Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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grundlegenden ökodynamischen Prinzipien liegen - vereinfacht ausgedrückt - darin, dass alle lebenden Systeme in Richtung eines klimaktischen, stabilen Zustandes tendieren und bestrebt sind, ihre Strukturen und ihr Verhalten zu konservieren, weiterhin dass sie selbstgesteuert arbeiten und nachhaltige Gleichgewichtszustände anstreben und auf Störungen ihrer Stabilität schließlich, jedes Mal mit der Suche nach neuen klimaktischen Zuständen reagieren.[45]

      Im Konzept einer nachhaltigen Wirtschaftsweise wird die Re-Orientierung an ökologischen Steuerungsprinzipien zunächst um die Begriffe der Stabilität, Diversität (Artenreichtum und Artenvielfalt) und Komplexität gruppiert und später um die Aspekte der Energietransformation, der Stoffkreisläufe und der Entropie (Ausdruck der unumkehrbaren Verlaufsrichtung aller energetisch-physikalischen Prozesse) erweitert. Wie später anhand der Entropiediskussion gezeigt wird, ist das Phänomen der Komplexität von zwei Seiten her zu betrachten: Einerseits ist die Entstehung moderner Industriegesellschaften durch eine gewaltige Zunahme an Komplexität auf allen Stufen der gesellschaftlichen Organisation gekennzeichnet, während andererseits dieser Komplexitätszuwachs in der gesellschaftlichen Sphäre mit einer allgemeinen Komplexitätsreduktion, das heißt der Rückführung auf einfache Strukturen (zum Beispiel durch Raubbau und Monokultur) im Bereich der ökologischen Systeme bezahlt werden muss, auf deren Kosten sich die menschliche Nischenstrategie etabliert.

      Wenn wir zwischen stofflichen, energetischen und gesellschaftlichen Betrachtungsebenen unterscheiden, kommen wir nicht umhin, verschiedene Prinzipien zu formulieren, welche die jeweils unterschiedlichen Verlaufsrichtungen der zu untersuchenden Prozesse bestimmen. Materielle Austauschprozesse kennen weder Zu- noch Abnahme. Es sind lediglich die Formen der Stoffe, die sich in unendlichen Kreislaufbewegungen über Zerstörung zu Neubildung, erneuter Zerstörung und folgende Neubildung usw. verändern, aber dabei letztlich weder an Quantität gewinnen noch verlieren. Stoffliche, also unter dem Gesichtspunkt des Materieaustausches auftretende Prozesse sind jedoch vom Standpunkt der energetischen Transformationen aus gesehen Verlustvorgänge, weil durch eine Zunahme von Entropie gekennzeichnet. Was allerdings materiell als Umformung und energetisch als Verlust erscheint, ist von der gesellschaftlichen Ebene der Verwandlung von Naturstoffen zu Gebrauchswerten her betrachtet, die Erwirtschaftung eines Überschusses, der aufgrund seiner Nützlichkeit menschliche Bedürfnisse befriedigt. Bei der Diskussion um Strategien zur Überwindung der Kontraproduktivitäten der industriellen Wachstumswirtschaft und Wegen zur Nachhaltigkeit sollte man diese unterschiedlichen Betrachtungsebenen nicht aus dem Blick verlieren.

      Das Konzept einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, einer in gewisser Hinsicht stationären Wirtschaft, die eine Harmonie von Mensch und Natur anstrebt, geht auf John Stuart Mill zurück, der schon vor über hundert Jahren vorausgesehen hatte, dass am Ende des progressiven Wachstums der stationäre Zustand als unwiderstehliche Notwendigkeit liegt, und der in ihm einen erstrebenswerten Zustand menschlicher Entwicklung sah.[46] Umfassendere neue Überlegungen einer Steady-State-Wirtschaft wurden von Herman E. Daly[47] in den siebziger Jahren vorgetragen. Weil in einer begrenzten Welt nichts mit unbegrenzter Geschwindigkeit wachsen kann, fordert das Steady-State-Konzept, dass bestimmte physische Größen konstant zu halten sind, um die Nischenstrategie des Menschen mit den Existenzbedingungen seines ökologischen Lebensraums in Einklang zu bringen. Dadurch soll der menschlichen Gattung eine maximale Lebensdauer ermöglicht werden. Dalys Konzept bezieht sich nur auf das Konstanthalten von physischen Größen. Keinesfalls sollen Wissen, Information, kulturelle Entwicklung und andere nicht-physische Größen konstant gehalten werden. Heute wird offensichtlich, dass der herrschende industrielle Wachstumskurs nicht unbeschränkt fortgeführt werden kann. Die Menschheit befindet sich vor einer Transformationsperiode, deren wahrscheinliche Strukturen sich bereits deutlich abzeichnen. Aus dieser Perspektive erscheint die ökologische Krise nicht als bloße Katastrophe, sondern auch als eine Chance zur Umwandlung. Veränderung wird somit zum Leitbild der Zukunftsentwicklung.[48]

      Das Konzept einer nachhaltigen, auf Stabilität und Dauer gerichteten Wirtschafts- und Lebensweise gründet auf Erkenntnissen gewonnen aus der Beobachtung natürlicher Ökosysteme und traditioneller Mischkulturen. Anstelle des Kampfes gegen die Natur stehen hier Kooperation und Dialog mit der Lebensumwelt. Orientierungspunkte sind maximales Verstehen und minimale Einmischung. Die gesellschaftliche Perspektive liegt in einem Zusammenschluss sich auf eigene Kräfte stützender kommunaler Einheiten auf der Basis innerer Autonomie und Stärke. Solche konzeptionellen Orientierungen sehen die Wirklichkeit als komplexes Netzwerk vielfach ineinander verwobener Faktoren, die sich alle in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander entwickeln. Nicht nur in der modernen Systemtheorie und Arthur Koestlers Idee des Holons als Entität finden sich Muster eines solchen Bildes der Wirklichkeit, sondern bereits im Lehrgebäude des Pali-Buddhismus wird mit der Metapher vom Juwelennetz Indras das Entstehen aller Dinge in Abhängigkeit gelehrt. Das Juwelennetz Indras verkörpert im frühen Buddhismus die Lehre vom Entstehen in Abhängigkeit, die besagt, dass sich alle Phänomene wechselseitig bedingen. An jeder Verzweigung dieses Netzes liegt ein lichtreflektierendes Juwel (das heißt ein Phänomen, Ding etc.) und jedes Juwel enthält ein weiteres Netz ad infinitum. Aber jedes Juwel existiert nur als Reflexion aller anderen und besitzt keine Selbstnatur. Alle Phänomene können daher mit dem Ganzen identifiziert werden. Keines hat eine Eigenexistenz, außer als Manifestation des Ganzen.[49] Unsere Bild von uns selbst und unsere Wahrnehmung der Natur sind keine separaten Entitäten, sondern Teile einer zusammenhängenden komplexen Realität. Der Zustand der Welt hängt maßgeblich vom Zustand unseres Denkens und Fühlens ab. Ökologische Veränderung beginnt daher mit einer veränderten Wahrnehmung unseres Selbst und der Art und Weise unseres Seins in der Welt. Die Umgestaltung des eigenen Selbst ist der erste Schritt einer ökologischen Umgestaltung der Wirklichkeit.

      Fragen der Wirtschaftsweise sind immer Fragen der menschlichen Naturbegegnung, weil ohne Natur weder Produktion noch Verbrauch möglich sind. Die Art und Weise, wie wir mit Natur umgehen, wird durch kulturelle und religiöse Faktoren nachhaltig gesteuert. Die Gewalt, die der Mensch gegenüber der Natur ausübt steht im engen Zusammenhang mit entfremdeten Lebensstrukturen und Herrschaftsverhältnissen innerhalb der menschlichen Gesellschaft selbst. Vielfach ist vermutet worden, dass die naturzerstörerische Wachstumsdynamik auch eine Auslagerung und Abwälzung sozialer Konflikte auf dem Rücken der Natur ist.[50] So wie die Vorstellung, dass der Mensch die Natur beherrschen müsse direkt aus der Beherrschung des Menschen entstanden ist[51], so schließt die Forderung nach einer ökologienahen Wirtschaftsweise auch die Perspektive einer humanen und von Ausbeutung freien gesellschaftlichen Ordnung ein. Es gibt gute Gründe zu hoffen, dass ein neues Verhältnis des Menschen zur Natur auch zum Vehikel eines neuen Verhältnisses der Menschen zueinander werden kann. Wenn es keine Schlachthöfe und industrielle Massentierhaltung mehr gibt und einmal ein erweitertes Selbst an die Stelle selbstsüchtiger Ich-Ziele tritt, könnte es dann noch Kriege geben? Wie sehr die Unterwerfung der Natur und die Unterdrückung des Menschen miteinander verzahnt sind, zeigt auch die Deformation des menschlichen Körpers in der Industriegesellschaft. Es sind nicht allein in der Bundesrepublik die Millionen behandlungsbedürftiger Neurotiker, Alkoholkranker und Drogenabhängiger, die trauriges Zeugnis über die Zerstörung der Leiblichkeit durch eine auf abstrakte Zielgrößen wie Geld, Macht und Prestige gerichtete Lebensform ablegen, sondern bereits das Ineinanderwirken zwischen seit früher Kindheit erzwungener Erregungsbeherrschung einerseits und dem Dauererregungszustand des Einzelnen durch Hektik, Lärm und Stress der industriellen Lebensumwelt andererseits, die den verspannten und schmerzenden Körper zum verzerrten Spiegelbild gesellschaftlicher Spannungen macht. Die industriell-kapitalistische Wachstumsdynamik hat die Gier des Menschen bis aufs Äußerste angestachelt und damit den Menschen aus der Selbstgenügsamkeit und Ganzheit, dem In-sich-Ruhen früherer Wirtschaftsweisen herausgeschleudert.[52] Doch die Gier nach grenzenlosem Sinnengenuss kann ihr selbst gegebenes Versprechen nicht einlösen. Statt neue und dauerhaft befriedigende Erfahrungsqualitäten zu verschaffen, hat die kapitalistische Lebensform mit ihrer auf den Protestantismus zurückgehenden Ethik den Menschen der ursprünglichen Sinnlichkeit seines Körpers enthoben, während sie ihn gleichzeitig in gigantische virtuelle Scheinwelten katapultiert. Immer mehr lösen sich die Menschen so von den sinnlichen Qualitäten unmittelbarer Naturbegegnung und echter menschlicher Kommunikation, um uneinlösbaren Glücksversprechen in phantasmagorischen Scheinwelten nachzujagen.

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