Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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Lehrsätze auf einem mittleren Abstraktionsniveau zu formulieren, das eher vom wissenschaftlichen Laien als von den obskuren Priestern technologischer Expertokratien verstanden wird.[113] Daly argumentiert gegen das mechanistische, reduktionistische und positivistische Denken, das die Teleologie als Richtschnur früheren Denkens ersetzt hat und plädiert für ganzheitliche Problemlösungsmodelle. Was wir brauchen, ist eine ökonomische Theoriebildung, deren Zwecksetzungen aus Introspektion und Diskurs entspringen, und die offen ist für unterschiedliche, soziale und politische Gestaltungen.[114] So gesehen erheben die bioökonomischen Konzepte keinen Anspruch auf Wahrheit im Sinne einer vollständigen oder definitiven Beschreibung der Wirklichkeit, die auch aufgrund des eingangs beschriebenen erkenntnistheoretischen Dilemmas gar nicht mögliche wäre. Es geht vielmehr um pragmatische Erwägungen und Zielsetzungen eines guten Lebens und eines Lebens in Harmonie mit der Naturordnung, aus deren Realitätsbezug sich zugleich ökologische, soziale und auch spirituelle Orientierungen ableiten lassen. Im Bild der Nachhaltigkeit zeigt sich dabei eine erstaunliche Koinzidenz von theoretischen Zwecken und sozialen Normen.

      III. Historische Formen nachhaltiger Wirtschaft

      Die Geschichte der Menschheit war über Hunderttausende von Jahren durch Nachhaltigkeit geprägt. In diesen langen Zeiträumen wurden die Potentiale für den explodierenden Wachstumstrieb der letzten zwei Jahrhunderte gespeichert. Während des größten Teils der bisherigen Geschichte bildeten Jagen, Sammeln und Subsistenzlandwirtschaft die hauptsächliche menschliche Aneignungsweise der Natur.

      Im Folgenden werden verschiedene Formen menschlichen Stoffwechsels mit der Natur in der Abfolge ihrer geschichtlichen Entstehung unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit untersucht. Hauptgesichtspunkte des Vergleichs sind die Energieflüsse und -transformationen und damit zusammenhängend, das Niveau der entropischen Degradation in den jeweiligen Gesellschaften. Weitere Vergleichsdimensionen sind die Eigentumsverhältnisse und Technologien, sowie die Kulturentwicklungen im Hinblick auf ihre Wechselwirkung mit der energetischen Basis der Gesellschaft. Dabei wird sich zeigen, dass die stofflich-energetischen Austauschprozesse in nachhaltigen Gesellschaften in der Regel mit einer psycho-sozialen Konstitution ihrer Mitglieder einhergehen, die auf dialogischem Austausch, einem Gleichgewicht von Geben und Nehmen und tiefem Respekt vor den höheren Mächten der Naturordnung als lebens- und glücksspendenden Kräften gründet. Wir lehnen uns dabei an verschiedene Epocheneinteilungen der Geschichte an, ohne jedoch eine dieser Systematik zu übernehmen. Die verschiedenen Epocheneinteilungen - sei es nun die Morgansche[115] (Ältere Steinzeit, Jüngere Steinzeit, Eisenzeit, Zivilisation), die Marxsche[116] (Urgesellschaft, asiatische, antike, feudale und moderne bürgerliche Produktionsweise), die konfuzianische[117] (Stadium der Unordnung, fortgeschrittenes friedvolles Stadium, Stadium des absoluten Friedens) oder die übliche klassische Einteilung der Geschichte (Altertum, Mittelalter, Neuzeit)[118] - haben allesamt die Annahme einer stufenförmigen Höherentwicklung der Wirtschafts- und Kulturformen zur Grundlage. In der Hegelschen Philosophie findet diese Auffassung der Geschichte als dialektische Höherentwicklung ihren prägnantesten Ausdruck: Das Gegensatzpaar von Negation und Bewahrung wird zum Motor des geschichtlichen Fortschritts, dessen letztliches Ziel in der Rückkehr des Geistes zu sich selbst auf höherer Ebene liegt. Auch Ken Wilbers Halbzeit der Evolution ist in dieser Hinsicht ein streng hegelianisches Werk, wenn auch mit einer stark religiösen bzw. spirituellen Interpretation des Hegelschen Konzepts. So ist für Wilber der Geschichtsprozess ein langwieriger und mühsamer Pfad zur Transzendenz. Geschichte beginnt für ihn mit dem Verloren-Gegangensein des unmittelbaren Kontaktes mit Gott. Gott und Mensch haben nur mehr durch Hörensagen Fühlung, nicht durch absolute Vereinigung. Geschichte als Bewegung menschlichen Bewusstseins ist so die Erzählung der Liebesaffäre zwischen dem Menschen und dem Göttlichen. Ihr Ziel ist also göttlich, ihr Sinn transzendent. Aus dieser Sicht steht Geschichte für die Entfaltung einer Reihenfolge von Strukturen immer höherer Ordnung, beginnend mit der untersten Ebene und endend mit der höchsten Ganzheit.[119] Die Annahme einer stufenförmigen Höherentwicklung der Geschichte macht - bezogen beispielsweise auf die Entfaltung der Wirtschaftsformen - praktisch jedoch allzu oft den Werte-Horizont des industriellen Kapitalismus zum Beurteilungsmaßstab und neigt zudem dazu, die Formenvielfalt früherer Zeiten als primitiv zu denunzieren. Die Bestimmung der Differenz von höheren bzw. niederen Formen muss zudem auf Kriterien zurückgreifen, die fragwürdig werden, sobald sie den Anspruch erheben, von den Normen und Werturteilen des Vergleichenden unabhängig zu sein. Als fortschrittlich gilt daher zumeist einfach der Status quo: Die Mobilität der Steinzeitmenschen war gering, weil es keine Autos und öffentlichen Verkehrseinrichtungen gab, wie ärmlich muss ihr Leben gewesen sein ohne Computer und Hifi-Technik, ohne RTL2 und Sesamstraße - die Lebensqualität denkbar niedrig. Doch war in anderer Hinsicht ihr Leben nicht auch von heute unermesslicher Fülle: auf der sensorisch-perzeptorischen Ebene immer in engster Verbindung mit dem Körper und der umgebenden Natur, auf emotional-sexueller Ebene eingetaucht in die bioenergetischen Ströme ihrer Libido und noch in enger Verbindung mit den mythischen Mächten des Traums und der magischen Naturkräfte lebend? Wilber war so konsequent, neben dem Gedanken der Höherentwicklung auch den des Verlierens und Vergessens als spielerische Abwärtsbewegung im historischen Prozess der Entfaltung des Geistes einzuführen. Im Gegensatz zur Evolution als Aufwärtsbewegung in der Geschichte bezeichnet er die Involution als Vergessen des Geistes. Der Urknall sei die explosive äußere Grenze der Involution, der Punkt an dem die Materie aus dem Geist in die Existenz geschleudert wurde, das „dröhnende Gelächter der Gottheit, die sich freiwillig zum millionsten Mal verlor.” [120] Wir werden später noch auf die spirituelle Dimension der Energie zurückkommen, ohne die das Leben und der Geschichtsprozess sich nicht hätte entfalten können. Dem Pfad einer Höherentwicklung der Wirtschaftsweisen als Entfaltungsprinzip des Geistes werden wir hier jedoch nicht folgen, weil dies notwendigerweise auf eine trennende Betrachtung der geistigen und der Entwicklung der Reproduktionsgrundlagen der Gesellschaft hinauslaufen müsste. Zudem müsste man nach Kriterien für die Bestimmung von höherentwickelt bzw. primitiv suchen, was schnell auf ein sehr kontroverses Projekt hinauslaufen würde. Ist zum Beispiel der Kannibalismus einiger Eingeborenenstämme primitiver als der industriell organisierte Massenmord der Nazis an Millionen jüdischer Menschen? Sind Psychoanalyse und Verhaltenstherapie fortgeschrittenere Heilverfahren als jahrtausendealte Meditationspraktiken oder die schamanische Ektase?

      In praktischer Hinsicht ist es besser von einer Koexistenz verschiedener Wirtschaftsformen und mit ihnen korrespondierender geistig-kultureller Phänomeme im Geschichtsprozess auszugehen. Daher lösen wir uns an dieser Stelle von vorab formulierten Kriterien und verzichten auch darauf, historische Strukturen vorschnell in komplexe strukturelle Hierarchien oder andere Ordnungsmuster zu pressen. Richten wir unseren Blick zunächst einmal einfach auf die offensichtlichen Naturprozesse, die allem geschichtlichen Handeln und aller geistigen Entwicklung zugrunde liegen. Wählen wir als Leitmotiv unserer Betrachtung das Bild eines stabilen ökologischen Systems, einer Nische, in der sich das Leben Schritt für Schritt entfaltet, wie Harrison Brown[121] es einmal knapp und präzise beschrieben hat:

      „Zu aller Zeit füllen sich alle nur möglichen Nischenräume mit Leben. Und das Leben innerhalb jeder Nische steht in Verbindung zu den anderen lebenden Kräften, die es umgeben (...) Ein solches System kann auch einer Vielfalt von Pflanzenleben, Bakterien, Insekten, Fischen, Amphibien, Reptilien und Säugetieren umfassen, die alle in Harmonie leben. Solche Systeme sind gewöhnlich recht stabil und können für lange Zeiträume existieren; wird jedoch nur einer der zusammengesetzten Bestandteile nennenswert beeinträchtigt, werden alle anderen ebenfalls berührt.

      Der Mensch, als Kreatur, die unerbittlich angetrieben wird, über ihre animalischen Bedürfnisse hinaus zu wirken, entstand im langen Lauf der Evolution in solchen Nischen. Um die materielle Reproduktion seines Lebens zu sichern, ist er gezwungen, am Stoffwechsel der ökologischen Systeme teilzunehmen, in denen er lebt. Dabei steht es dem Mensch frei, seine Beziehungen zur ökologischen Nische auf zwei grundsätzlich entgegengesetzte Weisen zu gestalten: Zum einen kann er sich in die Diversität und das Gleichgewicht seiner Nische einfügen und zum anderen kann er versuchen, die Nische zu dominieren und zu erweitern. Schon sehr früh haben die Menschen sich entschieden, das Äquilibriums-Modell des Einfügens in das Gleichgewicht des ökologischen Lebensraumes aufzugeben und sich zugleich den Opportunitätsträumen verschrieben,