführen. Aber es gibt Schlachten, nach denen der Sieger, die Kraft seines Gegners erkennend, selber über seinen Sieg erschrickt und überlegt, ob man nicht klüger täte, freiwillig das Schlachtfeld zu räumen und Frieden zu schließen. Madame Dubarry wird es nicht sehr behaglich bei ihrem Triumph. Innerlich hat dieses gutmütige, nichtige Geschöpf ja von Anfang an keinerlei Feindschaft gegen Marie Antoinette gehegt; sie wollte, in ihrem Stolz gefährlich verletzt, nichts als diese eine kleine Genugtuung. Nun ist sie zufrieden und mehr noch: sie ist von dem zu öffentlichen Sieg beschämt und verängstigt. Denn so klug ist sie immerhin, um zu wissen, daß ihre ganze Macht auf unsicheren Füßen steht, auf den gichtigen Beinen eines rasch alternden Mannes. Ein Schlaganfall des Zweiundsechzigjährigen, und schon morgen kann diese »petite rousse« Königin von Frankreich sein; eine »lettre de cachet«, ein solcher fataler Reisebrief in die Bastille, ist rasch unterschrieben. Darum macht Madame Dubarry, kaum daß sie Marie Antoinette besiegt hat, die heftigsten, die redlichsten und aufrichtigsten Versuche, sie zu versöhnen. Sie verzuckert ihre Galle, sie bändigt ihren Stolz; sie erscheint immer und immer wieder bei ihren Gesellschaftsabenden, und obwohl keines Wortes mehr gewürdigt, zeigt sie sich keineswegs verdrossen, sondern läßt die Dauphine durch Zuträger und gelegentliche Boten immer und immer wieder wissen, wie herzlich sie ihr gesinnt sei. Auf hundert Arten trachtet sie, die einstige Gegnerin bei ihrem königlichen Liebhaber zu begönnern, schließlich greift sie sogar zum verwegensten Mittel: da sie Marie Antoinette nicht durch Liebenswürdigkeit gewinnen kann, versucht sie ihre Gunst zu kaufen. Man weiß bei Hofe – und weiß es leider zu gut, wie die berüchtigte Halsbandaffäre später zeigen wird –, daß Marie Antoinette in kostbaren Schmuck hemmungslos vernarrt ist. So denkt die Dubarry – und es ist bezeichnend, daß der Kardinal Rohan ein Jahrzehnt später genau demselben Gedankengange folgt –, vielleicht sei es möglich, sie durch Geschenke zu kirren. Ein großer Juwelier, derselbe Böhmer aus der Halsbandaffäre, besitzt Brillantenohrgehänge, die auf siebenhunderttausend Livres geschätzt werden. Wahrscheinlich hat Marie Antoinette diesen Schmuck schon heimlich oder offen bewundert und die Dubarry von ihrem Gelüst erfahren. Denn eines Tages läßt sie ihr durch eine Hofdame zuflüstern, wenn sie die Brillantenohrgehänge wirklich haben wolle, so sei sie mit Freuden bereit, Ludwig XV. zu bereden, er solle sie ihr schenken. Aber Marie Antoinette antwortet auf diesen schamlosen Vorschlag mit keinem Wort, verächtlich wendet sie sich ab und sieht weiterhin an ihrer Gegnerin kühl vorbei; nein, für alle Krongesteine der Erde wird diese Madame Dubarry, die sie einmal öffentlich gedemütigt hat, kein achtes Wort von ihrer Lippe hören. Ein neuer Stolz, eine neue Sicherheit hat in der Siebzehnjährigen begonnen: sie braucht keine Juwelen mehr von fremder Gunst und Gnade, denn schon spürt sie auf der Stirn das nahe Diadem der Königin.

      Die Eroberung von Paris

      An dunkeln Abenden sieht man von den Hügeln um Versailles deutlich die leuchtende Lichtkrone von Paris sich in den Himmel wölben, so nahe liegt die Stadt dem Palast; ein gefedertes Kabriolett fährt die Straße in zwei Stunden, ein Fußgänger braucht kaum sechs Stunden – was wäre also natürlicher, als daß die neue Thronfolgerin gleich am zweiten, dritten oder vierten Tag nach der Hochzeit der Hauptstadt ihres zukünftigen Königreichs einen Besuch abstattet? Aber der eigentliche Sinn oder vielmehr Unsinn des Zeremoniells besteht doch gerade darin, das Natürliche in allen Formen des Lebens zu unterdrücken oder zu verzerren. Zwischen Versailles und Paris steht für Marie Antoinette eine unsichtbare Schranke: die Etikette. Denn nur feierlich nach besonderer Ansage und vorher eingeholter Erlaubnis des Königs darf ein Thronfolger von Frankreich mit seiner Gemahlin zum ersten Mal die Hauptstadt betreten. Aber gerade diesen feierlichen Einzug, die »joyeuse entrée« Marie Antoinettes, sucht die liebe Verwandtschaft möglichst lange hinauszuschieben. So spinnefeind sie alle sonst untereinander sind, die alten bigotten Tanten, die Dubarry und das ehrgeizige Brüderpaar, die