Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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hänge und ihn sehr in sein Herz geschlossen habe, so ›wird mein Kamerad vielleicht imstande sein, mir zu Gefallen bei seinem Onkel etwas für Sie durchzusetzen ...‹

      ›Wenn mir nur gestattet würde, mich vor Seiner Exzellenz zu rechtfertigen! Könnte ich nur der Ehre teilhaftig werden, die Sache mündlich darzulegen!‹ rief er; er zitterte wie im Fieber, und seine Augen glänzten.

      So drückte er sich aus: ›Könnte ich nur der Ehre teilhaftig werden!‹ Nachdem ich noch einmal wiederholt hatte, die Sache werde wahrscheinlich mißlingen und alles sich als Torheit herausstellen, fügte ich hinzu, wenn ich morgen vormittag nicht zu ihnen käme, so sei die Sache aus, und sie hätten nichts mehr zu erwarten. Sie begleiteten mich unter Verbeugungen hinaus und waren fast wie von Sinnen. Nie werde ich ihren Gesichtsausdruck vergessen.

      Ich nahm mir eine Droschke und fuhr sogleich nach der Wasili-Insel.

      Mit diesem Bachmutow hatte ich auf dem Gymnasium mehrere Jahre lang auf gespanntem Fuß gelebt. Er galt bei uns für einen Aristokraten; wenigstens nannte ich ihn so: er war stets elegant gekleidet und kam in eigener Equipage angefahren; indessen renommierte er nicht, sondern benahm sich stets als guter Kamerad; er war immer außerordentlich heiter und sogar manchmal recht witzig, obgleich es mit seinem Verstand nicht weit her war, trotzdem er in der Klasse immer den ersten Platz innehatte; ich dagegen war nie in irgendeinem Gegenstand der Erste. Alle Kameraden mochten ihn gern leiden, nur ich nicht. Mehrmals hatte er sich mir im Lauf jener Jahre zu nähern versucht; aber ich hatte mich jedesmal mürrisch und gereizt von ihm abgewandt. Jetzt hatte ich ihn schon seit einem Jahr nicht mehr gesehen; er besuchte die Universität. Als ich zwischen acht und neun Uhr abends zu ihm ins Zimmer trat (es war sehr zeremoniös zugegangen, indem ich erst angemeldet worden war), empfing er mich zunächst erstaunt, auch nicht einmal eigentlich freundlich; dann aber wurde er sofort heiter und lachte, mich anblickend, auf einmal laut auf. ›Wie sind Sie denn auf den Einfall gekommen, mich zu besuchen, Terentjew?‹ rief er mit seiner gewöhnlichen liebenswürdigen Ungeniertheit, die manchmal etwas Dreistes, aber nie etwas Verletzendes hatte, die mir an ihm so gefiel, und um derentwillen ich ihn so haßte. ›Aber was ist das?‹ rief er erschrocken. ›Sie sehen ja so krank aus!‹

      Der Husten quälte mich wieder; ich sank auf einen Stuhl und konnte mich nur mit Mühe wieder erholen.

      ›Beunruhigen Sie sich nicht; ich habe die Schwindsucht‹, sagte ich. ›Ich komme mit einer Bitte zu Ihnen.‹

      Erstaunt setzte er sich hin; ich trug ihm sofort die ganze Geschichte des Arztes vor und bemerkte, er selbst könne bei dem großen Einfluß, den er auf seinen Onkel ausübe, vielleicht für den Unglücklichen etwas bewirken.

      ›Das werde ich, das werde ich unbedingt tun; gleich morgen werde ich meinen Onkel in dieser Angelegenheit überfallen; ich freue mich sogar sehr; Sie haben das alles so hübsch erzählt ... Aber wie sind Sie denn eigentlich auf den Einfall gekommen, Terentjew, sich an mich zu wenden?‹

      ›Von Ihrem Onkel hängt hier so viel ab, und außerdem waren wir beide, Sie und ich, immer Feinde, Bachmutow, und da Sie ein anständig denkender Mensch sind, so dachte ich, daß Sie es einem Feind nicht abschlagen würden‹, fügte ich ironisch hinzu.

      ›Gerade wie Napoleon sich an England gewendet hat!‹ rief er lachend. ›Ich werde es tun, ich werde es tun! Ich werde sogar sofort hingehen, wenn es möglich ist!‹ fügte er eilig hinzu, als er sah, daß ich ernst und gemessen vom Stuhl aufstand.

      Und wirklich nahm ganz unerwarteterweise diese unsere Sache einen solchen Verlauf, wie man sich einen besseren gar nicht denken konnte. Nach anderthalb Monaten erhielt unser Mediziner wieder eine Stelle in einem andern Gouvernement; er bekam das Umzugsgeld und sogar eine Unterstützung. Ich vermute, daß Bachmutow, der die beiden Leute häufig zu besuchen pflegte (während ich seitdem absichtlich nicht mehr zu ihnen ging und den Arzt, wenn er zu mir kam, ziemlich trocken empfing) – Bachmutow überredete, wie ich vermute, den Arzt sogar, ein Darlehen von ihm anzunehmen. Mit Bachmutow kam ich in diesen sechs Wochen zweimal zusammen, und wir trafen uns zum drittenmal, als wir von dem Arzt bei seiner Abreise Abschied nahmen. Bachmutow hatte bei sich zu Hause eine Abschiedsfeier in Form eines Mittagessens mit Champagner arrangiert; dabei war auch die Frau des Arztes zugegen; indes fuhr sie sehr bald wieder nach Hause zu ihrem Kind. Das war Anfang Mai; es war ein klarer Abend, und der gewaltige Sonnenball senkte sich in die Bucht hinab. Bachmutow begleitete mich nach Hause; wir gingen über die Nikolajewski-Brücke; der genossene Wein hatte auf uns beide seine Wirkung ausgeübt. Bachmutow sprach sein Entzücken darüber aus, daß die Sache zu einem so guten Ende gelangt war, bedankte sich bei mir für irgend etwas, sagte, eine wie angenehme Empfindung er jetzt nach dieser guten Tat habe, versicherte, daß das ganze Verdienst mir gebühre, und bemerkte, es sei ein arger Irrtum, wenn heutzutage viele lehrten und predigten, daß die gute Tat eines einzelnen keinen Wert habe. Auch mich drängte es, mich auszusprechen.

      ›Wer das sogenannte Einzelalmosen angreift‹, begann ich, ›der greift die Natur des Menschen an und verachtet dessen persönliche Würde. Aber die Organisation des staatlichen Almosenwesens und die Frage der persönlichen Freiheit sind zwei verschiedene Fragen und schließen sich gegenseitig nicht aus. Die gute Tat des einzelnen wird stets bestehenbleiben; denn sie ist ein Bedürfnis der Persönlichkeit, das lebendige Bedürfnis einer direkten Einwirkung der einen Persönlichkeit auf die andere. In Moskau lebte ein alter Herr mit einem deutschen Namen, ein General, das heißt ein Wirklicher Staatsrat; der ging sein ganzes Leben lang fortwährend in die Gefängnisse zu den Verbrechern; jeder Trupp von Verschickten, der nach Sibirien abging, wußte im voraus, daß der alte General ihm auf den Sperlingshügeln einen Besuch machen werde. Er verfuhr dabei mit größtem Ernst und größter Frömmigkeit; er erschien, ging durch die Reihen der Verschickten, die ihn umringten, blieb vor einem jeden stehen, erkundigte sich bei einem jeden nach seinen Bedürfnissen, hielt fast nie jemandem eine Strafpredigt und nannte sie alle Täubchen. Er gab ihnen Geld und schickte ihnen notwendige Gebrauchsgegenstände, wie Fußlappen und Leinwand; auch brachte er ihnen manchmal geistliche Büchelchen mit und beschenkte damit jeden des Lesens Kundigen in der festen Überzeugung, daß diese sie unterwegs lesen und ihren des Lesens unkundigen Schicksalsgenossen vorlesen würden. Nach den begangenen Verbrechen fragte er nur selten; indes hörte er zu, wenn der Verbrecher von selbst davon zu reden anfing. Alle Verbrecher behandelte er gleich; er machte darin keinen Unterschied. Er sprach mit ihnen wie mit Brüdern; sie selbst aber betrachteten ihn schließlich als ihren Vater. Wenn er unter den Verschickten eine Frau mit einem Kind auf dem Arm bemerkte, so trat er hinzu, liebkoste das Kind und schnipste ihm etwas mit den Fingern vor, damit es anfinge zu lachen. So verfuhr er viele Jahre lang bis zu seinem Tod; es kam so weit, daß er in ganz Rußland und in ganz Sibirien bekannt war, das heißt bei allen Verbrechern. Jemand, der in Sibirien gewesen ist, hat mir erzählt, er sei selbst Zeuge gewesen, wie die verstocktesten Verbrecher sich des Generals erinnerten; und dabei konnte der General, wenn er einen Trupp besuchte, jedem einzelnen Verschickten selten mehr als zwanzig Kopeken geben. Allerdings gedachten sie seiner nicht eigentlich mit warmer, tiefer Empfindung. Ein oder der andere dieser Unglücklichen, der vielleicht zwölf Menschen ermordet und ein halbes Dutzend Kinder lediglich zu seinem Vergnügen abgeschlachtet hatte (es heißt ja, daß es solche Menschen gibt), seufzte plötzlich aus heiler Haut und vielleicht nur einmal im Laufe seiner zwanzigjährigen Strafzeit auf und sagte: »Was mag jetzt der alte General machen? Ob er wohl noch lebt?« Dabei lächelte er vielleicht; das war alles. Aber woher wissen Sie, was für ein Samenkorn in die Seele dieses Verbrechers von diesem alten General gestreut war, den derselbe in den zwanzig Jahren nicht vergessen hatte? Woher wissen Sie, Bachmutow, welche Bedeutung diese Einverleibung einer Persönlichkeit in die andere für die Schicksale der einverleibten Persönlichkeit haben wird ...? Hierbei kommt ja das ganze Leben mit seiner zahllosen Menge uns unbekannter Verzweigungen in Betracht. Der beste Schachspieler, auch der scharfsinnigste, kann nur einige Züge vorausberechnen; von einem französischen Spieler, der zehn Züge vorausberechnen konnte, wurde in den Zeitungen wie von einem Weltwunder berichtet. Wieviele Züge aber und wieviel uns Unbekanntes gibt es in einem Menschenleben? Indem Sie Ihr Samenkorn, Ihr Almosen, Ihre gute Tat in irgendeiner Form ausstreuen, geben Sie einen Teil Ihrer Persönlichkeit weg und nehmen einen Teil einer andern in sich auf; Sie verleiben sich wechselseitig einer dem andern ein; es bedarf dann nur noch