Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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hineindenken. Daran ist nichts Abwegiges. Dichter und Kinder tun es, so Macy, Schamanen und Naturvölker kennen diese Gabe und auch die Vorlebensgeschichten des Buddha, die Jatakas, berichten, wie das vollendete Mitfühlen des geistig Erwachten aus zahlreichen früheren tierischen Inkarnationen erwuchs. Wenn wir die Geschichte der evolvierenden Erde als unsere eigene erkennen, kann sich unser Zeitbewusstsein entscheidend erweitern. Wir können dann eine starke Verbundenheit mit Vergangenheit und Zukunft empfinden. Aus dieser Einstellung entwickelt sich echte Fürsorge um die natürliche Mitwelt.[72]

      Von solch einer erweiterten Rationalität sind wir heute leider weit entfernt. In der Wirtschaft herrscht Das große Fressen zukunftsloser und morbider Wachstumskolosse. Wir halten uns offenbar für die letzte Generation. Wenn die Zukunft gestrichen ist, braucht man sich nicht um das Land zu kümmern, auf dem wir leben. Zu einem erheblichen Teil hat uns das ökonomische Zweck-Mittel-Denken in diese katastrophale Situation hineinmanövriert. Die ökonomische Sicht der Welt, die sich auf das nur seinen eigenen Vorteil suchende ego oeconomicus gründet, hat die Welt fein säuberlich in verschiedene Schichten zerteilt. In der Wirtschaftssphäre herrscht das Wolfgesetz der Individualkonkurrenz und der persönlichen Gewinnmaximierung über alle menschlichen Beziehungsmuster. Wenn von Ethik und Moral gesprochen wird, so weist die ökonomische Logik zumeist jede Verantwortung von sich und deutet schlicht auf die Kompetenz außerökonomischer Sphären, in denen über solches zu entscheiden sei. Die Wirtschaft selbst gehorche hingegen keinen anderen Gesetzen als jenen, welche die Rationalität des Marktes selbst hervorgebracht hat. Und wer diesen keinen Tribut zolle, habe folglich in ökonomischen Daseinskampf des survivel of the fittest keine Überlebenschance. Werfen wir im Folgenden einen genaueren Blick auf diese Bestimmung der Sphäre des Ökonomischen, sowie ihre Abgrenzung von anderen Lebensbereichen, dabei wird sichtbar, wie das herkömmliche und das bioökonomische Paradigma wirtschaftliches Handeln jeweils ganz unterschiedlich definieren.

      1. Ökonomie als Teil eines Ganzen

      Die ursprüngliche Wirklichkeit ist eins und ungeteilt. Wird von der ursprünglich ungeteilten Wirklichkeit ein Raum abgetrennt oder eine Sphäre abgesondert, so entsteht jeweils ein Kosmos mit einer nur ihm eigenen Logik und Struktur.[73] Wenn wir den Weg dieses Separierungsvorgangs verfolgen, können wir mit großer Genauigkeit die Grundformen rekonstruieren, die in unserem Falle der ökonomischen Wissenschaft zugrunde liegen. Wir können auf diese Weise erkennen, wie die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten unserer eigenen Erfahrungswirklichkeit sich mit unerbittlicher Notwendigkeit aus dem ursprünglichen Akt der Trennung und Loslösung ergeben. Die Absonderung der Sphäre des Ökonomischen stellt einen Versuch dar, Verschiedenheiten in einer Welt zu unterscheiden, in der Grenzen auch ganz anders gezogen werden können. Am Anfang der ökonomischen Unterscheidungen steht unser Begehren, das auf ein Selbst zentrierte Verlangen nach Stabilität, Dauer, Ausbreitung und Wachstum. Ohne dieses Motiv könnte es keinen ökonomischen Kosmos geben, so wie es ohne unterschiedliche subjektive Wertschätzung kein Unterscheidungsmotiv geben könnte. Was wir letztlich als ökonomische Wirklichkeit auffassen, besteht in seiner äußersten Präsenz nur aus Zeichen und Ausdrücken. Da jedoch Zeichen und Ausdrücke immer nur als Repräsentationen von etwas anderem aufgefasst werden, können wir die ökonomische Wirklichkeit nur als konstruierte Wirklichkeit auffassen. Im Prozess der ökonomischen Kategorienbildung schaffen wir folglich selbst neue Strukturen der Wirklichkeit und expandieren auf diese Weise die Ordnung der realen Welt. Ökonomische Kategorien spiegeln also keine vorhandene, objektive Wirklichkeit wider, sondern gliedern die Wirklichkeit in eine Ordnung und pyramidale Struktur, gesteuert durch die Triebkräfte menschlichen Begehrungsvermögens. Wir, die wir die Welt in ökonomischen Begriffen beschreiben und entsprechend dieser Begriffe handeln, bestehen letztlich aus dem, was wir beschreiben. Erst durch unser Denken und Handeln erschaffen wir die Realität der wirtschaftlichen Welt. Aber im ökonomischen Erkenntnisblick unterstellen wir die Welt als getrennt von uns, als menschlichen Zwecken dienstbarer Gegenstand und Objekt menschlicher Begierde.[74] Wollen wir die Trennung überwinden, müssen wir zurück zum ursprünglichen Gefühl des Einen und Ungeteilten finden, das jenseits aller sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten liegt. Mit den vielen anderen Separierungsleistungen menschlicher Weltbeherrschung hat uns auch die Schaffung der ökonomischen Partialrealität von der Einen und ungeteilten Wirklichkeit in jenes Leid des Dualismus geführt, wo das Andere des Ich nur noch als jederzeit verfügbares und ewig nutzbares Objekt erscheint.

      Die traditionelle Wirtschaftstheorie begreift die Ökonomie als Sphäre mit eigener Gesetzmäßigkeit und definiert dementsprechend die Wirtschaftswissenschaft als eine Disziplin, die sich mit den Problemen der Herstellung und Verteilung von Wohlstand befasst. Wenn der ökonomische Handlungskosmos auf diese Weise abgegrenzt wird, dann entsteht eine Wirklichkeit, in der alle Dinge nur insoweit zählen und Wert besitzen, als sie ökonomischen Verwertungsinteressen zugänglich sind oder zugänglich gemacht werden können. Dieser ökonomische Reduktionismus unterwirft die ganze Welt der Herrschaft seines Kategorienapparates, bis am Ende nur noch das zählt, was in Geld ausdrückbar ist und Profit abwirft. Solche Abtrennung der ökonomischen Sphäre mündet folglich in die Schaffung einer Welt, in der nur Geld, Gewinn, ökonomische Interessen und Verfügungsmacht eine wirklich entscheidende Rolle spielen, während alles weitere in den Bereich des Sekundären bis Nicht-Existenten fällt. In Opposition dazu hat sich das bioökonomische Paradigma in der Kritik an der Eigengesetzlichkeit und der Loslösung wirtschaftlichen Handelns von den Naturbedingungen menschlicher Existenz entwickelt. Die Abgrenzung dessen, was unter Ökonomie zu subsumieren ist und was nicht, ist daher ein entscheidender Konfliktpunkt zwischen dem herrschenden und dem alternativen Paradigma. Dieser Konflikt bezieht sich sowohl auf die äußere Wirklichkeit als auch auf die Methoden, mit der die ökonomische Theorie diese Wirklichkeit begrifflich bearbeitet. Das neue Paradigma markiert in gewisser Hinsicht die kopernikanische Wende in der Ökonomie: Während die (neo)klassische Sicht die Ökonomie ins Zentrum stellt und dabei die Ökosysteme allenfalls als eine Teilmenge des ökonomischen Kosmos zulässt, steht für das nachhaltige Paradigma der ökologische Handlungsraum im Mittelpunkt, an deren Rändern sich erst die ökonomischen Systeme als periphere Zonen ansiedeln.[75] Solche naturbezogenen Ansätze können auf eine zum Teil schon längere Tradition zurückblicken. Neben der physiokratischen Lehre von der Natur als Quelle allen Werts aus dem 18. Jahrhundert finden sich Bausteine des bioökonomischen Paradigmas auch bei den Energieökonomen des 19. Jahrhunderts sowie im nationalökonomischen Denken von Rudolf Steiner. Auch Steiner vertrat die Ansicht, dass der volkswirtschaftliche Wert - von einer Seite gesehen - die Naturproduktivität umgewandelt durch menschliche Arbeit ist. Er insistiert dabei jedoch auf dem Geist, als der Kraft, welche die Naturpotentiale in gesellschaftliche Werte transformiert. Der volkswirtschaftliche Prozess, so Steiner in seinem ganzheitlichen, weil Geist und Natur umgreifenden Ansatz, zieht aus der Natur seine Nahrung und wird auf der anderen Seite durch den Geist reguliert.[76] Eine frühe Kritik am ökonomischen Reduktionismus mit ganzheitlicher Perspektive hat auch George Bataille geübt: Die Wirtschaftswissenschaft verfolge bloß partikulare Interessen und ziehe niemals die Energietransformationen auf dem Erdball, das Spiel der lebenden Materie in Betracht.[77] Auch Fritjof Capra entwickelt eine ganzheitliche Sicht der Wirtschaft, in der diese nur ein Aspekt eines umfassenden ökologischen und gesellschaftlichen Gewebes ist; ein lebendiges System aus Menschen in Interaktionen mit ihrer natürlichen Umgebung, die zumeist auch aus lebenden Organismen besteht.[78] Etwas näher am traditionellen Paradigma ist die Definition von Kenneth E. Boulding, der die Wirtschaft als Teilmenge der gesamten Welt auffasst. Die ökonomische Sphäre bilde einen Teil der gesamten Biosphäre: „Wir können uns die ökonomische Sphäre in jedem Augenblick als den gesamten Kapitalstock vorstellen, das heißt die Menge aller Objekte, Menschen, Organisationen usw., die vom Standpunkt des Austauschsystems her von Interesse sind.”[79]

      Es kommt bei dieser Betrachtung sehr auf die Wahl der Beobachtungsparameter an. Die herkömmliche Wirtschaftslehre untersucht in erster Linie preisgesteuerte Allokationen, wie sie über Geld und Märkte vermittelt werden. Bioökonomische Wahrnehmungsraster rekurrieren dagegen vor allem auf die real ablaufenden Austauschprozesse: Vom stofflichen Gesichtspunkt aus gesehen, wandern ständig Objekte von der nichtökonomischen in die ökonomische Sphäre, wo sie in vielfältiger Weise konsumiert werden, um schließlich als Abfall in der einen oder anderen Form wieder in den nichtökonomischen