Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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Solarenergie, Wasser-, Windkraft usw. in die ökonomische Sphäre und ermöglicht so die Umwandlung von Naturstoffen in Dinge, die menschliche Bedürfnisse befriedigen, um am Ende dann als entropisch degradierte Energie, zumeist in Form von Wärme, wieder abgegeben zu werden. Boulding betrachtet innerhalb der ökonomischen Sphäre jedes Individuum und jede ökonomische Organisation als Knoten in einem Netzwerk von Inputs und Outputs von Gütern und behauptet, dass die Ökonomie als Wissenschaft in erster Linie zeige, wie die Gesellschaft durch Tausch und anderen Transfer von Austauschbaren (wie Zuwendungen) organisiert ist.[80]

      Die Ansicht, dass die Ökonomie die Geld- und Gütersphäre umfasst und wirtschaftliches Handeln ein Handeln bezeichnet, das einen Erfolg mit äußeren, materiellen Mitteln erreichen will, ist auch heute noch weithin akzeptiert.[81] Eine solche Sichtweise macht die monetär definierte Wirklichkeit zur zentralen Grundlage all unserer Handlung und greift auch tiefgehend in die Sphäre der intimsten menschlichen Beziehungen ein. Die Verwendung des Wirtschaftsbegriffs im Bezug auf Produktion, Handel und Erwerb ist jedoch - historisch gesehen - neueren Datums. Unabhängig vom griechischen oikos, welches das haushälterische Umgehen mit den Dingen bezeichnet, und die Wurzel des Wortes Ökonomie bildet, geht das deutsche Wort Wirtschaft etymologisch auf das althochdeutsche wirton zurück, das ursprünglich im Sinne von Schmausen gebraucht wurde. Wie Bernhard Laum[82] ermittelt hat, wurde mit Wirtschaft ursprünglich ein gemeinsames, festliches Mahl bezeichnet. Wirtschaft wurde also eher mit Ausgeben und Verschwenden als mit Produktion und Erwerb in Verbindung gebracht.

      Karl Polanyi[83] hat gezeigt, worauf später noch eingegangen wird, dass die Abtrennung der ökonomischen Sphäre vom Rest der Gesellschaft an die Herausbildung eines selbstregulierenden Systems von Märkten geknüpft ist, welches die Verteilungsmechanismen früherer Gesellschaften, die auf Verwandtschaftsbeziehungen und spezifischen, nichtökonomischen Distributionsregeln beruhten, durch radikal neue ersetzt. Während in früheren Gesellschaften wesentliche Elemente der Wirtschaft in nichtökonomische Institutionen eingebunden waren, etabliert sich mit der Herausbildung umfassender Marktordnungen die ökonomische Sphäre immer umfassender als eigenständiger Bereich mit spezifischen Gesetzmäßigkeiten. Diese Eigengesetzlichkeit der ökonomischen Sphäre hat ihren korrespondierenden Ausdruck in der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung gefunden. Ralph Borsodi[84] hatte schon in den dreißiger Jahren richtig erkannt, dass die meisten ökonomischen Analysen viel zu sehr auf die Erwirtschaftung und Produktion von Reichtum konzentriert sind und dadurch der eigentliche Zweck der Produktion, nämlich menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, oft aus dem Blickfeld gerät. Weil ökonomische Analysen menschliche Aktivitäten in der Regel auf solche beschränken, die mit dem Austausch von Gütern zu tun haben, werden viele wirtschaftliche Transaktionen außer Acht gelassen, die Handel und Austausch nicht involvieren. Borsodi nennt u.a. die familiäre und häusliche Kleinproduktion oder Raub und parasitäre Aneignung. In der feministischen Analyse der reduktionistischen Ökonomie ist die Ausblendung der häuslichen Reproduktion aus der ökonomischen Wertlehre ebenfalls ein zentraler Kritikpunkt. Die herrschende Ideologie von der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, so die feministische Kritik, behandelt die Arbeit der Frauen für die Herstellung lebensnotwendiger Güter so, als käme ihr keinerlei ökonomischer Wert zu, wenngleich gerade diese Arbeit das Überleben und das Wohlergehen der Menschen gewährleistet.[85]

      Das spezifisch Ökonomische der ökonomischen Analyse, das heißt insbesondere die Geld- und Marktbezogenheit der Wirtschaftsaktivitäten, zeigt grundlegende funktionale Defizite, wenn Tätigkeiten und Wirtschaftsbereiche betrachtet werden sollen, deren Allokationsprozesse nicht hauptsächlich auf Markttransaktionen basieren. Indem die Wirtschaftswissenschaft die ökonomische Wirklichkeit als Kosmos mit eigener Gesetzlichkeit analysiert, generiert sie Rationalitätsaxiome, die auf nichts anderes als das Handlungsfeld des Produzierens, Verteilens und Konsumierens verweisen. Die meisten ökonomischen Schulen erklären die auf diese Weise gewonnenen Axiome jedoch zu Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Lebens überhaupt. Seit jeher gibt es in der Wirtschaftswissenschaft die Tendenz, traditionelle ökonomische Methoden auch auf Gebiete zu beziehen, die über ihr originäres Anwendungsfeld weit hinausgehen. Hans Albert[86] hat demonstriert, wie die klassische Ökonomie Marktprozesse als Teilabläufe eines Steuerungsmechanismus behandelt, der zu einer bestimmten Ordnung im sozialen Leben führt. Der klassische Ansatz der Nationalökonomie analysiert soziale Systeme auf der Basis von Gesetzmäßigkeiten - wie Selbstinteresse der Beteiligten, Annahme der Knappheit der verfügbaren Mittel, des Grenzertragsgesetzes und der Idee rationalen Handelns - die zu umfassenden soziologischen Erkenntnisprogrammen hypostasieren. Das Streben, ein einheitliches Prinzip im wirtschaftlichen Handeln zu finden, führt praktisch zu dem skurrilen Phänomen, dass in der herrschenden Ökonomie Marktbeziehungen zum einen als relativ autonomer Teil des gesellschaftlichen Lebens erscheinen, während zum anderen der auf eben dieser Sichtweise basierende Ansatz gleichzeitig zum umfassenden Steuerungsprinzip wird, dessen Gültigkeit nicht auf bestimmte Perioden oder kulturelle Umgebungen eingeschränkt wird.[87] Die spezifischen Bewegungsgesetze der industriell-kapitalistischen Marktwirtschaft erscheinen so als die umfassenden Regulatoren des sozialen Lebens überhaupt und als Prinzipien, die in der inneren Natur des Menschen wurzeln. Die Verfolgung der Eigeninteressen ist dabei die Schlüsselkategorie, die der traditionsökonomischen Sicht unserer Motive und Handlungen zu Grunde liegt. In dieser Weltsicht gibt es keinen Platz für Kooperation und symbiotische Beziehungen; und altruistisches Handeln gar, wie es für vorsorgendes und nachhaltiges Wirtschaften insbesondere im Bereich der häuslichen Reproduktion so typisch ist, gilt hier bloß als dysfunktional und Entgleisung aus der Schiene konkurrenzorientierten, geldvermittelten Wirtschaftens. Dieses Eigeninteresse ist aber überhaupt keine einfache und offensichtliche Sache, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, sondern ein äußerst komplexes Phänomen. Talcott Parsons[88] hat schon in den vierziger Jahren das ökonomische Eigeninteresse kritisch hinterfragt und festgestellt, dass es keinesfalls einfach mit der menschlichen Natur korrespondiert, sondern vielmehr verschiedene Motive bündelt, die unterschiedliche Typen sozialer Situationen betreffen. Parsons hält es für gehaltvoller, diese Strukturen und die institutionellen Veränderungen wirtschaftlichen Handelns zu untersuchen, als das ökonomische Denken auf sehr fragwürdige Annahmen über die angeblich wahre Natur des Menschen zu gründen. Durch die Traditionsökonomie wird bis heute eine Ideologie verbreitet, die es der Gesellschaft nahelegt, das von ihr selbst erfundene Muster von Produktion, Austausch und Konsum nicht als Veränderbares, sondern als ewige Naturgesetzlichkeit anzusehen.

      Eine bestimmte Form separierender Erkenntnisgewinnung geht so mit der Entwicklung einer nischenstrategischen Lebenspraxis einher, die fragwürdige Annahmen über die innere Natur des Menschen schließlich zur ökonomischen Realität werden lässt. Der Modus der Erkennens nimmt also Einfluss auf das gewonnene Ergebnis.[89] Der Reduktionismus der ökonomischen Theorie wäre nicht möglich ohne die jahrtausendealte Dominanz männlichen Denkens, dessen mechanistische Metaphern für Ordnung und Macht, für die Beherrschung der Natur-Maschine und die Unterdrückung des Weiblichen und Kreativen stehen. Das Spontane und Unberechenbare der Natur muss unter die Vormundschaft der Verstandesgesetzlichkeit gebracht werden. Im Deutschland der Aufklärung wird schließlich Kant zum Wegbereiter eines Denkens, das die Natur so betrachtet, als sei sie selbst ein reines Verstandesprodukt.[90] Die organischen Wesen könnten nur begriffen werden, so Kant, indem wie sie uns vorstellen, als ob sie die Produkte des Verstandes wären. Die Harmonie zwischen Natur und menschlichem Erkenntnisvermögen beruht nach Kant nicht darauf, dass der Mensch ein Produkt der Natur ist, sondern die Natur gilt als quasi-menschliches Erzeugnis. Indem Ordnung, Einheit und Regelmäßigkeit auf diese Weise zu Produkten menschlicher Aktivitäten werden, erscheint die Natur somit formal vollständig durch die Gesetzlichkeit des Verstandes bestimmt. Zwar findet sich in Kants Kritik der Urteilskraft noch ein Rest von Bedeutung der Natur, indem ihr Natur zum Beispiel Eigenschaften wie Reinheit und Unschuld zugeschrieben werden; aber hier geht es weniger um Reinheit und Schönheit als sinnliche Rezeptionen, sondern um die intellektuellen Reaktionen auf sie. Und so zeichnet sich die für Kants Werk grundlegende Auffassung von Natur als ein System von Regeln und Zwecken ab, als „Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit”, die der Verstand der Natur vorschreibt. Das erkennende Selbst löst sich auf diese Weise aus dem Dialog mit dem Anderen der Natur und wird zum narzisstischen Ego, das die Natur nötigt, unterwirft und beherrscht. Weil die Vernunft nach Kant