Ekkehard Wolf

Oh wie Böse


Скачать книгу

auf der Autobahn zunehmend ineffektiv erschienen, um den Menschen zu finden, nach dem er so dringlich suchte. Das zwar auch, aber im Grunde war die Sache profaner. Ihm drohte das Geld auszugeben. In früheren Zeiten hätte ihn das beunruhigt. Jetzt trug das nur dazu bei, ihm die Entscheidung zu erleichtern. Ohne seinem bisherigen Leben auch nur eine Sekunde nachzuweinen, entschloss er sich zu einem Tausch. Er packte seine Siebensachen in zwei Koffer und kündigte die immer kleiner werdende Wohnung, wohl wissend, wen er damit treffen würde. Er verkaufte sein Auto und leistete sich im Gegenzug ein Bahn Ticket 100. Er bestellte sich ein Taxi, ließ sich zum nächstgelegenen Bahnhof kutschieren und nutzte von da an den WLan Service der Bahn AG, um das zu planen, was von nun an den Inhalt seines neuen Lebens ausmachen sollte. Als erstes verschaffte er sich anhand des Streckenplans einen Überblick über die Fern- und Querverbindungen, die es ihm möglich machen würden, nach dem Verlassen eines Zuges möglichst mehrere Anschlussverbindungen zur Auswahl zu haben. Sein Plan war so genial wie einfach. Auf langen Strecken suchte er sich die Startbahnhöfe aus, um zu zusteigen. Sobald der Zug losgefahren wanderte er ganz gemächlich durch die Abteile und notierte sich die Sitzplätze von allein reisenden, jüngeren Frauen. Sobald eines seiner Opfer sich auf den Weg zu Toilette machte, angelte er sich deren Telephon und schickte seiner Verflossenen eine wohlmeinende Textnachricht eines anderen Opfers ihres neuen Lovers mit der Botschaft, dem Typen bloß nicht zu vertrauen. Die Reaktion war vorhersehbar. Sie würde den Typen zur Rede stellen, der würde abstreiten, die Absenderin der Nachricht auch nur zu kennen. Sie würde ihn wütend der Lüge bezichtigen. Ein Wort würde das andere geben und schließlich würde es ihm oder ihr zu dumm werden und damit würde die Beziehung am Ende sein. Seine Ex würde dann auf einen Schlag wissen, wie es ist, wenn man obdachlos und ohne eigenes Einkommen ist. Für seinen ehemaligen Chef hatte er danach dann einen echten Klassiker ins Auge gefasst. Alles was er dafür bräuchte war eine Frau, die bereit war, seinen Chef in eine so vergängliche Situation zu bringen, dass der keine andere Wahl mehr haben würde, als sich dem Konkursrichter zu offenbaren. Die passende Frau ausfindig zu machen war nicht schwer. Sein nun obdachloses Dummerchen dazu zu bringen, es ihrem Verflossenen mit einigen zutiefst unmoralischen Einstellungen heimzuzahlen war nicht sonderlich schwer. Ihn darüber hinaus auch noch in verfänglichen Situationen in Begleitung der Frau seines wichtigsten Geschäftspartners abzulichten, erforderte hingegen schon ein wenig Geduld. erfordert, denn um die geeigneten Angaben aus den sozialen Netzwerken heraus zu fischen, braucht man einfach ein wenig Zeit. Aber die war in den Zügen ja zur Genüge vorhanden.

      Verwirrung

      Weiter geht es nach Cuxhaven am schönen Nordseestrand. Um dorthin zu kommen, haben es sich gerade in jüngster Zeit vor allem auch umweltbewusste Menschen angewöhnt, die Bahn zu benutzen. Hier können Sie gebratene Heringe ebenso verspeisen, wie Bratkartoffeln. Im Idealfall bestellen Sie beides. Aber auch das kann seine Tücken haben.

      Die alte Frau blickte ohne innere Anteilnahme auf das Meer. Das sanfte Schlagen der Wellen vor sich nahm sie nur am Rande wahr. Dass ihr bereits deutlich ergrautes Haar im Wind zerzaust wurde, schien sie nicht zu stören. Wer sie so erlebte, musste unweigerlich den Eindruck gewinnen, einen Menschen vor sich zu haben, der einen schweren Schicksalsschlag zu verarbeiten hatte. Und tatsächlich hatte die Frau nur wenige Stunden zuvor etwas erlebt, von dem sie sich im bisherigen Verlauf ihres schon recht langen Lebens nicht hätte vorstellen können, dass ausgerechnet ihr so etwas jemals widerfahren würde. Sie würde auch jetzt noch jedem, der sie danach fragen würde, ihre totale Fassungslosigkeit über das gerade Erlebte bekennen und dabei nicht verhindern können, dass ihr die Tränen in die Augen traten. Sie würde das umso überzeugender tun könnten, als jeder der sie kannte, jeden Eid darauf schwören würde, keinen Menschen zu kennen, der Gewalt stärker ablehnte als sie. Immerhin hatte sie bereits als kleines Kind selber erfahren müssen, was häusliche Gewalt bedeuten konnte. Andererseits hätte ein unbeteiligter Beobachter sehr wohl zu dem Ergebnis gelangen können, dass das zuvor Erlebte keineswegs als das Resultat einer unglücklichen Verkettung von Umständen anzusehen war. Ein aufmerksamer Beobachter des Geschehens hätte sogar zu dem Schluss kommen können, dass die Begebenheit als das Ergebnis einer von langer Hand geplanten Tat eingestuft werden könnte, also möglicherweise als kaltblütig geplanter Mord. Aber einen solchen Beobachter gab es nun einmal nicht und so deutete tatsächlich alles darauf hin, dass es sich bei dem Geschehen um genau den schweren Schicksalsschlag gehandelt habe, als der es erscheinen sollte. Schließlich hatte sie alles getan, um zu verhindern, dass die Situation außer Kontrolle geriet. Wann immer es ihr notwendig erschien, hatte sie mit ihrer ruhigen Art ihre Tochter dazu gebracht, die Macken ihres Mannes nicht unnötig zu dramatisieren. Männer hatten nun einmal so gewisse Angewohnheiten und Neigungen, die nicht jeder Frau auf Anhieb gefallen müssten. Aber deswegen gleich die Beziehung abzubrechen, konnte ja nun auch nicht die Lösung sein. Sie selbst war so erzogen worden und hatte auch ihre Tochter so erzogen und zu Guter Letzt hatte sich diese Haltung ja auch ausgezahlt. Dass bedeutete keineswegs, dass nicht auch ihr bewusst gewesen wäre, welche Überwindung es ihre Tochter gekostet hatte, um des lieben Friedens Willen immer wieder die Ausschweifungen ihres Mannes zu ertragen. Das war mit der Geburt ihres kleinen Töchterchens nicht eben leichter geworden. Um da ein wenig die Luft raus zu nehmen, hatte die alte Frau schließlich angeboten, die Reise ans Meer mit der Bahn zu unternehmen. Damit ihr Schwiegersohn nicht auf die Idee kam, diesen Vorschlag abzulehnen, hatte sie ihr Angebot mit einem kräftigen Zuschuss versüßt, angeboten den Urlaub zu begleiten, um sich um ihre kleine Enkelin zu kümmern und während der Fahrt auch nicht gezögert, dem Mann seinen Wunsch nach einem kleinen Bierchen zu erfüllen. Sie hatte sich sogar persönlich in den Speisewagen begeben, um ihm sein heiß begehrtes Getränk eigenhändig an den Platz zu bringen. Wie üblich war es nicht bei einem Bierchen geblieben. Gleichwohl war es schon ein wenig überraschend gewesen, wie sehr ihn die wenigen Gläschen mitgenommen hatten. Als der Gute kurz vor dem Halt in Harburg das Bedürfnis hatte, die Toilette aufzusuchen, war sie sich nicht zu schade gewesen, den bereits deutlich Schwankenden dorthin zu begleiten. Wie sie nach Überwindung des ersten Schicksalsschlags der Polizei zu Protokoll gab, hatte sie, während ihr Schwiegersohn sich Entlastung verschaffte, für einen Moment in den Nebenwagon aufgesucht, um die Internetverbindung ihres Smartphones zu testen. Dass ihr Schwiegersohn genau in dem Augenblick, als der Zug im Bahnhof zum Halten gekommen war, auf die Idee kommen würde, in einem Anflug von Verwirrung die Zugtür an der falschen Seite zu öffnen um auszusteigen, das hatte natürlich niemand ahnen können. Erst recht nicht, dass in genau diesem Augenblick ein auslaufender Zug auf eben diesem Gleis unterwegs war. Die alte Frau gab an noch versucht zu haben, ihn am Aussteigen zu hindern. Leider vergeblich. Tatsächlich hatte es nur noch des berühmten kleinen Anstoßes bedurft, um ihn ins Jenseits zu befördern. Aber das hatte ihr natürlich niemand zugetraut und das vergaß sie naturgemäß auch zu erwähnen.

      Die alte Frau strich sich mit einer ruhigen Bewegung die Strähnen aus dem Gesicht. Ihrer kleinen Enkelin würde dieser Mann jedenfalls keine Gewalt mehr antun.

      Hinter dem Wattenmeer ist nichts als Meer

      Die Küste vor Cuxhaven zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass Ebbe und Flut einander in regelmäßigen Abständen ablösen. Die Wasserstände schwanken daher erheblich. Das nicht zu beachten, hat schon so manchen Besucher in arge Bedrängnis gebracht – besonders bei Flut. Aber es gibt auch noch andere Tücken.

      Das ungleiche Pärchen hatte sich erst kurz vor Erreichen des Hochwassers auf den Weg vom Strandhaus Döse zur Kugelbake gemacht. Hier fahren die großen Pötte, die zumeist von oder nach Hamburg unterwegs sind, fast zum Greifen nah am Betrachter vorbei. Entsprechend zahlreich ist üblicherweise der Andrang der Menschen, die sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollen. Aber an Tagen, wie diesem war damit nicht zu rechnen. Als zu unbeständig hatte sich das Wetter den ganzen Tag über bereits gezeigt. Jetzt, kurz nach Einbruch der Dunkelheit würde das nicht anders sein. Dem Begleiter der jungen Frau war das ebenso recht wie ihr. Sogar die Gründe der Beiden waren ähnlich. Nur wussten sie nichts davon. Ursprünglich hatten sie ja nach Neuwerk gehen wollen, aber angesichts dessen, womit sie sich fast den ganzen Tag über beschäftigt hatten, war es ihr lieber gewesen, nur bis zur Fahrrinne gehen zu müssen. Die dicken Pötte zum Anfassen nah an sich vorbeifahren zu sehen war ja nun auch