Tilman Janus

MeerMänner


Скачать книгу

uns komisch angucken, niemand dürfte uns beschimpfen oder gar zusammenschlagen. Irgendwie war es einsam ohne Freund, auch wenn ich eine Menge Typen kannte. Aber die empfand ich eben nicht als wirkliche Freunde. Meine Eltern waren gar nicht das Problem, sie wussten schon länger, dass ich mich schwul fühle. Aber alles andere erschien mir unlösbar schwierig.

      Dieser fremde Junge mitten auf dem Weihnachtsmarkt zog mich besonders an. Er hatte so etwas wie eine Aura, ich konnte es nicht beschreiben. Er stand einfach da, ohne etwas zu tun, und blickte in meine Richtung. Er schien mich direkt anzusehen – oder beguckte er die kandierten Äpfel? Vielleicht überlegte er genauso wie ich, ob er sein Geld für so ein Ding ausgeben sollte.

      Mir fiel auf, dass er für die Kälte gar nicht richtig angezogen war. Er trug eine Jacke, aber die sah extrem leicht aus. Seine Jeans schienen nur für die warme Jahreszeit hergestellt zu sein. Auch seine Schuhe wirkten wie Sommer-Sneakers. Ich kam auf die Idee, weil er so besonders hübsch war, dass er vielleicht in einem Film mitspielte oder für ein Musical probte und sich zwischendurch mal Berlin anguckte. Ich hätte ihn zu gerne kennengelernt und überlegte, ob ich ihn einfach ansprechen sollte.

      In dem Moment kam er auf mich zu.

      »Hi!«, sagte er. »Kennst du dich hier aus?« Seine Stimme klang samtig. Er sprach sehr gut Deutsch, aber ich merkte, dass es nicht seine Muttersprache war.

      »Ja, klar«, sagte ich. »Ich wohne ja hier in der Nähe. Wo willst du denn hin?«

      »Das weiß ich nicht.«

      Na, da war ich erst mal verblüfft. »Wie meinst du das?«, fragte ich und verkniff mir ein Grinsen. Er war ja so süß! Von Nahem konnte ich seine langen Seidenwimpern sehen. Seine Lippen waren schön und voll, beim Sprechen bewegten sie sich weich und verlockend. Ich hatte noch nie irgendjemanden auf den Mund geküsst. Diesen Jungen hätte ich gerne geküsst …

      »Ich hab mein … also, mein Auto irgendwo abgestellt und weiß jetzt nicht mehr, wo«, sagte er nach ein paar Sekunden, so, als ob er erst mal überlegen musste.

      Auto? Er war bestimmt auch erst achtzehn und hatte schon Führerschein und einen Wagen … cool!

      »Wie sieht's denn aus, dein Auto?«, erkundigte ich mich.

      Er hob die Schultern. »Silbern und rund«, meinte er.

      Ich musste nun wirklich lachen. Obwohl – vielleicht meinte er einen von diesen kleinen City-Flitzern, die sind ja fast rund.

      »Und wie sah die Straße aus, wo du's abgestellt hast? Breit? Oder schmal?«

      Er zuckte wieder ratlos mit den Schultern. »Ich glaube, es war da hinten irgendwo …« Er deutete vage in Richtung Spree.

      »Am besten, wir gehen da lang, vielleicht erkennst du die Gegend dann wieder«, schlug ich vor. Mir war's egal, wohin wir gingen, wenn ich nur neben ihm laufen durfte. Meine Knie wurden nämlich immer weicher, je länger wir redeten.

      Ich finde mich nicht besonders, aber mein Bruder Nils hat mal zu mir gesagt, ich würde so hübsch aussehen wie ein »blonder Engel«. Ich weiß nicht, ob er das wirklich meinte oder ob er mich nur verarschen wollte. Auf jeden Fall hoffte ich natürlich, dass ich diesem schönen Typen gefallen würde.

      »Wie heißt du?«, fragte ich, während wir uns in Bewegung setzten. »Ich bin Lukas.«

      »Mein Name ist Bharat. Nett, dass du mitkommst, Lukas.«

      »Bharat« klang ziemlich exotisch. Er sah ja auch so aus, irgendwie nordindisch oder iranisch oder afghanisch oder so was Ähnliches. Ich hatte mal gelesen, dass es dort auch Menschen mit blauen Augen gibt.

      Wir liefen über den belebten Molkenmarkt bis zum Mühlendamm. Ein paar Leute schleppten noch die letzten Weihnachtsbäume nach Hause. Viele trugen Pakete und große Einkaufstaschen.

      An der Spree-Brücke pfiff uns der kalte Wind um die Ohren. Es war hier abseits der Lichter vom Weihnachtsmarkt ziemlich dunkel. Sterne funkelten am Winterhimmel über Berlin.

      Bharat sah sich um. »Hier irgendwo …«, murmelte er. Fragend blickte er mich an.

      Ich sah ihn auch fragend an. Wenn er es nicht wusste, wer dann?

      »Da!«, sagte er auf einmal und zeigte nach unten ans Spree-Ufer.

      Ich wischte mir über die Augen, denn ich sah absolut nichts. Ein Auto hätte auch niemand über die Treppen bis hinunter an die Uferkante fahren können.

      »Mein Auto«, sagte Bharat unerschütterlich. »Oder – ich glaube, es heißt eigentlich 'Raumschiff'.«

      Ein Irrer!, schoss es mir durch den Kopf. Ob er gefährlich war? Ich starrte ihn an. Da sah ich, dass er ganz leicht lächelte. Seine blauen Augen sahen mich fast wie beschwörend an. Er war so wunderschön … Wollte er ein Spiel mit mir spielen? Oder wollte er mich erstechen und ins Spreewasser werfen? Ich verachtete plötzlich meine Angst. Hatte ich ihn nicht kennenlernen wollen?

      »Ein Raumschiff?«, fragte ich ruhig.

      Er lächelte jetzt richtig. »Ja. Es ist silbern und rund. Vier Meter im Durchmesser. Da unten am Wasser. Siehst du es?« Er musterte mich prüfend.

      Ich schaute noch einmal zum leeren, kalten Ufer hinab. »Ja!«, sagte ich. »Ich sehe es. Silbern und rund.« Vielleicht war das eine Filmszene für eine dieser albernen TV-Shows? Ein Schauspieler, der sich als Außerirdischer ausgab … Aber nirgends war eine Kamera zu sehen.

      Eine scharfe Bö blies uns ins Gesicht.

      »Komm, es ist so kalt hier. Gehen wir ins Warme!« Bharat zog mich an der Hand zu einer kleinen Steintreppe, die zum Ufer hinabführte. Es war das erste Mal, dass er mich berührte. Seine Finger fühlten sich warm und samtig an. Sein Griff war fast zärtlich. Plötzlich wuchs mein Teil in meinen Jeans, ziemlich stark. Mir war es jetzt ganz egal, ob das ein Typ aus einer beknackten Fernsehshow war und wir vielleicht mit versteckter Kamera gefilmt wurden. Ich verliebte mich gerade in Bharat, und das war ein ganz neues und wunderbares Gefühl.

      Wir kletterten die schmale Treppe hinunter. Es gab kein Geländer. Im Dunkeln waren die vereisten Steinstufen kaum zu erkennen. Dicht am Wasser, direkt an der Uferkante im tiefen Schatten, war eine kleine, windgeschützte Mauernische in die Uferwand eingelassen.

      »Ich berühre die Aluminiumhaut von meinem Raumschiff«, sagte Bharat leise. »Die Tür schiebt sich auf. Lautlos. Drinnen ist es ganz warm. Komm, steig ein!« Er zog mich in die Nische. Dann umschlang er mich und legte seine Wange an meine.

      Mein Herz schlug schneller. Er umarmte mich! Er schien zu wissen, dass ich mich in ihn verliebt hatte! Und er hatte recht – mir wurde trotz der Frostluft wärmer. Bharats Körper schmiegte sich dicht an meinen. Ich legte meine Arme um seine Taille und zog ihn ganz fest an mich.

      »Siehst du es, Lukas?«, flüsterte er mir ins Ohr. »Hier in meinem Raumschiff ist es schön. Ein blaues Licht leuchtet. Ich bin der Kommandant. Ich berühre die Sensorfelder, und wir heben ab. Aber du merkst es nicht, wir fliegen lautlos.« Er strich mit seinen schlanken Fingern sanft über mein Gesicht und meine Lippen. »Fliegst du mit mir zu meinem Planeten?«

      »Ja!«, flüsterte ich zurück. Ich war fasziniert von diesem Mann. Er war jetzt mein Kommandant. Ich wollte ihm folgen, überall hin.

      »Siehst du Berlin in der Glaskuppel meines Raumschiffs?«, sprach er weiter. »Siehst du, wie die Stadt kleiner wird und verschwindet? Jetzt sind nur noch Sterne zu sehen. Wir sind mitten im Weltall. Nur wir beide.« Er schwieg eine Weile lang und streichelte mich weiter, den Rücken hinab bis zu den Po-Backen. Ich genoss seine Zärtlichkeit unsagbar. Ganz leise sagte er dann: »Ich kann dir auch zu trinken geben. Es gibt silberweißen Likinda-Saft, aus einer ganz besonderen Frucht auf meinem Planeten.«

      Ich verstand sofort, was er meinte. Aber ich wollte erst noch dieses wundervolle Streicheln länger genießen. »Wie heißt dein Planet?« Ich schmiegte mich an ihn. Noch nie hatte ich mich so glücklich gefühlt wie mit ihm, mit Bharat in seinem Raumschiff.

      Er streichelte mein Haar, meinen Nacken, meine Schenkel und wieder meinen Hintern.