Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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Versuchen einer Neu-Orientierung wirtschaftlichen Handelns an den Naturbedingungen aller ökonomischen Aktivitäten, ist es insbesondere die feministische Kritik, die gegen männliche Destruktivität, Beherrschung der Natur und Konkurrenz die Orientierung an immateriellen Werten und die Forderung nach einer weiblichen Ökonomie geltend macht. Kooperation, Beständigkeit, Dauer und Vorsorge für die Mit- und Nachwelt werden dabei als Leitwerte einer Feminisierung der Wirtschaft beschrieben. Die Kritik der männlichen Ökonomie richtet sich vor allem gegen die Ausbeutung der weiblichen produktiven Potentiale in der Hauswirtschaft, insbesondere in den Ländern der Dritten Welt. Mit der Entwicklung der industriell-kapitalistischen Nischenstrategie bildet sich die marktvermittelte Ökonomie als von männlichen Prinzipien dominierte Sphäre des Wirtschaftshandelns heraus, während die häusliche Reproduktion als Nicht-Wirtschaft definiert wird und als Privatsphäre gilt. Aber gerade in diesem Bereich der Reproduktion des Lebens haben sich jene weiblichen Merkmale ökonomischen Handelns herausgebildet, wie Vorsorge und verantwortliche Kooperation, die im schroffen Gegensatz zum Konkurrenzgebaren und zur Destruktivität des männlichen Wirtschaftshandelns stehen.[64]

      Neben der aktuellen feministischen Ökonomiekritik hat es in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften seit jeher den Strang einer auf Ethik und Moral rückbezogenen Denkrichtung gegeben, die jedoch minoritär geblieben ist. So hat die historische Schule der Nationalökonomie die Veränderungen der Werthaltungen untersucht, die das wirtschaftliche Verhalten von der Frühzeit über die Antike bis heute bestimmt haben, ohne sich jedoch gegenüber der abstrakten und monetär orientierten Ökonomie durchsetzen zu können. Die herrschende Ökonomie ist einseitig auf marktorientierte und geldvermittelte Handlungsmuster hin ausgerichtet. Mit ihr können daher sogenannte primitive, nicht-marktförmig organisierte Gesellschaften oder die Ökonomie der häuslichen Reproduktion überhaupt nicht sinnvoll analysiert werden, da in diesen Bereichen nicht-marktförmige Erzeugungsstrukturen und Verteilungsprinzipien vorherrschen, die durch das Wertesystem der jeweiligen Gemeinschaften geprägt sind. Die westliche Traditionsökonomie spiegelt daher nicht das Spektrum der gesamten Formenvielfalt ökonomischen Handelns (wie ihre exponierten Vertreter nicht müde werden zu verkünden), sondern repräsentiert - bisweilen überdeutlich, mitunter verzerrt - die gesellschaftlichen Planziele ihrer historisch und aktuell identifizierbaren Urheber. Indem die Hauptrichtung der herrschenden Ökonomie das strategische Markthandeln und das Prinzip individualistischer Konkurrenz zur wirtschaftlichen Handlungskonfiguration par excellence erklärt, bildet sie selbst ein zentrales Verursachungsmoment der menschlichen Naturzerstörung und der Verschärfung sozialer Konflikte in der Gesellschaft. Indem sie die Subjektivität des Menschen durch Präferenzen ersetzt und mit dem Axiom des homo oeconomicus egoistisches Verhaltens zum rationalen Verhaltensmodell an sich erklärt, schafft sie selbst eine Welt, in der die Wirklichkeit zu einem Automaten wird, der allein nach ihrem Regelwerk zu funktionieren hat:

       „Dass jeder Mensch in Märkten gewinnen und nicht verlieren will, ist eine Banalität. Das Neue aber war, dass jetzt ausschließlich die egoistische Motivation zählte und dass in ihrem Bilde eine ganze Gesellschaft modelliert werden sollte (...) Was aber, wenn die Wirklichkeit zu genau diesem Automaten wird? Was, wenn aus der Welt zunehmend eine große Maschine wird, die genauso operiert? Das Problem sind nicht die simplifizierten Modelle. Das Problem ist, dass wir Zeugen eines Umbruchs werden, in dem diese Modelle die Wirklichkeit codieren und dadurch selbst wirklich werden.“[65]

      Die herrschende Ökonomie forciert die ökologische Krise! Im Unterschied dazu haben die moralökonomischen Lehren der Vergangenheit krisenpräventiv gewirkt. Maria Mies hat beispielsweise sehr anschaulich beschrieben, wie eine alte Form der Ökonomie, die Moral Economy des 18. und frühen 19. Jahrhunderts auf der Grundlage einer Subsistenzethik und basierend auf den Prinzipien gegenseitiger Hilfe, Reziprozität, Großzügigkeit und Gastfreundschaft, sowie sogenannter Patron-Klienten Beziehungen, eine gänzlich andersartige ökonomische Handlungsgestaltung ermöglicht hat. Nach der Ethik der alten Moral Economy musste das Produkt eines Landes so verteilt sein, dass Subsistenzsicherheit für alle garantiert war. In einer solchen Wirtschaft zielte Arbeit nicht auf Gewinnmaximierung, sondern auf Subsistenzsicherung und Selbstversorgung. Die Beziehung zwischen Mensch und Erde/Natur musste in einer solchen Wirtschaft folglich eine pflegliche und ökologische, aber auch eine sozialer Ausgewogenheit sein. So zogen auch die Korn- und Brotaufstände, die bis 1840 in fast jeder Stadt und Grafschaft in England stattfanden - wie auch die Jakobinischen Revolten - ihre Legitimität aus den Werten der Moralischen Ökonomie. Ökonomische Grundlage dieser Ökonomie war vor allem die Dorf-Allmende, auf deren Nutzung die Armen ein ausdrückliches Recht hatten. Die Fundierung dieses ökonomisches Denkens war dabei gar nicht primär außermenschlich und offenbarungstheologisch, sondern gründete sich auf genaue Beobachtung und intime Kenntnis der Selbststeuerungskräfte der Natur: „Die 'Moral' der Moral Economy basierte nicht auf irgendwelchen Geboten oder Verboten einer irdischen oder außerirdischen Autorität, sondern auf der Kenntnis der ökologischen, sozialen und ökonomischen Grenzen einer bestimmten Region, eines Territoriums und der Gemeinden, die dort lebten.”[66]

      Während sich ethisch und moralisch fundierte Wirtschaftslehren um eine integrierte Sicht von naturprozesslichen Abläufen und gesellschaftlicher Handlungsgestaltung bemühen, ist das ökonomische Denken des industriellen Kapitalismus in seinen Hauptströmungen durch und durch reduktionistisch und auf eine strikte Trennung des Blickfeldes auf Natur und ökonomische Handlungssphäre gegründet. Dieser Reduktionismus führt zur Produktion nischenstrategischer Handlungsmodelle, die ökologisch destabilisierende und destruktive Wirkungen entfalten, weil der Mensch nicht mehr als Naturwesen und in seiner Integration in den ökologischen Mitwelten gesehen wird. Vandana Shiva[67] hat in ihrer feministischen Kritik der westlichen Wissenschaft darauf hingewiesen, dass traditionelle Glaubenssysteme nur äußerst selten zu ökologische Katastrophen auslösenden, nischenstrategischen Transformationen führen, sich also in den meisten Fällen als brauchbar zur Aufrechterhaltung von Natur und Gesellschaft erweisen. Im Gegensatz dazu sieht sie jedoch in der praktischen Umsetzung des modernen, reduktionistischen wissenschaftlichen Denkens eine massive Bedrohung der lebensstützenden Systeme von Mensch und Natur. Diese Bedrohung wird besonders dann manifest, wenn solche Anwendungen in Subsistenzsystemen geschehen, deren Unterhalt sich zuvor auf selbstregulative Kreisläufe von Nahrungsproduktion und Konsumtion stützte.

      Hinter der moralischen Leerstelle der herrschenden Wirtschaftlehre verbirgt sich de facto die Einschleusung einer durch den Bezug auf eine scheinbare wissenschaftliche Objektivität vernebelten, ökologisch und sozial destruktiven Handlungsorientierung. Für eine ökologische Erneuerung sind vom herrschenden Wirtschaftsparadigma keine Impulse zu erwarten, diese kommen eher von den ausgegrenzten Rändern des Faches. Neben der feministischen Kritik an der patriarchalen Markt- und Konkurrenzfixierung gibt es noch einen weiteren Strang ökonomiekritischen Denkens, von dem gleichzeitig starke Impulse für eine Neuorientierung des globalen Wirtschaftshandelns ausgehen: Es ist dies die Rückbeziehung aller Wirtschaftsaktivitäten auf ihre natürliche, stoffliche und energetische Basis, wie sie durch die neue Richtung einer ökologischen oder Bioökonomie verkörpert wird. Wir werden uns im Folgenden hauptsächlich mit den konzeptuellen Entwürfen dieser neuen Richtung auseinandersetzen. Die Analysen der ökologischen Ökonomie beziehen sich auf die stofflichen und energetischen Grundlagen allen Wirtschaftens. Entsprechende Alternativmodelle sind heute insbesondere auf die Begriffe der Vorsorge und Nachhaltigkeit gegründet. Im Unterschied zur herkömmlichen Wirtschaftslehre, die stark durch das mechanische Denken des 19. Jahrhunderts geprägt wurde, und sich den Erkenntnissen der Thermodynamik weitgehend verschlossen hat, stützen sich die konzeptuellen Überlegungen einer am bioökonomischen Paradigma orientierten Wirtschaftsweise wesentlich auf Erkenntnisse der Ökosystemforschung und die Gesetze der Thermodynamik, welche den Verlauf der physikalischen Welt bestimmen. Mit der mechanischen Denkweise in Zusammenhang steht die Vernachlässigung der stofflichen Seite des Wirtschaftsprozesses durch das herrschende ökonomische Paradigma. Die herkömmliche Wirtschaftswissenschaft betrachtet alle wirtschaftlichen Phänomene nur unter monetären Gesichtspunkten und schenkt der Abhängigkeit des Menschen von der Natur keine hinreichende Beachtung. Wenn heute auch zunehmend versucht wird, ökologische Parameter in ökonomische Modelle einzubeziehen, so wird diese Entwicklung doch - wie später noch anhand der Umweltökonomie gezeigt wird - von der Tendenz zur Ökonomisierung aller Dinge