Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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sie weniger den Wechselfällen des Naturlebens ausgesetzt sind. Die Küche wird zum Zentrum einer neuen Technologie. Nahrungskonservierung durch Trocknen, Dörren und Vergären sowie das Verfeinern der Speisen führen zur einer differenzierteren Nutzung natürlicher Ressourcen. Hinzu tritt bald auch die Entwicklung spezialisierter Handwerke. Das Wachstum der Bevölkerung sowie die zunehmende Verknappung der gewohnten Nahrungsreserven waren die auslösenden Momente des Übergangs zur landwirtschaftlichen Nutzung der ökologischen Nische.[148] Jeremy Rifkin stellt fest, die Jäger und Sammler hätten sich aus reiner Not dem Ackerbau zugewendet. Diese Umwälzung sei nicht das Resultat von Reichtum, sondern „Ergebnis der Dissipation der existierenden Vorratsquellen.”[149]

      Mit dem Ackerbau einher geht die Domestizierung von Tieren. Diese dienen zunächst nur als Lieferanten von Fleisch, Milch und Häuten. Hirtenstämme waren vermutlich die ersten, die Pferde und Esel als Zugtiere und Hunde zum Hüten ihrer Herden einsetzten. Thurnwald zeigt am Beispiel des östlichen Afrika, dass Ackerbauern- und Hirtengemeinschaften sich historisch und soziologisch verschieden entwickelten, aber auch oft einander annährten und miteinander verschmolzen.[150] Es sind die extreme Spezialisierung der gesamten Lebenshaltung auf die Viehherden und die damit verbundene einseitige Einstellung der Ernährung sowie die Beschränkung der handwerklichen Tätigkeit, die Hirtenstämme dazu bringen, mit Feldbauern in Beziehung zu treten. Ergebnis ist jedes Mal eine Steigerung der kreativen Potentiale. Mynarek vermutet, dass die Tierzucht auf kultische Ursprünge zurückgeht: „Die Entwicklungslinie verläuft von der kultischen Verehrung der Tiere (die auf der Ambivalenz basiert, dass die Tiere teils als Nahrung, teils als Da seiendes in ihrem Selbstwert erlebt werden) über die kultische Tierhege zur Tierzüchtung.”[151] Durch die Erfindung und stetige Verbesserung des Pfluges und schließlich den Einsatz von Ochsen und später Pferden als Zugtiere, verbessern sich die Bodenerträge bei gleichzeitiger Schonung menschlicher Energieressourcen in Form von Arbeitskraft, die nun für andere Tätigkeiten mehr Freiraum hat.

      Ob mit der Etablierung von Ackerbau und Viehzucht eine Veränderung der Hauptenergiequelle der Gesellschaft einhergeht, ist umstritten. Leslie White[152] behauptet, in Jäger- und Sammlergesellschaften sei menschliche Arbeit die Hauptenergiequelle gewesen, wohingegen die neolithischen Ackerbaukulturen auf Ressourcen in Form domestizierter Pflanzen und Tiere zurückgreifen konnten. Aus diesem Blickwinkel erscheinen arbeitssparende Technologien der Ackerbaugesellschaften dann als Befreiung von drückender Arbeitsfron. Sahlins[153] widerspricht dieser These und hält entgegen, dass in beiden Fällen diese Arbeitskraft aus tierischen und pflanzlichen Ressourcen gewonnen wurde; daher sei der pro Kopf und Jahr zur Verfügung stehende Energiebetrag bei beiden Wirtschaftsweisen gleich. Sahlins Argumentation ist insofern problematisch, weil er die Arbeit als einheitliches Phänomen auffasst und in Bezug auf die Energietransformationen nicht zwischen körperlicher und geistiger Arbeit (zum Beispiel in Gestalt von arbeitssparenden Erfindungen und Entdeckungen) unterscheidet. Außerdem setzt er die Arbeit nicht in Beziehung zur durch sie immer entstehenden Entropie, die sich mit steigender Komplexität der Arbeit erhöht. Entropie ist das Maß, mit der die Unordnung angezeigt wird, die durch alle energetischen Umwandlungsprozesse im Hinblick auf die Umgebung erzeugt wird. Durch das Abbrennen einer Kerze zum Beispiel kommt es zur Auflösung der geordneten molekularen Strukturen des Wachses und der übrigen Bestandteile, bis sich am Ende alle strukturierte Energie in Wärme verwandelt und zerstreut hat, also in die Umgebung verloren geht. Letztlich ist alle auf der Erde genutzte Energie solaren Ursprungs. Durch die Arbeit der Pflanzen wird solare Energie umgewandelt und gespeichert. Frisst nun zum Beispiel ein Zugochse die durch pflanzliche Aktivität gespeicherte Energie, so kann sie in Form seiner Arbeitsleistung wieder freigesetzt werden. Die Arbeit des Ochsen setzt also die energetisch gespeicherte Arbeit der Pflanze wieder frei. H.T. Odum unterscheidet dementsprechend zwischen gespeicherter Arbeit, Bewegungsarbeit und freisetzender Arbeit.[154] Bei dieser Betrachtung darf nicht vergessen werden, dass jede Art von Arbeit mit entropischer Entwertung sog. Degradation einhergeht, weil alle Energie letztlich zu Wärme zerstreut. Diese Wärme ist zwar auch Energie, aber sie kann nur genutzt werden, wenn hierfür zusätzliche Energie (das heißt Energie aus einem anderen System) aufgewandt wird. Alle Energieumwandlungen verlaufen daher in Richtung einer Einbahnstraße. Will man die Arbeit als Energiequelle in Jäger- und Sammlergesellschaften einerseits und in Ackerbaukulturen andererseits miteinander vergleichen, so muss man die spezifischen Formen in Beziehung setzen, in denen die Arbeit geleistet wird und außerdem die jeweilige Geschwindigkeit des Entropiestromes in Rechnung stellen. Der Übergang vom Jäger- und Sammlerleben zum Ackerbau und der Viehzucht ist durch einen Wechsel der energetischen Basis der Gesellschaft gekennzeichnet. Während Muskelkraft die zentrale Energiequelle der Jäger und Sammler ist, markieren die Verwendung von Werkzeugen zur Bodenbearbeitung, die Erfindung des Kreuzpfluges und der Einsatz von Ochsen als Zugtiere und später deren Ersetzung durch die wendigeren Pferde jeweils die Nutzung unterschiedlicher Energiequalitäten. Rifkin nennt diesen Übergang einen Entropieverzweigungspunkt, weil sich der Modus der Entropieerzeugung wandelt. Durch die Erschließung schwerer zugänglicher Energiequellen und die Etablierung von Technologien größerer Komplexität und höheren Energieaufwands kommt es in der Folge zu einer erheblichen Erhöhung der Entropierate. Preis der Entwicklung arbeitssparender Technologien der Bodenbearbeitung und der Ersetzung menschlicher Arbeit durch tierische ist also eine Beschleunigung des entropischen Flusses: „Man kann Stahl, Holz und alle anderen Materialien nur in eine Struktur oder Ordnungsgestalt bringen, die nützlich ist, indem man ein Mehr an Entropie und Unordnung in der Welt als Ganzes erzeugt. Als Ergebnis gibt es weniger 'Ordnung' zum Anzapfen in der Zukunft.”[155] Im Vergleich zur Jäger- und Sammerkultur erzeugen also in der Ackerbaugesellschaft weniger arbeitsintensive Techniken mehr Entropie. Diese Entropievermehrung verursacht gleichzeitig eine enorme Zunahme an Information und an Wissen. Wilber nennt die Entdeckung des Ackerbaus:

      „ ... die bedeutendste Transformation in der Geschichte der Welt (...) die erstaunlichste Mutation des Bewusstseins (...) die es jemals gegeben hat (...) Durch das Aufkommen des Ackerbaus trat die Menschheit in eine weiter gewordene Welt der zeitlichen Abläufe und der Dauer ein. Ihr Leben und ihr Bewusstsein erweitern sich dergestalt, dass sie nun auch die Zukunft einschlossen.”[156]

      Neben der Differenzierung der Sprache wird vor allem die Entwicklung der Schrift zum Instrument einer verfeinerten Nutzung der Naturpotentiale. An die Stelle des magischen Jagdzaubers tritt der Fruchtbarkeitskult um die weibliche Gottheit, die Große Mutter, die zentrale Gestalt der Ackerbaumythologien. Oft ausgedrückt in Statuetten durch die betonte Darstellung von Merkmalen, die mit der Geburt von Kindern zusammenhängen oder von Händen, die auf die Fortpflanzungsorgane weisen. Wie der Ackerbau die Erfahrung des mentalen Ichs erst umfassend ermöglicht hat, so deutet sich in der Gestalt der weiblichen Gottheit doch wieder die Sehnsucht des Menschen nach Ganzheit mit dem Ursprung und Stillung des ontologischen Hungers an. Steht die Muttergöttin der frühen Dorfkultur noch für das eher infantile Verlangen nach uroborischer Verschmelzung im Zustand des ursprünglichen Einsseins, wandelt sich im Zeitalter des neusteinzeitlichen Dorfes das biologische Nahrungs- und Fruchtbarkeitssymbol der Großen Mutter in das Bild der Großen Göttin, dem Symbol subtilen Einsseins und echter Transzendenz, in der auch der Eros als die nie ruhende Macht des Suchens, Ergreifens, Verlangens und Wollens seine Aufhebung in eine transzendente Wirklichkeit erfährt.[157] Doch mit dem Fortschreiten der Strategie der Nischenspezialisierung tritt die Suche nach Transzendenz in den Hintergrund. Rationale Techniken ersetzen allmählich die magischen Praktiken des Umgangs mit der Lebensumwelt. Das Ego differenziert sich immer mehr von der Großen Mutter, der Mutter Natur. In der Verlaufsrichtung westlicher Kultur werden beide Sphären streng dissoziiert, bis die Entfremdung des Ichs von der Natur zur Entfremdung des Ichs vom Körper wird. Gleichzeitig aber wird das Denken zur neuen Waffe, weil es Ewigkeit verspricht: während die Dinge zerfallen, bleiben die Begriffe. Hinweise auf eine andere Entwicklung liefert der Osten. Hier gab es eine entwickelte Kultur organisierter spiritueller Suche nach Ganzheit und Transzendenz. Im Westen hingegen ging es nicht um die Harmonie zwischen Himmel und Erde, sondern um den technologischen Angriff auf die Natur. Planmäßiges Handeln, bis zur Eroberung des Weltraums, drückte hier den Willen der Menschen aus, ihre ökologische Nische zu dominieren.[158]

      Der Ackerbau wird so zum Machtinstrument, um das Gleichgewicht der ökologischen Nische derart zu verschieben, dass allein die menschlichen Bedürfnisse