Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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sagen, dass es in der Diskussion eine Verschiebung des Gegenstandes vom Knappheits- zum Verschmutzungsproblem hin gegeben hat. Dennoch wäre es falsch, Entwarnung an der Knappheitsfront zu melden. Die meisten der Prognosen, die behaupten, dass Engpässe an Rohstoffen und Energie in naher Zukunft nicht zu erwarten seien[23], gehen lediglich von den verfügbaren Bruttoenergien aus und stellen nicht hinreichend die Tatsache in Rechnung, dass durch die Ausbeutung immer entfernter liegender und schwerer zugänglicher Lagerstätten zusätzliche Energiekosten anfallen.[24] Steigende Energieerschließungskosten manifestieren sich häufig in zunehmenden Umweltschäden.

      Weil die Aufnahmekapazität der Umwelt für Schadstoffe begrenzt ist, sind viele Umweltschädigungen irreparabel. Jede Zerstörung der Natursysteme schlägt auf die menschliche Lebenssphäre zurück, weil der Reichtum der Natur die Grundlage jeglicher Produktion und jeglichen Konsums - heute und in der Zukunft - bildet. Die sogenannte Übernutzung der Ökoreserven und der Verbrauch erschöpflicher Rohstoff- und Energievorräte verursacht steigende Kosten, die in der Regel jedoch nicht von den jeweiligen Verursachern, sondern von der Allgemeinheit getragen werden müssen. So zum Beispiel die negativen Folgekosten des Straßenverkehrs, die sich u.a. aus den Folgekosten von Straßenverkehrsunfällen und bereinigten Verkehrswegeausgaben ergeben. Was im Bruttoinlandsprodukt als Wachstum erscheint, sind zu einem nicht unerheblichen Teil Kosten der Regulierung von Umweltschäden. Viele ökonomische Berechnungsverfahren stellen die tatsächlichen Verhältnisse völlig auf den Kopf, indem sie solche „Negativkosten” als Wertsteigerungen verbuchen. Folglich tauchen sie im BIP mit positiven Vorzeichen auf und indizieren somit Wachstumszuwächse, wo in Wirklichkeit Schädigung und Zerstörung vorliegen. Die Erfolge vieler ökologisch sinnvoller Einzelmaßnahmen werden zudem durch sprunghaft steigende ökologische Gefährdungen in anderen Bereichen wieder mehr als ausgeglichen. Schon 1992/93 stellte der Bericht des Umweltbundesamtes Daten zur Umwelt fest, dass der zurückgehende Ausstoß von Stickoxiden bei PKW aufgrund der Verwendung von Katalysatoren durch den immens steigenden Straßengüterverkehr bereits zu dieser Zeit glatt überrollt wurde.[25]

      All dies zeigt, dass die sogenannte Umweltkrise nicht mit ein paar Kraftwerksfiltern oder Katalysatoren in den Griff zu bekommen ist. Was nützt es schon, den Energieverbrauch von Kraftfahrzeugen pro 100 Kubikzentimeter durch technische Neuerungen drastisch zu senken, wenn gleichzeitig, insbesondere in Schwellenländern wie China oder Brasilien, Zahl und Stärke der Automobile drastisch zunehmen? Solange unser gegenwärtiger Denk- und Lebensstil anhält, werden solche Einspareffekte durch Mengeneffekte wieder größtenteils kompensiert.[26] Unser destruktives Umwelthandeln ist Folge unserer Begierden, unserer Triebe und Leidenschaften, und der Zustand der Welt ist das, was durch dieses Begehrungsvermögen zum Ausdruck gebracht wird. Der größte Teil der oberflächlichen Umweltbewegung ist ganz auf singuläre technische Umgestaltungen hin orientiert, ohne unseren Lebensstil selbst mit auf den Prüfstand zu nehmen. Konflikte werden gelöst, indem versucht wird, die äußeren Bedingungen an unsere Bedürfnisse und Dispositionen anzupassen. Probleme müssen lösbar sein, sonst wird ihre Bearbeitung verweigert. Der soziale Trugschluss dieser Lebensorientierung liegt vor allem darin, zu glauben, ein gutes Leben vor allem durch wirtschaftliche und technische Entwicklung erlangen zu können. Doch obwohl die Menschheit so gewaltige Ressourcen erschlossen und die wissenschaftliche und technologische Entwicklung so weit vorangetrieben hat, klaffen wissenschaftlich-technische Entwicklung einerseits und ethisch-moralische Entwicklung andererseits doch weit auseinander. Obwohl die Mittel verfügbar wären, allen Menschen die Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens zu verschaffen, stehen viele dieser Mittel und große Teile des technischen Fortschritts im Dienste destruktiver und inhumaner Ziele. Die Art, wie wir versuchen Probleme zu lösen und wie wir unsere Mitwelt und Mitmenschen behandeln, lässt ein fundamentales Defizit erkennen, das durch technische Manipulation kaum zu beheben sein wird, weil es tief in der psychologischen Konstitution unserer Welt- und Lebensordnung begründet liegt. Worum es also letztlich geht, ist die Infragestellung der Fundamente unserer industriell geprägten Wirtschaftsweise im Hinblick auf ihre Behandlung innerer wie äußerer Natur. Zu lange waren wir blind gegenüber den Folgen unseres Tuns und haben die Kosten unserer Wirtschaftsweise durch andere bezahlen lassen: Die ausgerotteten Tier- und Pflanzenarten, die Menschen in den Ländern der Dritten Welt und auch die zerstörten Naturräume tragen die externalisierten Kosten der industriellen Wirtschaftsform, die in keiner Bilanz als Sollposten zu Buche schlagen. Erst jetzt, da die Gefahren der Umweltzerstörung zur offensichtlichen menschlichen Existenzgefährdung führen, setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass wir alle den Folgen unserer Taten nicht entkommen können. Eine Erkenntnis, die in den Religionen des Ostens immer gegenwärtig war und mit der Lehre vom Karma schon seit Jahrtausenden die tiefe Weisheit im unbewussten Gedächtnis alles Lebendigen überliefert hat.

      In diesem Buch wird die These vertreten, dass die industriell-kapitalistische Strategie menschlicher Naturaneignung Ausdruck einer entfremdeten Bedürfnisstrukturierung ist, die aus der Entfernung von unserer tieferen menschlichen Natur resultiert. Diese Strategie des Umgangs mit unseren Mitwelten ist in Widerspruch zur Funktionsweise der Natursysteme getreten, auf deren Basis sie sich einst entfaltete. Es soll gezeigt werden, dass viele dieser Kontraproduktivitäten, die aus dem Wachstumsfetischismus der industriellen Ordnung resultieren, durch eine Re-Orientierung auf die Naturbedingungen menschlicher Existenz geheilt werden können. Der Industrialismus ist die Vergegenständlichung einer inneren Erfahrungsdimension in eben ihren destruktiven Komponenten. Die existentielle Erfahrung des aus der Natur herausgelösten, ihr gegenübertretenden Subjekts mündet in die Schaffung eines Ichs, dessen fundamentaler Lebenswille sich im ich-brauche, ich-will schon als primäre frühkindliche Lebenserfahrung artikuliert. Es ist die Erfahrung existentieller Isolation, die uns zur Errichtung gigantischer Imperien der Bedürfnisbefriedigung treibt. Im Kontext der Philosophie Martin Heideggers ist der Griff nach den Dingen der Welt nichts anderes als ein Phänomen existentieller Flucht, entstanden aus der Angst, die aus der Konfrontation mit dem Tod als Möglichkeit der eigenen Nicht-Existenz entspringt. Tatsächlich haftet unserem zerstörerischen Umwelthandeln in vielen Aspekten das Merkmal existentieller Flucht an. Wobei es sich jedoch nicht um eine bloße Flucht vor dem Tod als der angsteinflößenden, äußersten Möglichkeit des Daseins handelt, sondern um eine bewusstlose Abwendung von den inneren Dimensionen des Seins, die vornehmlich als Langeweile, Unbehagen und Schmerz wahrgenommen werden. In der entzauberten Welt der modernen Industriekultur sucht man das Glück im Technikzauber und in den Heilsversprechen der Reklamebotschaften und Supermarktregale, während die Tore zur inneren Erfahrung des Seins von Dornenhecken bewachsen im tiefen Dornröschenschlummer liegen. Wo Schönheit, Glück und Erfüllung nicht in den Innenräumen der eigenen Existenz entdeckt werden, da liegt der Beginn jener endlosen Suche nach materiellen Substituten. Weil er die Kontrolle über die causa finalis verloren hat, stellt Gerald Alonzo Smith fest[27], gibt es ein unbefriedigtes Verlangen im modernen Menschen. Die Suche nach Befriedigung durch materielle Güter wird zur Ersatzhandlung für den Verlust von Sinn, Orientierung und Richtung; das Streben nach Kontrolle über die Welt der materiellen Objekte wird so zum Surrogat für den Kontrollverlust über das eigene Leben. Doch welches Objekt kann schon dauerhafte Befriedigung verschaffen? So treibt die Gier stets nach mehr und die Furcht vor dem Verlust verfügbarer Objekte der Sinnessphäre drängt zur gewaltigen industriellen Systemexpansion, deren Schranken zunächst nicht durch das handelnde Ego, sondern durch jenes Andere der Natur gesetzt werden, das dem unbegrenzten Wachstumstrieb unersättlicher Egos seine Regenerationsgrenzen als reflexionsauslösendes Korrektiv entgegenhält.

      Bei vielen Beteiligten der Ökologiediskussion sind solche Ansichten verpönt. Ökologie, so heißt es, sei wissenschaftlich fundiert und dürfe nicht in die unberechenbaren Tiefen vermeintlich metaphysischer Abgründe hinabgleiten. Als wirksamster Umweltschützer gilt der qualifizierte Öko-Techniker, ausgestattet mit präzisen Messgeräten und Grenzwerttabellen im Kopf. Natur soll wieder zu dem werden, als was man sie schon immer wähnte: eine berechenbare Größe, ein für menschliche Bedürfnisse uneingeschränkt nutzbares Objekt, wie es Jehovah einst der Menschheit versprochen hatte: „Machet Euch die Erde untertan ...” (1. Mose 1.28 Genesis). Mit manipulativen Regelwissen und der Vorfinanzierung künftiger Wiederherstellungskosten durch Ökosteuern soll der naturzerstörerische Lebensstil für diejenigen akzeptabel gemacht werden, die - wenn überhaupt - allenfalls zu graduellen Veränderungen bereit sind: Gnade uns armen Ökosündern,