Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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und Sicherheit in einer Welt elementarer existentieller Unsicherheit kreieren. Das auf Dominanz über die Natur gerichtete Herrschaftswissen und die vor allem nach außen zielende Technikentwicklung werden so zu mächtigen Instrumenten, die menschliche Gattung aus der Mannigfaltigkeit der anderen Lebensformen in spezifischer Weise herauszuheben. Vernunft wird zum Instrument der Begierde und zum Regulator des Erwerbs orientierten Anteils unserer Natur, anstelle derjenigen Kraft, die unseren Aktivitäten Richtung und Orientierung gibt. Dem Einsichtigen konnte jedoch von Anfang an nicht verborgen bleiben, dass dieser Weg das existentielle Dilemma nicht lösen kann. Und wie die kulturellen Hervorbringungen gleich nächtlichen Träumen entstehen und schwinden und wir noch dabei sind, die Scherben und Fragmente dieser fragilen Konstrukte vergangener Epochen zu sichern und zu katalogisieren, taucht vor dem reflektierenden Auge bereits das Damoklesschwert der Selbstvernichtung auf, geschwungen von dem jüngsten Pfröpfling nach außen gerichteter existentieller Daseinsbewältigung: der industriellen Lebenskultur. Wo vergangene Kulturen allenfalls ihre eigene Existenz bedrohen konnten, bringt der Industrialismus einen neuartigen Kulminationspunkt existenzieller Gefährdung: die potentielle Auslöschung der gesamten Gattung und die dauerhafte Beschädigung des globalen Gleichgewichts.

      Sprechen wir über Wirtschaft und Ökologie, so sprechen wir immer zugleich über die Art und Weise unseres In-der Welt-Seins, über unsere existentielle Situation. Den Begriffen der Ökologie und Ökonomie kommt so neben ihren spezifischen Bedeutungsgehalten immer zugleich die Funktion von Metaphern zur Charakterisierung von Inhalten zu, die mit eben diesen Begriffen nur annäherungsweise ausgedrückt werden können. Die Reflexion über die Begriffe der Diagnose kann uns vielleicht helfen, auch eine mögliche Sprachform für die Therapie zu finden. Wenn wir über Schadstoffe, Recycling, Kontraproduktivität oder ökologisches Gleichgewicht sprechen, so geht es dabei niemals nur um das Außen menschlicher Naturbestimmung, sondern immer auch um Formen der Versprachlichung innerer Erfahrung. Wenn wir also im Folgenden die äußeren Aspekte der Krise von Mensch und Umwelt thematisieren, darf dieses Innen nicht aus dem Blick zu geraten.

      Die verheerenden Umweltzerstörungen zeigen es immer deutlicher: die Dynamik industriellen Wirtschaftens steht im Gegensatz zu den Steuerungsprinzipien der Natur. Während in Natursystemen die grundlegende Tendenz in Richtung Stabilität und Gleichgewicht geht, ist die industrielle Lebensweise durch eine selbstzerstörerische und unregulierte Wachstumsdynamik bestimmt. Ivan Illich[9] hat den Begriff der Kontraproduktivität geprägt, um ein verbreitetes Phänomen industrieller Wachstumswirtschaften zu beschreiben: Ab einer bestimmten Schwelle beginnen die Einrichtungen dieser Gesellschaften mehr Schaden zu stiften als Nutzen abzuwerfen. Dadurch entfernen sie sich immer weiter von den Zielen, für die sie ursprünglich entwickelt wurden. Das moderne Verkehrswesen, das Gesundheitswesen und die Erziehungseinrichtungen sind Beispiele für solche kontraproduktiven Systeme. Trotz immens steigender Aufwendungen bringen sie immer weniger Nutzen. Das Verkehrssystem zum Beispiel ermöglicht es kaum noch schneller voranzukommen. Seine kontraproduktiven Folgen sind die Zerstörung natürlicher Lebensräume durch Betonschneisen und - allein in Europa - jährlich Hunderttausend Verkehrstote und Millionen Verletzte, ganz zu schweigen von der allergrößten Gefährdung: der Vergiftung der Atmosphäre durch Autoabgase. In der EU summieren sich die externen Kosten des Straßenverkehrs auf 650 Mrd. Euro pro Jahr, das sind 7% des europäischen BIP.[10] Diese externen Kosten beziehen sich vor allem auf Umweltverschmutzung, Lärm und Unfälle, die von der Allgemeinheit bezahlt werden. Würden nach einer vom Europäischen Parlament durchgeführten Studie diese Ausgaben alle umgelegt, so müsste jeder Bürger pro Jahr 750 Euro zuschießen[11].

      Was für einzelne Einrichtungen gilt, lässt sich auch in der Wirtschaft als Ganzes beobachten. Unsere industriell geprägte Lebensweise selbst ist kontraproduktiv. Um die schädlichen Folgen des Wachstums abzufangen, wurden in der Bundesrepublik nach der offiziellen Statistik jährlich zuletzt 1,4% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgegeben.[12] Nach Berechnungen von C. Leipert (Wissenschaftsladen Berlin) ist die tatsächliche Rate jedoch viel höher und lag zur Zeit seiner Berechnung bei über 10%, wenn alle Maßnahmen des Umweltschutzes und für erhöhte Gesundheitsausgaben infolge neuer Umweltgefahren eingerechnet werden. 1970 wurden erst ca. 5% des BIP für solche Zwecke verwendet.[13] Viele der Schäden, die das weltweite Industriesystem verursacht, können zudem überhaupt nicht in Geld ausgedrückt werden und machen sich vielfach erst im Verlauf von Jahrzehnten bemerkbar. Der steigende Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre, von dem der weltweite Temperaturanstieg ausgeht, das Ozonloch, die 9.3 Mio. Hektar Wald, die pro Jahr auf der Erde vernichtet werden, wie auch die Ausrottung zahlloser Pflanzen- und Tierarten - offenbaren alle die verheerenden, kontraproduktiven Folgen unserer industriellen Lebenskultur, deren überwiegender Teil in keiner Kostenrechnung erscheint und überhaupt nicht in Mark und Pfennig ermittelt werden kann. Täglich rotten wir vielleicht zehn, nach anderen Schätzungen sogar fünfzig Tier- und Pflanzenarten aus. Der Biologe Edward O. Wilson schätzt das Artensterben auf 30.000 Spezies pro Jahr.[14] Nach der Studie Gobal 2000 werden Hundertausende von Arten - vielleicht 20% aller Arten auf der Erde - unwiederbringlich - verlorengehen. Dazu kommt die schleichende Vergiftung der Atmosphäre. Pro Sekunde blasen wir rund 800 Tonnen Treibhausgase in die Luft.[15] Allein zwischen den Jahren 2006 und 2010 sind die Treibhausgasemissionen in den 40 erfassten Industriestaaten um 2,3% gestiegen.[16]

      Kaum in Zahlen ausdrückbar sind die lokalen Umweltkatastrophen, vor allen in den Ländern der Dritten Welt. So ist in Mexiko City oder in Wuhan (China) die Luft so schlecht, dass kaum mehr ein Kind ohne eine chronische Lungenkrankheit groß wird.[17] Die Kontraproduktivität industrieller Wachstumswirtschaften manifestiert sich nicht nur in der zunehmenden Vergiftung der natürlichen Lebensumwelt, sondern drückt sich - was die Verfügbarkeit von Energie betrifft - auch in steigenden Kosten der Energiegewinnung und -verarbeitung aus. Aufgrund der zunehmenden Knappheit vieler Ressourcen muss immer tiefer gegraben und müssen immer entfernter liegende Lagerstätten ausgebeutet werden, das heißt die Energieerschließungs- und -verarbeitungskosten steigen, während real immer weniger Energie verfügbar ist.[18]

      Auch die weltweite Ungleichverteilung an Energie, Eigentum und Lebenschancen zeigt die kontraproduktive Tendenz unseres way of life. Zwar weichen die Berechnungen im Einzelnen voneinander ab, die meisten kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass sich heute 40% der Weltbevölkerung mit nur 3% des globalen Wohlstandes begnügen müssen. Stellt man sich die Erde mit ihren 7 Mrd. Bewohnern als ein Dorf mit nur 100 Familien vor, so verbrauchen 7 Familien 80% der gesamten Energie und besitzen 60% des Dorfes. 60 Familien müssten sich auf einem Zehntel der Dorffläche zusammendrängen und 20 Familien hätten ein hundertmal höheres Bruttoinlandsprodukt als die übrigen.[19] Ähnliches gilt auch für das Maß der verursachten Umweltzerstörung. Ein Amerikaner verbrennt im Durchschnitt 5 Tonnen fossiler Brennstoffe pro Jahr (ein Deutscher zum Vergleich 2,9 Tonnen) und belastet das ökologische System 35-mal stärker als ein Inder und 280-mal stärker als ein Haitianer. Während weltweit Millionen von Menschen unterernährt sind, wurden in manchen Jahren von der Europäischen Gemeinschaft Millionen von Euro für die Vernichtung von überschüssigem Obst und Gemüse ausgegeben, pro Einwohner werden 179 kg vernichtet, mit steigender Tendenz.[20]

      Umweltkatastrophen - von der Giftgaskatastrophe im indischen Bhopal, über Tschernobyl, den verheerenden Schäden des Golfkrieges bis zum Robbensterben - kommen und gehen, ohne dass es zu einem wirklich einschneidenden Wandel kommt. Die Debatte um Wachstumsbegrenzungen wird oft noch der Unwissenschaftlichkeit bezichtigt[21] oder als düsterer Pessimismus diffamiert. Ja, kaum als sie begonnen hatte, wurde sie bereits für obsolet erklärt.[22] Auch die vielen kleinen Umweltschutzmaßnahmen hinsichtlich einzelner Gefährdungsbereiche können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die innere Dynamik der industriellen Wachstumswirtschaft die Menschheit weiter auf einem harten Kollisionskurs gegen die natürliche Umwelt steuert.

      Seit mit der ersten Studie des Club of Rome zu Beginn der siebziger Jahre die Umweltkrise in das öffentliche Bewusstsein getreten ist, haben sich inzwischen sowohl der Gegenstand als auch die strategische Orientierung der Umweltdiskussion gewandelt. Durch die öffentliche Wahrnehmung der voranschreitenden Umweltzerstörung verlagerten sich die Diskussionen von den Problemen der Energie- und Rohstoffknappheit hin zu den verheerenden ökologischen Vernichtungen unserer natürlichen Mitwelt durch das Industriesystems. Dementsprechend geht es im Bereich der Prophylaxe und Therapie heute oft mehr um Probleme der Emissionsvermeidung und Schadstoffkontrolle