Hans-Günter Wagner

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen


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Suprasysteme stellt er eine globale Ethik verantwortlichen Handelns entgegen. Die Ehrfurcht vor natürlichen Systemen und ihrer Funktionsweisen bildet dabei den Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Solche Denkweisen bilden den paradigmatischen Rahmen einer Bioökonomie, die auf ein neues Wirtschaftshandeln setzt, dass die Natur nicht als ausbeutbares Objekt oder bloße Ressourcenlagerstätte betrachtet, sondern in ihr ein koproduzierendes Subjekt sieht.

      Viele Menschen folgen heute bereits diesem neuen Paradigma und richten ihr Leben an neuen, nachhaltigen Verhaltensimperativen aus. Inzwischen populäre Handlungsmodelle, wie beispielsweise ecological footprinting, persönliche CO2-Bilanzen oder Fair Trade, belegen diesen Wandel ebenso, wie die Verbreitung von urban gardening oder die Rückkehr zu anderen Formen naturnahen Lebens. Allerdings konnten diese neuen Entwicklungen nur am Rande gewürdigt werden, da dies sonst den Rahmen der vorhandenen Arbeit gesprengt hätte. Darüber hinaus wurden für die E-Book-Ausgabe die Schaubilder überarbeitet, einige Daten aktualisiert sowie eine Reihe redaktioneller Verbesserungen vorgenommen.

      Vorwort zur Erstausgabe von 1997

      Die herrschende Ökonomie trennt aus der vielgestaltigen Wirklichkeit mit chirurgischer Präzision einen Gewebeschnitt heraus, etikettiert diesen als Wirtschaft und analysiert ihn sodann als Handlungskosmos mit eigener mathematisch beschreibbarer Gesetzmäßigkeit. Dabei gerät jedoch zumeist außer Acht, dass ökonomische Probleme im Kern Probleme des Denkens und der menschlichen Interaktion sowie des Umgangs mit Mitwelten, Mitgeschöpfen und Naturstoffen sind. Im wirtschaftlichen Diskurs der Gesellschaft wird die ökonomische Sphäre nur in einseitiger und spezifischer Weise thematisiert. Da ist von Standortfaktoren und Wettbewerbsfähigkeit, von Globalisierung und Modernisierung die Rede, da werden Arbeitskräftemobilität, Abbau der Handelsschranken und die Erschließung neuer Märkte eingefordert. Als vernünftig gilt, was die Wettbewerbsfähigkeit steigert, die Standortattraktivität erhöht, Löhne verbilligt sowie Kosten und Sozialaufwendungen senkt, technologische Spitzenleistungen erbringt und neue Märkte erobert.

      Dieser Sprachlogik der ökonomischen Ratio tönt jedoch – wenn auch nicht immer klar vernehmbar – die Stimme des Anderen, des Nicht-Thematisierten entgegen: die Stimme der Natur und der im Namen des Profits geschundenen Moral, der armen Länder des Südens und der sozialen Verlierer. Aber weltweite Verarmung und soziales Elend, zerstörte Natur und leidende Kreaturen sind an sich keine zugelassenen Akteure im ökonomischen Sprachspiel. So sehr sie auch umgreifende Rationalität verkörpern, in der Ökonomie zählen sie doch nur insoweit, als sie in die Sprache von Preisen und Kosten übersetzt werden können. Es ist gerade die Negation der umgreifenden Rationalität des Ganzen, auf die sich die Partialrationalität der Ökonomie gründet.

      In der vorliegenden Arbeit wird versucht, an die Stelle des herrschenden Reduktionismus Elemente von Ganzheitlichkeit zu setzen und die ökonomischen Probleme in ihrer Einbindung in ökologische Umwelten und soziale Lebensstrukturen zu untersuchen. Anhand der Herausbildung historischer Wirtschaftsweisen wird gezeigt, wie eine neue Sicht des Menschen und der Natur, die an die Weisheit vergangener naturnaher Lebensweisen anknüpft, den Orientierungsrahmen einer auf Harmonie, Dauer und Stabilität gegründeten Wirtschaftsweise bildet. Am Beispiel der Ökosystemtheorie lässt sich demonstrieren, auf welche Weise ökonomisches Handeln wieder an die Kreislaufstrukturen der Naturprozesse rückgekoppelt werden kann. Das Bild der Nachhaltigkeit skizziert den Typus einer Wirtschaftsweise, die auf vielfältige symbiotische Beziehungen zwischen Mensch und Mitwelt gründet. Die Menschheit ist nur ein Spross am großen Baum des Lebens und kann ihre vollen Lebensmöglichkeiten letztlich nicht über die Herrschaft und Ausbeutung anderer Wesen, sondern nur im Einfügen in die große Kette des Seins verwirklichen. Die Bioökonomie setzt gegen die Reduktion aller Qualitäten auf Geld, Preise, Gewinne und Kosten das wirtschaftliche Denken wieder in Bezug zu seinem Ausgangspunkt: der Umformung von Naturgütern und der sozialen Interaktion von Menschen in der gesellschaftlichen Produktion. Während in der Mainstream-Ökonomie die Natur nur als Ressourcen- und Vorratslagerstätte, Abfalldeponie und Erholungsraum für gestresste Städter auftaucht, sieht das neue bioökonomische Paradigma in der Natur vor allem die ursprüngliche Wertpotentialität, die Schöpferin und Bewahrerin der gesellschaftlichen Reproduktion, deren lebensspendende Funktionen durch ökonomisches Handeln nicht zerstört werden dürfen.

      Eine solche Form des Wirtschaftens muss kein frommer Wunschtraum sein. Von Ökosteuern über Dezentralisierungsstrategien, von der Umweltanalyse im Betrieb und der Öko-Bilanzierung, von ökologischen Markenzeichen und anerkannten Gütesiegeln bis hin zur Umkehrung der Beweislast im Umweltrecht spannt sich der Bogen konkreter und operationalisierbarer, ökologisch-ökonomischer Handlungsinstrumente, die betrieblich und gesellschaftlich umsetzbar sind. Aber letztlich können diese Instrumente nur greifen, wenn sie von einem neuen Denken und einem neuen Lebensgefühl getragen werden. An die Stelle des biblisch legitimierten und durch den Industralismus zum grausamen Gipfel getriebenen menschlichen Herrschaftsanspruchs über die Natur muss die Erkenntnis der biosphärischen Gleichheit aller Wesen treten. Wenn nicht mehr Gier, Prestigesucht und Eitelkeit die vornehmlichen Triebkräfte unseres Handelns sind, dann können Einfachheit, Genügsamkeit und Kooperation zu den Gestaltungsfermenten einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Wirtschaftsweise werden.

      Das vorliegende Buch will einen Beitrag zu diesem paradigmatischen Wandel leisten. Viele Menschen haben in der einen oder anderen Form zu seiner Entstehung beigetragen. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Besonderen Dank aussprechen möchte ich meiner Frau Dagmar Wagner für ihre Ermutigung.

      I. Die Außenwelt der Innenwelt: Naturzerstörung und die Ökologie der inneren Räume

      Vielfältig sind die Leiden des Menschen in der modernen industriellen Lebenswelt. Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen geht mit ökonomischer Ausbeutung, Entfremdung im Arbeitsprozess und Anonymisierung in den sozialen Verhältnissen einher. Weltweit herrschen Krieg und Gewalt, gibt es starke Tendenzen zur Brutalisierung der Lebensverhältnisse und der gesellschaftlichen Sanktion offenkundigen Unrechts. Viele Versprechungen der kulturrevolutionären Bewegung der sechziger und siebziger Jahre sind unerfüllt geblieben oder sogar in ihr Gegenteil umgeschlagen. Fast scheint es, als ließen Naturzerstörung und gesellschaftliche Kälte keinen Raum mehr für das Bestreben nach utopisch egalitärer Lebensverwirklichung. Erstickt so der Traum eines anderen Lebens in Harmonie mit der Natur und allen Wesen in den Systemrationalitäten von Geld und Macht? Die Symbole der Auflehnung gegen die tradierte Ordnung wurden kommerzialisiert und haben sich in monetäre Zeichen im Dienste der industriell-kapitalistischen Systemrationalität verwandelt. Das libidinöse Feuer sexueller Revolution hat nicht zum Flächenbrand einander liebender Herzen, sondern zur Werbung und Medien unappetitlich durchdringenden Pornographisierung der Gesellschaft geführt. Körper und Sinne deformieren im Dschungel virtueller Scheinwelten, bis den Menschen die eigene Erfahrung selbst fremd wird. Natur wird vollends zum anderen, zum Außen des eigenen Selbst, gleich der eigenen Körper- und Sinnlichkeit, die zum bloßen Rädchen im Getriebe industriell-kapitalistischer Systemzwänge mutiert.

      Richten wir den Blick von den zahlreichen Deformationen der modernen Lebenswelt vor allem auf jene katastrophalen Fehlentwicklungen, die den Bestand der Gattung und das biosphärische Lebensgleichgewicht am Offensichtlichsten bedrohen. Vielleicht wird so deutlich, dass die Art und Weise, wie wir mit dem ökologischen Lebensumwelten umgehen, nur der nach außen gewendete Ausdruck einer psycho-sozialen Konstitution ist, die ganz auf den Machtwillen eines sich dauerhaft dünkenden Selbst gründet. All unser Handeln geht von diesem Bild eines Selbst aus. Doch ist dieses Selbst nicht mehr als eine bloße Imagination? Beschreibt das Bild einer flüchtigen und fragilen Blase, die jeden Moment platzen und wieder in das Reich des Formlosen eintreten kann, nicht viel treffender die temporäre und vergängliche Struktur unseres In-der-Welt-Seins. Der Blick auf die grundlegende existentielle Situation des Menschen ist für viele mit tiefstem Unbehagen verbunden. Aber es gibt ja bekanntlich angenehme Zerstreuung und wohltuende Ablenkung. War für den frühen Menschen der gefüllte Magen das wichtigste Mittel Thanatos zu bannen, so hat die industrielle Lebenskultur eine erstaunlich breite Palette höchst differenzierter Zerstreuungen zu bieten. Außerdem gibt es die moderne Technik und Medizin, den Stahlbetonbau und die Humangenetik, Fliegentod und die Lebensmittelchemie,