Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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vormals dominierende Selbststeuerung der Natur zurückgedrängt. Gleichzeitig wird die Komplexität und Vielfalt natürlicher Ökosysteme vermindert. So haben zum Beispiel menschliche Jagdaktivitäten die Mammuts ausgerottet, obwohl die frühen Jagdgesellschaften sich sonst durchaus an das Gleichgewicht der umgebenden Naturräume anzupassen versuchten. Ebenso haben bereits frühe Ackerbaukulturen durch rücksichtslose Brandrodung, Überweidung und Monokultur die Komplexität natürlicher Ökosysteme verringert und höhere Erosionsraten verursacht, als in der Natur durch Steppenbrände, Stürme oder Überbevölkerung vorkommen.[123] Trotz dieser Schäden war die Strategie der Nischenexpansion erfolgreich im Sinne der Erweiterung menschlicher Lebensmöglichkeiten. Immer größere Teile der Energieströme der Umwelt wurden durch den Menschen kontrolliert.

      Unter der Vielzahl der maßgeblichen Faktoren, wollen wir unseren Blick auf die Umgestaltungen der Energie richten, die den unterschiedlichen ökologischen Strategien als unerlässliche Entwicklungsvoraussetzung zugrunde liegen. Energie soll hier also als der gemeinsame Nenner bei der Untersuchung historischer Formen nachhaltiger Wirtschaft dienen. Alle Verhaltensmuster, alle Abläufe, ob von Menschen, Tieren oder Pflanzen, ob von Kometen oder Molekülen, können als Manifestationen von Energie gesehen werden. Auch nicht-energetische Größen wie Wissen oder genetische Information stehen in Beziehung zur Anwendung und Transformation von Energie; so ist auch die Entfaltung von Wissen, wie die Fähigkeit der Erbinformation einen komplexen Organismus zu konstruieren, von der Zufuhr von Energie abhängig. Energie tritt in verschiedenen Formen und Zuständen auf. Alles Leben basiert letztlich auf dem Strom solarer Energie, den die Erde von der Sonne empfängt. Er bildet die Grundlage pflanzlichen Wachstums und darauf basierend, des tierischen und menschlichen Lebens. Alle gespeicherten Energiereservoire wie Kohle, Holz und Erdöl sind letztlich solaren Ursprungs. In der Frühzeit basiert die menschliche Aktivität hauptsächlich auf solarer Energie.[124] Durch die Arbeit und die Entwicklung der Sprache, einhergehend mit dem Aufbau einer leistungsfähigen Neokortex (gutes Gedächtnisvermögen und analytische Fähigkeiten) und einer die Gehirnleistung stärkenden und absichernden Sozialorganisation, lernen die Menschen immer erfolgreicher, in ihrer ökologischen Nische zu überleben. Durch die Beherrschung des Feuers wird eine neue und mächtige Energiequelle erschlossen, die den Handlungsbereich der menschlichen Spezies gewaltig erweitert.

      Leslie White hat versucht, die kulturelle Entwicklung in direkte Verbindung zur Menge der von Menschen in einer gegebenen Zeit transformierten Energie zu bringen. Kulturelle Entwicklung ist nach Whites Ansicht durch die Menge der drei Variablen a) der transformierten Energie, b) der technologischen Instrumente der Energieumwandlung und c) des Größenverhältnisses der dabei zustande gekommenen Produkte zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse formelmäßig bestimmbar. Diese Gleichsetzung von kulturellem Fortschritt mit höherer Energieausnutzung ist jedoch sehr fraglich, denn diesem Ansatz liegt ein Kulturbegriff zugrunde, bei dem ethische und spirituelle Momente offensichtlich überhaupt keine Rolle spielen. Ist die amerikanische Kultur höher entwickelt als zum Beispiel die tibetische, bloß weil sie über Kernkraftwerke, Hunderte von Fernsehprogrammen und Coca-Cola verfügt? Sind die Tibeter kulturell unterentwickelt, weil sie den Buddhismus praktizieren und für sie Demut, Friedfertigkeit und Mitgefühl höher zählen als territoriale Selbstbehauptung oder militärische Schlagkraft? Die Art und Weise der Energietransformation bestimmt die Richtung der kulturellen Entwicklung. Diese Entwicklung jedoch mit Adjektiven wie hoch oder niedrig zu bewerten, setzt eine Meßlatte voraus, die sich nur an bestimmten Parametern kultureller Entwicklung orientiert (zum Beispiel den verfügbaren Möglichkeiten materieller Bedürfnisbefriedigung), während andere Faktoren, wie ethische Haltungen und moralische Standards, unberücksichtigt bleiben.

      Je nachdem, in welcher Weise die Menschen die Energieströme ihrer Umwelt nutzen und für ihre Zwecke transformieren, bilden sich unterschiedliche Formen menschlicher Naturaneignung heraus. Im historischen Rückblick gesehen, haben die beiden Strategien der Nischenexpansion bzw. Nischenanpassung zur Herausbildung jeweils spezifischer Technologien geführt. Diese Formen bildeten sich auf der Basis entsprechender Ressourcenvorkommen und eingebettet in ein System religiöser und magischer Weltanschauungen. Entsprechend der Abfolge in der historischen Entwicklung wird zunächst zwischen Jäger- und Sammlergesellschaften einerseits und Ackerbaukulturen, Hirtenvölkern und Viehzüchtern andererseits unterschieden. Beide Lebensstrategien entfalteten sich auf der Grundlage jeweils unterschiedlicher Verfügbarkeiten lebensspendender Energie. So entwickelten sich Jäger- und Sammlerkulturen auf der Basis knapper, aber gut vorhersagbarer Ressourcen, die jedoch räumlich und zeitlich ungleich verteilt sind. Ackerbaukulturen hingegen entstanden auf der Grundlage dichter und gut vorhersagbarer Ressourcen. Mit der Entwicklung des Ackerbaus wird der Boden zum Hauptexistenzmittel der Menschen. Seine Nutzung ermöglicht die Erschließung und Bildung gewaltiger Energiereserven. Die Eigentumsverhältnisse an Land und Boden werden dabei recht schnell zu Steuerungsinstrumenten im energetischen Austauschprozess dieser Gesellschaften. Eine typische, nachhaltige Form einer Ackerbaukultur ist die auf der gezielten Lenkung hydraulischer Energien durch kollektive Arbeit basierende Asiatische Produktionsweise, die hier deshalb auch ausführlicher beschrieben wird. Auf der Basis von Ackerbaukulturen kommt es zu breitgefächerten kulturellen Entwicklungen: Alphabet, Kalender und Schreibkunst. Zusammen mit der Verfeinerung der Technik (unter schrittweiser Eliminierung ihrer ursprünglich magischen Elemente) entstehen schließlich immer komplexere Möglichkeiten, energetische Potentiale zu erschließen, zu speichern und effektiver zu nutzen. Es entfalten sich Handwerke, Spezialisierungen und gesellschaftliche Arbeitsteilung. Aus Marktplätzen wachsen die ersten Städte.[125]

      Wir wollen die historischen Wirtschaftsweisen hier unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit analysieren. Eine nachhaltige Lebensstrategie soll aber nicht mit der spezifischen Strategie der Nischenanpassung gleichgesetzt werden. Auch Strategien der Nischendominanz können nachhaltigen Charakter haben, wenn sie zu einem stabilen Gleichgewichtsverhältnis von Mensch und ökologischer Umwelt führen. Der Preis dieses Gleichgewichtsverhältnisses ist zwar eine reduzierte Komplexität der ökologischen Systeme, nachhaltige Gesellschaften zeichnen sich aber durch das Bestreben aus, dieses Gleichgewicht als eigene Überlebensbedingung stabil zu halten. So sind tabuisierte Handlungen wie Jagdverbote für Muttertiere mit Jungen, aus Beobachtung der Naturprozesse gewonnene Kulturvorschriften wie Fruchtfolgen (einschließlich Brachphasen) in der Landwirtschaft oder rituelle Speisevorschriften (Verbot des Verzehrs bestimmter Tiere und Pflanzen) Beispiele für Maßnahmen nachhaltiger Gesellschaften, um harmonische Lebensbedingungen in der ökologischen Nische zu sichern. Mit dem Aufkommen industrieller Wachstumsökonomien werden die Strukturen der Nachhaltigkeit weitgehend verdrängt. Damit haben wir auch die Institutionen und Riten verloren, mit denen wir uns in traditionellen Gesellschaften der Natur gegenüber zumindest im Zaum halten konnten. Doch was mit dem Anspruch auf Autonomie des Menschen gegenüber der Natur auftrat, entpuppte sich bald als unerwartete Eigendynamik einer lauthals proklamierten Freiheit, die auch vor ihren Urhebern keinen Respekt kennt. Der menschliche Macht- und Herrschaftsanspruch wendet sich heute gegen seinen ureigensten Schöpfer - gegen den Menschen selbst - gleich einer äußeren, fremden Macht. Die Krise der Natur, entlarvt sich als Krise unserer Strategie der Nischendominanz. Sensible Poeten, Lebensreformer, Alt-Yogis und Blumenkinder, die schon vor Jahrzehnten das gute Leben jenseits der industriell gestanzten Alltagswirklichkeiten suchten, wurden, wo sie auftauchten, zu Objekten von Hohn und Spott der egofixierten, karrieresüchtigen Zauberlehrlinge des Industrieimperiums, die sich noch im Besitz der magischen Formel wähnten. Erst mit dem Aufbrechen der ökologischen Krise mehrt sich die Zahl der Menschen, die sich von der Unwirtlichkeit der Städte und dem entfremdeten industriellen Arbeits- und Lebensrhythmus abgestoßen fühlen und sich nach Einbettung und intimen Beziehungen mit der Natur sehnen. Viele verknüpfen die Hoffnung auf eine Vereinfachung des Lebens in einer ländlichen, natürlichen Umgebung mit der Suche nach einem inneren Lebensweg, einer „Heimkehr in die Ursprungsmitte”[126], von wo sie der Moloch der modernen Zivilisation vertrieben hat. Analysieren wir im Folgenden nun die ökologischen Lebenszusammenhänge der frühen menschlichen Gesellschaften, um zu sehen, ob bzw. wie diese Gemeinschaften ihre Lebenspraxis im Kreislauf der Natur gestalteten. Gehen wir also zurück in eine Zeit, in der sich das Ego aus den Bindungen an die primitive Natur des Körpers gerade zu lösen beginnt, in der sowohl das Erwachen zu einer Individualität als auch der gleichzeitige Verlust des paradiesischen Zustandes träumerischen Verweilens in der großen Kette des Seins die Gestaltungskräfte