Elissa Pustka

Französische Sprachwissenschaft


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auf die Sprachwissenschaft berufend fordert Queneau zum einen eine radikale Rechtschreibreform, damit die Orthographie der Phonie eins zu eins entspricht: <s> statt <ç> und <ss>, <k> statt <qu> etc. Zum anderen weist er darauf hin, dass morphologische Formen wie die des passé simple und des imparfait du subjonctif in der gesprochenen Sprache ausgestorben sind. Diese Ideen setzt er in mehreren Romanen um. Der bekannteste davon ist sicher Zazie dans le métro. Im folgenden Kasten ist der erste Absatz daraus abgedruckt.

       Ein Roman in néofrançais: Zazie dans le métro (1959) von Queneau

      Doukipudonktan, se demanda Gabriel excédé. Pas possible, ils se nettoient jamais. Dans le journal, on dit qu’il y a pas onze pour cent des appartements à Paris qui ont des salles de bain, ça m’étonne pas, mais on peut se laver sans. Tous ceux-là qui m’entourent, ils doivent pas faire de grands efforts. D’un autre côté, c’est tout de mȇme pas un choix parmi les plus crasseux de Paris. Y a pas de raison. C’est le hasard qui les a réunis. On peut pas supposer que les gens qui attendent à la gare d’Austerlitz sentent plus mauvais que ceux qu’attendent à la gare d`Lyon. Non vraiment, y a pas de raison. Tout de mȇme quelle odeur. (QUENEAU 1959: 9)

       À vous !

      Notieren Sie alle Merkmale des gesprochenen Französisch im ersten Absatz des Romans Zazie dans le métro!

      Aus heutiger Sicht wirkt diese Art zu Schreiben vielleicht gar nicht mehr so revolutionär. Schließlich sind wir durch SMS (vgl. Kapitel 1.1.2) und Comics daran gewöhnt, Merkmale des gesprochenen Französisch graphisch realisiert zu sehen. Schreibungen wie <Doukipudonktan> für D’où qu’il(s) pue(nt) donc tant ? bleiben aber trotzdem eine Herausforderung für die Leser*innen.

      Stereotypisierung

      Im Comic sind wir mittlerweile fingierte Mündlichkeit gewöhnt. Frühe bandes dessinées wie Tintin oder Astérix wirken allerdings noch ziemlich schriftlich. Und genauso wenig wie eine SMS-Sprache gibt es auch nicht eine Comic-Sprache. Während manche Comics in literarischer Sprache verfasst sind, finden sich bei anderen einige (nicht immer dieselben) nähesprachliche Merkmale in den Sprechblasen, und wieder andere setzen diese auch in den Erzähltexten ein. So wie in Romanen dienen auch im Comic Merkmale der Mündlichkeit nicht nur dazu, Mündlichkeit zu imitieren. Oft sind die nähesprachlichen Merkmale auch mehr oder weniger auf unterschiedliche Figuren verteilt und inszenieren damit Unterschiede zwischen den Individuen und Gruppen. So ‘sprechen’ Eltern oft in geschriebener und Kinder in gesprochener Sprache, sozial hohe Milieus in geschriebener Sprache und sozial niedrige Milieus in gesprochener Sprache etc. Fingierte Mündlichkeit transportiert also nicht unbedingt Authentizität. Da mündliche Merkmale im graphischen Medium traditionell als unangebracht gelten, können sie auch der Stigmatisierung dienen. So inszeniert die Schweizer Comic-Serie Titeuf u. a. durch die Realisierung bzw. Nicht-Realisierung des ne der Negation Generationenunterschiede (vgl. Abb. 1.1):

      Abb. 1.1:

      Inszenierung von Generationenunterschieden im Comic (Titeuf 3: 8).

      1.2 Weltsprache Französisch

      Französisch ist eine Weltsprache. Sie ist auf allen fünf Kontinenten verbreitet:

       Europa: Frankreich, Schweiz, Belgien, Luxemburg, Monaco, das Aostatal in Italien sowie die britischen Kanalinseln Guernsey und Jersey;

       Amerika: Kanada, Haiti, die französischen départements et régions d’outre-mer (DROM) Martinique, Guadeloupe und Guyana, die collectivités d’outre-mer (COM) Saint-Martin und Saint-Barthélémy in der Karibik und Saint-Pierre-et-Miquelon vor der kanadischen Küste, in den USA (Minderheiten in Louisiana und an der Grenze zu Kanada; Franco-Americans);

       Afrika: Maghreb (Algerien, Marokko, Tunesien), Subsahara-Afrika (Republik Kongo, Kamerun etc.), Indischer Ozean (Mauritius, Seychellen, die DROM La Réunion und Mayotte);

       Ozeanien: Vanuatu, die französischen COM Französisch-Polynesien, Neukaledonien sowie Wallis und Fortuna;

       Asien: Libanon und französische Minderheiten im ehemaligen Indochina (Kambodscha, Laos, Vietnam).

      Zudem ist Französisch neben dem Englischen die wichtigste Sprache der internationalen Kommunikation. So sind beispielsweise die Arbeitssprachen der Vereinten Nationen (UNO) Englisch und Französisch und die der Organe der Europäischen Union (EU) v. a. Deutsch, Englisch und Französisch.

      1.2.1 L1, L2, Fremdsprache und offizielle Sprache

      Die Organisation Internationale de la Francophonie (OIF) zählt 300 Millionen Frankophone in der Welt (2018). Nach dieser Zählung steht Französisch auf Platz 5 der Liste der meistgesprochenen Sprachen der Welt: nach Chinesisch, Englisch, Spanisch und Arabisch. Die meisten Frankophonen (59 %) leben laut OIF in Afrika – Tendenz steigend. Für 2070 prognostiziert die OIF zwischen 477 und 747 Millionen Frankophone weltweit (www.francophonie.org). Diese Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Die OIF verwendet nämlich eine sehr weite Definition von frankophon:

      Revenons-donc au sens commun, qui entend par ‘francophone’ une personne capable de s’exprimer en français, quel que soit son niveau ou sa maîtrise d’autres compétences comme l’écriture ou la lecture. (WOLFF 2014: 3)

      So zählt die OIF auch in Deutschland 12,2 Millionen Frankophone (15 % der Bevölkerung), in Österreich 1,1 Millionen (13 %) und in der Schweiz 5,7 Millionen (67 %). Dagegen sind nach der Schweizer Volkszählung von 2014 nur 22,5 % der Schweizer*innen frankophon (vgl. REUTNER 2017).

      L1

      Konzentriert man sich auf die Erstsprache (L1), dann kommt man nur mehr auf 75,9 Millionen Sprecher*innen des Französischen – und damit auf Platz 14 der meist gesprochenen Sprachen der Welt (2020, Ethnologue1). Diese leben in erster Linie in Frankreich (mit seinen DROM), Québec (vgl. Kapitel 10.1.2), den französischsprachigen Gebieten Belgiens (Fédération Wallonie-Bruxelles) und der Schweiz (Suisse romande) sowie in Monaco, in geringerem Maße auch in Luxemburg, im Libanon und den kanadischen Provinzen Ontario und New Brunswick (WOLFF 2014; vgl. Abb. 1.2 und 1.3). Dazu kommen gebildete urbane Milieus in einigen afrikanischen Staaten (z. B. Kamerun, Republik Kongo) sowie Auswanderer (fr. expats) in allen Ländern der Welt (z. B. französische und deutsch-französische Familien in Deutschland). Auch in einzelnen Staaten können die Zahlen beträchtlich variieren: So sind etwa in Luxemburg laut OIF 92 % der Bevölkerung frankophon, nach der Volkszählung von 2011 bezeichnen aber nur 12 % das Französische als ihre Hauptsprache; die Mehrheit der Bevölkerung spricht Luxemburgisch als L1 (vgl. REUTNER 2017).

      Abb. 1.2:

      Französisch in Europa.

      L2

      Von einer Zweitsprache (L2) – und nicht von einer Fremdsprache – spricht man, wenn die Sprache in einer Region auch im Alltag verwendet wird, beispielsweise zur Kommunikation zwischen Personen mit unterschiedlichen L1 oder als Unterrichtssprache an Schule und Universität (français langue de scolarisation: FLSco). Diese Rolle des Französischen in der Welt ist nicht zu vernachlässigen: Insgesamt besuchen 81 Millionen Schüler*innen weltweit eine französischsprachige Schule. Im Alltag wird L2-Französisch in folgenden Staaten am häufigsten verwendet: auf Mauritius von 73 % der Bevölkerung, in der Republik Kongo von 59 % und