Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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aber sich von ihr allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen (...) sonst hängen zufällige nach keinem vorher entworfenen Plane gemachte Beobachtungen gar nicht in einem notwendigen Gesetze zusammen, welches doch die Vernunft sucht und bedarf.”[91]

      Vandana Shiva[92] hat sehr eindringlich gezeigt, wie die auf Francis Bacon zurückgehende Methode des westlichen Mannes die Welt in männlich und weiblich, rational und emotional, objektiv und subjektiv und schließlich in Fakten und Werte spaltet. In dieser Spaltung sieht Shiva die szientistische Grundlage für die männliche Herrschaft über die Natur, die Frauen und große Teile der modernen Lebenswelt: „Für Bacon war die Natur nicht mehr Mutter, keine weibliche Natur, sondern nur mehr die vom männlichen, aggressiven Verstand eroberte Natur (...) die durch das Baconsche Programm geschaffenen Bilder vom Überwältigen und Beherrschen vermochten gemeinsam mit der Wissenschaftlichen Revolution alle Gefühlsschranken zu beseitigen und die Entblößung der Natur kulturell zu sanktionieren.”[93] Wie die Isolierung des Ökonomischen aus der ganzheitlichen Wirklichkeit, so ermöglicht auch die Zerlegung der Natur in ihre Einzelteile die Schaffung von wissenschaftlichen Maßstäben und Kriterien, die sich von ihrem lebendigen Kontext frei machen und dann als objektive ausgegeben werden. Tatsächlich beruhen sie jedoch gerade auf der Entfremdung von der Natur und der Nicht-Teilnahme an ihren lebenssichernden Zusammenhängen.[94] Durch dieses Erkenntnisverfahren wird der Gegenstand der Erkenntnis aus von einem, in einen bestimmten Zusammenhang Gehörendes, sich Veränderndes, zu einem statisch-zeitlosen Objekt: „Die Isolierung des Objekts aus den lebendigen Zusammenhängen heraus, in denen es lebt, lässt diese für die Gewinnung von Erkenntnissen unwichtig werden (...) Das Ziel der Erkenntnisgewinnung besteht darin, durch exakte Bestimmung seiner Bestandteile das Objekt nach menschlichen Willen selbst herstellen zu können.”[95] Durch die industrielle Nischenstrategie kommt es zur umfassenden Etablierung dieser Erkenntnismethodologie. An die Stelle weiblicher Intuition und des Anschmiegens an die Natur tritt nun die männliche Strategie der Zerstückelung und trennscharfen Bestimmung unter künstlich erzeugten Bedingungen. Macht, Eroberung und Herrschaft treten an die Stelle des Dialogs mit der Natur. Die männlich geprägte Schaffung der ökonomischen Handlungssphäre führt dabei zur Entwicklung spezifischer Handlungskriterien. Was zählt, ist einzig das Berechenbare: „Jeglicher Beitrag, der diese Kriterien (fassbar und messbar zu sein – Anmerkung des Verf.) nicht erfüllt, verliert seine Bedeutung. Die Vorherrschaft dieser engen Kosten- und Nutzenrechnung bewirkt den Verlust unserer Rituale und Tabus, deren Wert sich vor allem in der Langzeitperspektive zeigt.”[96] Durch das Ziel der Naturbeherrschung, so Joan Davis und Gabriela Kocsis[97], kommt es in der männlichen Ökonomie zu einer Verbannung des Göttlichen aus der Natur, zu einer Ent-Zauberung und Ent-Spiritualisierung des Alltags. Einen Gegenpol hierzu bilden die Merkmale von Vorsorge und Pflege als Bestimmungsmomente einer weiblichen Ökonomie.

      Eine ganz anders gestaltete Kritik des ökonomischen Reduktionismus hat Karl Marx geleistet. Anhand des Erscheinungsbildes der klassischen Ökonomie hat er zu zeigen versucht, dass diese Theorie selbst bloß als entsprechender Ausdruck einer bestimmten historischen Situation, nämlich der Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise begriffen werden muss. Sein eigener Ansatz, worauf wir an späterer Stelle noch ausführlicher zu sprechen kommen, hat dem Begriff des Ökonomischen selbst einen neuen Inhalt gegeben. Weil die Ökonomie das ganze Leben beherrscht, werden ökonomische Kategorien zu Universalbegriffen der geschichtlich-gesellschaftlichen Lebenswelt überhaupt - und an eben diese Universalisierung der Begriffswelt einer begrenzten historischen Epoche knüpft die marxsche Kritik an. Marx gebraucht den Ökonomiebegriff dabei durchaus in ganzheitlicher Perspektive. Was er aufzeigen will, ist das Spannungsverhältnis zwischen der Entfremdung des Menschen in der wirtschaftlichen Sphäre ihres Lebens auf dem einen Pol und dem gleichzeitig verfügbaren Potential zur Aufhebung der Entfremdung durch bewusstes und kollektives Handeln auf dem anderen.

      Das bioökonomische Paradigma folgt in dieser Hinsicht durchaus den marxschen Überlegungen, insofern das Wechselverhältnis von Ökonomie und Gesellschaft sowie die Wirtschaft selbst in ihrer konkret-historischen Ausprägung analysiert werden. Wie Marx wendet es sich gegen die Verallgemeinerung der ökonomischen Verhaltensweisen einer spezifischen, historischen Wirtschaftsform zu den ubiquitären Regulatoren menschlicher Gesellschaften überhaupt. Es geht jedoch über Marx hinaus, indem der stoffliche und energetische Charakter des Wirtschaftsprozesses den Ausgangspunkt der Analyse bildet und die Natureigenschaften der Produktion zu den zentralen Parametern des kategorialen Zugriffs gemacht werden. Bioökonomen untersuchen die ökonomische Sphäre in ihrer Einbindung in die ökologischen Systeme der Biosphäre, deren Teil sie ist. Entsprechende Analysen operieren daher nicht ausschließlich mit monetären Kategorien, wie es für lediglich an marktförmigen Austauschprozessen orientierte Modelle typisch ist, sondern sehen die Wirtschaft als Teil eines umfassenden Ganzen, in welchem die Stoffwechselprozesse zwischen Mensch und Natur vermittelt werden. Die Ökonomie von Mensch und Natur wird nicht getrennt, sondern in ihrer wechselseitigen Verknüpfung betrachtet; denn letztlich bestehen wir alle aus den gleichen Stoffen. Dementsprechend wird den Naturbedingungen des ökonomischen Prozesses, das heißt der Analyse der Energieflüsse, der Stoffkreisläufe und der informationellen Struktur der ökologischen Systeme, welche die Bedingung und Basis aller Produktion bilden - ein zentraler Stellenwert zugemessen. Hierin liegt ein entscheidender Unterschied zur traditionellen Wirtschaftslehre, wie auch zur marxistischen Theorie. Weiterhin bestehen Verbindungslinien zur feministischen Ökonomiekritik; sie liegen vor allem in den folgenden vier, sich überschneidenden Perspektiven: zum ersten in einem Produktivitätsverständnis, das nicht auf eine verengte Geld- und Marktperspektive gründet, sondern auch die Arbeit der Frauen, die häusliche Reproduktion und das freiwillige soziale Engagement als äußerst produktive, weil lebensspendende Tätigkeiten auffasst; zum zweiten ist der gemeinsame Bezugspunkt auf therapeutischem Gebiet: in der Perspektive einer nachhaltigen Wirtschaft, in der weibliche Werte wie Schutz, Vorsorge und Lebenserhaltung den ökonomischen Kosmos bestimmen; drittens liegt eine weitere Schnittmenge im übereinstimmenden Interesse an einer Re-Moralisierung der Ökonomie und in der Kritik des scheinheiligen Wertfreiheits-Postulats der herkömmlichen Wirtschaftslehre mit seinen faktisch destruktiven Folgen für die natürlichen Lebenswelten und die in ihnen lebenden Menschen, sowie schließlich viertens in der Orientierung auf Dialog und Verstehen anstelle von Beherrschung und Unterwerfung der Natur. Die Ökonomie hat bisher nur Partialrationalitäten, also Maßstäbe vernunftgeleiteten Handelns hervorgebracht, die nur auf begrenzte Teilbereiche des Lebens anwendbar sind. Eine Perspektive ganzheitlicher Rationalität kann an die Ökonomie offensichtlich nur von außen herangetragen werden. Die innere Rationalität der Geldökonomie mit ihren normativen Implikationen hat in der Vergangenheit zum zweifelhaften Fortschritt in Richtung Irrationalität in Bezug auf die Natur, deren Teil wir sind, und im Hinblick auf die Gestaltungmuster der globalen menschlichen Beziehungen geführt. Rationalität muss, wie Arne Naess richtig festgestellt hat, im Hinblick auf Grundwerte beurteilt werden.[98] Wir brauchen heute ein globales Umdenken, ein neues Weltbild, das unsere Stellung im Kosmos und unsere Beziehung zu anderen Wesen auf ganz andere Weise als bisher beschreibt. Dieses Bild kann aus einer neuen Qualität innerer Erfahrung erwachsen, einer Abkehr von den Abstraktionen wie Geld, Macht oder Mobilität, die uns in die Sackgasse der industriellen Nischenstrategie manövriert haben. Aus dem Fühlen der inneren Einheit allen Lebens kann das Bild eines umgreifenden Selbst entstehen; indem wir uns als das sehen, was wir in Wirklichkeit sind: Teile und Fäden im großen Gewebe des Lebens, in dem alles mit allem verbunden ist. Und es ist das Gefühl dieser Verbundenheit, aus dem große Freude erwächst, die unseren menschlichen Handlungsmöglichkeiten eine neue Perspektive weist. Diese neue Lebensperspektive ist heute auf vielen Gebieten sichtbar. Auf ökonomischen Gebiet ist es die Vision einer Wirtschaft des räsonierenden Umgangs mit Menschen, Tieren, ökologischen Umwelten und Naturstoffen, in der die soziale Entwurfsphantasie das wichtigste Element kreativer Weltgestaltung bildet. Im Bild einer nachhaltigen und vorsorgenden Wirtschaft kann diese Handlungsperspektive eine realistische und für alle nachvollziehbare Gestalt annehmen. Wir wollen daher versuchen, dieses Bild ein wenig auszumalen.

      2. Die Nachhaltigkeits-Metapher als Idealtypus und Realmodell für die Wirtschaft der Zukunft

      Nachhaltigkeitsmodelle stehen im Spannungsfeld zwischen utopischen Idealentwürfen und umsetzbaren Handlungsszenarien, die auf