Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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wie ein endloser Nieselregen auf die Leute niedergehe und von der keine einschneidende Umkehr erwartet werden könne. Ökologische Moralisierung mit erhobenem Zeigefinger ist in ihrer Wirksamkeit sicherlich recht begrenzt. Zu sehr haftet ihr das pastorale Gehabe einer von hoher Kanzel verkündeten Sonntagspredigt an sowie der schlechte Geruch einer Erziehungsdiktatur, welche die Frage nach der Erziehung der Erzieher unbeantwortet lässt. Während der wissenschaftliche Teil der Ökologiebewegung zur Absicherung von Glaubwürdigkeit auf die strikte Überprüfbarkeit seiner singulären Basisaussagen allergrößten Wert legt, steht der moralisierende Teil oft vor der Schwierigkeit, ökologische Verhaltensmaximen aus außerökologischen Denksystemen entnehmen zu müssen. Die wissenschaftliche Ökologie beschreibt nur was ist; aus ihr ergeben sich aber zwangsläufig keine Gebote, was zu tun wäre.

      Arne Naess[28], auf dessen Arbeit später noch zurückzukommen sein wird, hat ein Konzept der Tiefenökologie entwickelt, das zur Veränderung der herrschenden anti-ökologischen Politik und sozialen Strukturen beitragen soll. Die Tiefenökologie setzt an die Stelle des Mensch-Umwelt-Bildes der bisherigen Ökologiebewegung die Vorstellung der biosphärischen Gleichheit aller Wesen. Die Plattform der Tiefenökologiebewegung definiert zum Beispiel den Wert nicht-menschlicher Lebensformen unabhängig von beschränkten menschlichen Zwecken oder erklärt die ökologische Diversität, das heißt das Zusammenleben einer Vielzahl unterschiedlicher Lebensformen in einer ökologischen Nische, zu einem Wert an sich. Die Wende wird hauptsächlich in einer neuen Beurteilung von Lebensqualität gesehen, aber nicht einfach in einem höheren Lebensstandard. Ziel ist es, die Ökologie als Wissenschaft zu transzendieren. Weisheit kann nicht lediglich durch wissenschaftliche Wahrheitserkenntnis erlangt werden, sondern entsteht viel eher in der Verbindung von Tiefenökologie, sozialer Bewegung und Wissenschaft, aus deren Synthese eine neue Ökosophie als ganzheitlich orientierter Reflexionsrahmen zur Handlungsorientierung erwächst. Kritik aus dem Lager der wissenschaftlichen Ökologie dürfte Naess vor allem auf sich ziehen, weil er seine ökologischen Normen und Werte nicht aus einem ökologischen Kontext entwickelt, sondern mit Intuition, dem Gefühl für Freude in einer Welt der Katastrophen beginnen lässt[29].

      Doch ist es nicht gerade der ganzheitliche und fächerübergreifende Blick, der das Wesen ökologischer Problemlösungen ausmacht? Vielen natürlichen Prozessen liegen keine monofunktionalen Kausalmechanismen zugrunde, da manifeste Wirkungen nicht nur jeweils einer spezifische Ursache zugeordnet werden können, zumeist herrschen komplexe Ursache-Wirkungsvernetzungen und vielfältige Funktionskreisläufe. Eine ökologische Therapie für die moderne Industriegesellschaft, welche die multifunktionale Vernetzung und ganzheitliche Struktur der Wirklichkeit auf den Blickwinkel künstlicher Laborwelten verengt, kann bloß eine singuläre, aber keine umfassende Handlungsorientierung für eine menschliche Zukunft bieten. Wie die Schulmedizin viele psychosomatische Krankheiten mit ihren überlieferten Methoden nicht heilen kann, weil ihre primären Ursachen nicht im Körper, sondern in der menschlichen Psyche liegen, so können auch viele der Probleme, die nach außen hin als Wirtschafts- oder Umweltfragen in Erscheinung treten, allein mit den Methoden der Wirtschaftswissenschaft bzw. der wissenschaftlichen Ökologie nicht gelöst werden. Wirtschafts- und Umweltprobleme sind Probleme unserer Lebensweise und wurzeln letztlich in den psycho-sozialen Tiefenstrukturen unseres Seins. Nur so ist es zu erklären, dass in Bezug auf die Umwelt viele machbare Alternativen überhaupt nicht umgesetzt werden. Es scheint, dass unser Mitfühlen mit dem Leiden anderer Wesen erst dann offenkundig wird, wenn es in irgendeiner Weise im Hinblick auf die Erfahrung existentieller Bedrohung des eigenen Selbst ins Bewusstsein tritt. So werden schon seit Jahrzehnten Schweine, Rinder und Hühner in industrieller Massentierhaltung geschunden und Schlachttiere auf Transporten zu Tode gequält, aber erst als Rinderwahnsinn und Dioxin in Hühnereiern als Bedrohung für die eigene Gesundheit ins Blickfeld gerieten, zeigten sich ruckartig statistische Einbrüche in den Fleischverzehrskurven. Umweltprobleme werden erst dann zu echten Problemen, wenn die Gefährdungen sich nicht durch abstrakte Zahlen und den Hinweis auf die ferne Zukunft manifestieren, sondern wenn sie handfest durch die Sinnespforten auf das dann plötzlich sensible Selbst einwirken. Obwohl die schädlichen Einwirkungen von Kohlendioxid und Schadstoffemissionen der industriellen Produktion auf das globale Klima schon seit langem bekannt sind, regte sich massiver Handlungsdruck doch erst, als offensichtlich wurde, dass uns im wahrsten Sinne des Wortes die Luft auszugehen droht. Was sich dann äußerlich als Streit um Grenzwerte darbietet, ist letztlich eine Auseinandersetzung um die Art und Weise, wie wir leben wollen. Inzwischen hat die Umweltkrise eine Dimension erreicht, wo rein technische Lösungsvarianten und gesetzgeberisches Flickwerk, das der tatsächlichen Entwicklung zumeist weit hinterherhinkt, allesamt zu kurz greifen und zudem oft neue, unberechenbare Gefahrendimensionen heraufbeschwören. Stark gesunken ist das Vertrauen in die Künste der Gift-Alchimisten, die uns weismachen wollen, durch die gentechnische Produktion schadstoffverschlingender Superbakterien und Wunderorganismen die Umwelt wieder clean zu bekommen. Was nützen Fahrverbote zur Reduzierung des bodennahen Ozons, wenn Zahl und Stärke der Fahrzeuge keinerlei Kontrolle unterliegen? Angesichts der Komplexität und Bedrohlichkeit der Umweltgefahren dominieren vor allem die vier Reaktionsmuster des Verdrängens, des Verharmlosens, des geschäftigen Scheinhandelns und der Resignation. Nicht alle Umweltprobleme können nach den klassischen Regeln von Ursache und Schuld aufgeschlüsselt und therapiert werden. Die Verantwortungsstrukturen der modernen Gesellschaft sind so komplex geworden, dass es oft kaum noch möglich ist, dass Verbindungsgefüge zwischen einer Einzelhandlung in einem multi-kausalen Wirkgefüge, wie einem modernen Industriebetrieb, und ihren ökologischen Folgen, zum Beispiel im Hinblick auf Veränderungen der regionalen Umweltqualität trennscharf aufzudröseln. Wie Ulrich Beck feststellt, sind wir im Labyrinth “beweisbarer Unbeweisbarkeiten” gleich dem Werdegang von Herrn Josef K. in Franz Kafkas „Der Prozess” gefangen, in den uns das System der „organisierten Unverantwortlichkeit” gesperrt hat: „Gefahren werden zu Risiken kleingerechnet, wegverglichen und als unwahrscheinliche 'Restrisiken' rechtlich und wissenschaftlich normalisiert, wodurch Proteste zu Ausbrüchen von 'Irrationalität' stigmatisiert werden können.”[30]

      Grundlegende umweltbezogene Änderungen können allein weder von der wissenschaftlichen Ökologie ausgehen, da hier der strenge Wissenschaftsbezug die Bildung von Wert- und Normaussagen verbietet, noch von einer moralisierenden Ökologie geleistet werden, soweit die moralischen Imperativen aus außerökologischen Sphären, wie dem Offenbarungswissen der Bibel oder der reinen Introspektion entstammen. Der hier anvisierte dritte Weg liegt in der Bestimmung einer generellen ökologisch-ökonomischen Handlungsorientierung durch den Rekurs auf die universellen Bestimmungsmomente von Ökologie als Lehre von den allgemeinen Bewegungsgesetzen lebender Systeme. Der Naturbegriff steht hier aber nicht als idealisierter Fluchtpunkt einer Welt der Nichtverfremdung und Nichtzivilisation, sondern als Rahmen zur Bestimmung der empirisch beobachtbaren Grundeigenschaften ökologischer und biologischer Systeme. Ökologie wird so zur neuen Leitwissenschaft, ohne in lähmende naturalistische Missverständnisse zu verfallen. Beck ist durchaus recht zu geben, wenn er feststellt, dass mit einem solchen Naturbegriff von außen vorgebracht wird, was im Inneren, im Innersten bedrückt: „'Natur' ist eine Art Ankerwerk, mit dem das auf dem offenen Meer treibende Zivilisationsschiff sein Gegenteil, das Festland, den Hafen, das Riff, auf das es zuläuft, beschwört, kultiviert und dabei versetzt - die Konditionen seiner Weiterfahrt seines Weiterdriftens verhandelt.”[31] Doch was ist daran eigentlich schlecht? Der Blick auf die Funktionsweise der ökologischen Systeme ist immer auch ein Blick auf die Kräfte des eigenen Selbst. Die strikte Trennung von Geist und Materie, wie sie seit ihrer Formulierung durch Descartes im 17. Jahrhundert nicht nur das Denken der Moderne maßgeblich geprägt, sondern in ihren praktischen Konsequenzen die Welt zum freien Objekt menschlicher Bearbeitung degradiert hat, wird vom ökologischen Denken entschieden verworfen. Nach ganzheitlicher, ökosophischer Sicht sind innere und äußere Wirklichkeit von strukturell gleichen Gesetzmäßigkeiten bestimmt. Die Lehre von umfassenden Prinzipien, die auf den höheren wie niederen Ebenen der materiellen Manifestationen, der Innenwelten und der Außenwelten, ja auch der sichtbaren und unsichtbaren Welt wirken und die Verlaufsgestaltung aller konkreten Prozesse bestimmen, findet sich bereits auf der Smaragdenen Tafel des Hermes Trismestigos, der in der ägyptischen Götterwelt als der Gott Thoth verehrt wurde, der Gott des Wissens, der die Hieroglyphen, die Heiligen Schriftzeichen erfand, der den Kalender schuf und Zeit-