Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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was sehr widerwärtig anzusehen war. Ich hatte schreckliche Angst, es könnte mich stechen; es war mir gesagt worden, es sei giftig. Ganz besonders aber quälte mich der Gedanke, wer es wohl in mein Zimmer geschickt habe, was man mir antun wolle, und worin dieses Geheimnis bestehe. Das Tier versteckte sich unter die Kommode und unter den Schrank und kroch in die Ecken. Ich setzte mich auf einen Stuhl und schlug die Beine unter den Leib. Das Tier lief schnell schräg durch das ganze Zimmer und verschwand irgendwo in der Gegend meines Stuhls. Voller Furcht blickte ich rings um mich; aber da ich mit untergeschlagenen Beinen dasaß, so hoffte ich, daß es nicht werde auf den Stuhl heraufkriechen können. Plötzlich hörte ich hinter mir, fast bei meinem Kopf, ein knisterndes Geräusch; ich drehte mich um und sah, daß das Scheusal an der Wand hinaufkroch, sich schon in gleicher Höhe mit meinem Kopf befand und sogar meine Haare mit seinem Schwanz berührte, der sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit drehte und wand. Ich sprang auf, und im gleichen Augenblick war auch das Tier verschwunden. Auf das Bett mochte ich mich nicht legen, aus Furcht, es könnte unter das Kissen kriechen. Da traten meine Mutter und ein Bekannter von ihr ins Zimmer. Sie begannen, auf das garstige Tier Jagd zu machen; aber sie waren ruhiger als ich und fürchteten sich nicht einmal. Aber sie konnten nichts finden. Auf einmal kam das Untier wieder hervorgekrochen; es kroch diesmal sehr sachte und wand sich, wie mit besonderer Absicht, nur langsam, was noch viel greulicher aussah; es nahm seinen Weg wieder schräg durch das Zimmer nach der Tür hin. Da öffnete meine Mutter die Tür und rief Norma, unsere Hündin, einen riesigen, schwarzen, zottigen Neufundländer; sie ist schon vor fünf Jahren gestorben. Norma kam ins Zimmer hereingestürzt und blieb vor dem Reptil wie angewurzelt stehen. Auch dieses machte halt, wand sich aber immer noch hin und her und kratzte mit den Enden der Pfoten und des Schwanzes auf dem Fußboden herum. Tiere sind, wenn ich nicht irre, nicht imstande, eine mystische Angst zu empfinden; aber in diesem Augenblick schien es mir doch, als ob auch in Normas Angst etwas sehr Ungewöhnliches, beinah Mystisches liege und sie somit ebenfalls, wie ich, ahne, daß in dem Tier etwas Verhängnisvolles, ein Geheimnis stecke. Sie wich langsam vor dem Reptil zurück, das sachte und vorsichtig auf sie zukroch und, wie es schien, sich plötzlich auf sie stürzen und sie stechen wollte. Aber trotz aller Angst, und obwohl sie an allen Gliedern zitterte, machte sie doch schrecklich grimmige Augen. Auf einmal fletschte sie langsam ihre furchtbaren Zähne, öffnete weit ihren gewaltigen, roten Rachen, paßte geschickt die Entfernung ab, faßte einen Entschluß und packte plötzlich das garstige Tier mit den Zähnen. Dieses machte heftige Bewegungen, um zu entschlüpfen, so daß Norma es noch einmal, jetzt im Flug, griff und es zweimal, immer im Flug, mit dem ganzen Rachen in sich hineinzog, als wollte sie es hinunterschlucken. Die Schale knackte unter ihren Zähnen; der Schwanz des Tieres und die Pfoten, die aus dem Maul herausragten, bewegten sich mit furchtbarer Geschwindigkeit. Auf einmal begann Norma kläglich zu winseln: das Reptil hatte es doch noch fertiggebracht, sie in die Zunge zu stechen. Vor Schmerz winselnd und heulend, öffnete sie das Maul, und ich sah, daß das zerbissene, quer im Maul liegende Reptil sich noch bewegte und aus seinem halbzerquetschten Körper auf Normas Zunge eine Menge weißen Saftes floß, ähnlich dem Saft einer zerdrückten schwarzen Schabe ... In diesem Augenblick wachte ich auf, und der Fürst trat herein.«

      »Meine Herren«, sagte Ippolit, indem er seine Vorlesung plötzlich unterbrach und ein beschämtes Gesicht machte, »ich habe es nicht noch einmal durchgelesen; aber ich habe, wie es scheint, tatsächlich viel Überflüssiges hingeschrieben. Dieser Traum ...«

      »Ja, das ist richtig«, beeilte sich Ganja einzuschieben.

      »Ich muß zugeben, es ist zuviel Persönliches dabei, das heißt Dinge, die eigentlich nur auf mich Bezug haben ...«

      Als Ippolit das sagte, sah er müde und erschöpft aus und wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.

      »Ja, Sie interessieren sich zu sehr für sich selbst«, zischte Lebedjew.

      »Meine Herren, noch einmal: ich nötige niemand; wer nicht zuhören will, kann sich entfernen.«

      »Er jagt uns weg ... aus einem fremden Haus«, brummte Rogoschin kaum vernehmbar.

      »Aber wie können wir denn alle auf einmal aufstehen und uns entfernen?« sagte plötzlich Ferdyschtschenko, der bis dahin nicht gewagt hatte, laut zu reden.

      Ippolit schlug die Augen nieder und griff nach seinem Manuskript; aber in derselben Sekunde hob er den Kopf wieder in die Höhe und sagte mit funkelnden Augen und zwei roten Flecken auf den Backen, indem er Ferdyschtschenko gerade ins Gesicht blickte:

      »Sie können mich gar nicht leiden!«

      Man hörte Lachen; indes war es nicht die Mehrzahl, die lachte. Ippolit wurde dunkelrot.

      »Ippolit«, sagte der Fürst, »machen Sie Ihr Manuskript zu, und geben Sie es mir, und legen Sie sich selbst hier in meinem Zimmer schlafen. Wir wollen, bevor Sie einschlafen, noch ein bißchen mit Ihnen reden und das Gespräch dann morgen fortsetzen, aber unter der Bedingung, daß Sie diese Blätter nie wieder aufschlagen. Wollen Sie das tun?«

      »Ist das denn möglich?« rief Ippolit, indem er ihn mit wirklicher Verwunderung anblickte. »Meine Herren«, fuhr er, wieder in fieberhafter Lebhaftigkeit, fort, »das war ein dummer Zwischenakt, in dem ich mich nicht richtig zu benehmen verstanden habe. Ich werde in der Vorlesung nicht wieder eine Unterbrechung eintreten lassen. Wer zuhören will, mag zuhören ...«

      Er trank schnell einen Schluck Wasser aus einem dastehenden Glas, stützte sich mit dem Ellbogen auf den Tisch, um sich vor den Blicken zu verbergen, und setzte das Vorlesen hartnäckig fort. Das Gefühl der Beschämung ging übrigens schnell vorüber ...

      »Der Gedanke«, fuhr er fort zu lesen, »daß es nicht lohne, ein paar Wochen zu leben, kam mir in deutlicher Gestalt, wie ich meine, ungefähr vor einem Monat, als ich nur noch vier Wochen Leben vor mir zu haben glaubte; aber völlig bemächtigt hat sich dieser Gedanke meiner erst vor drei Tagen, als ich von jenem in Pawlowsk verlebten Abend heimkehrte. Der erste Augenblick, wo mich dieser Gedanke vollständig und unmittelbar durchdrang, fiel in die Zeit, als ich mich beim Fürsten in der Veranda befand, gerade in die Zeit, als ich mit dem Leben einen letzten Versuch zu machen gedachte, Menschen und Bäume sehen wollte (ich mag das auch selbst ausgesprochen haben), mich ereiferte, für Burdowskis, ›meines Nächsten‹, Recht eintrat und im stillen davon phantasierte, alle diese Menschen würden auf einmal die Arme ausbreiten und mich an ihr Herz drücken und mich wegen irgend etwas um Verzeihung bitten und ich meinerseits sie ebenfalls; kurz, ich war zu guter Letzt ein unfähiger Dummkopf. Und siehe da, in diesen Stunden flammte in mir ›die letzte Überzeugung‹ auf. Ich wundere mich jetzt, wie ich ganze sechs Monate lang ohne diese Überzeugung habe leben können! Ich wußte positiv, daß ich die Schwindsucht hatte und diese Krankheit bei mir unheilbar war; ich täuschte mich nicht und begriff die Sachlage klar. Aber je klarer ich sie begriff, um so krampfhafter begehrte ich zu leben; ich klammerte mich an das Leben; leben wollte ich, leben um jeden Preis. Ich gebe zu, daß ich damals dem dunklen, unerbittlichen Schicksal zürnte, das beschlossen hatte, mich wie eine Fliege totzuschlagen, ohne selbst zu wissen, warum; aber warum habe ich mich nicht bis zum Schluß damit begnügt, lediglich zu zürnen? Warum habe ich tatsächlich ›angefangen‹ zu leben, obwohl ich wußte, daß ich nicht mehr anfangen konnte? Warum habe ich es versucht, obwohl ich wußte, daß dazu keine Zeit mehr war? Dabei war ich aber nicht einmal imstande, ein Buch zu lesen, und hörte zu lesen auf: wozu sollte ich lesen, wozu noch Kenntnisse für sechs Monate erwerben? Dieser Gedanke brachte mich wiederholt dazu, ein Buch beiseite zu werfen.«

      Ja, diese Meyersche Mauer kann vieles erzählen! Vieles habe ich in Gedanken auf sie geschrieben. Es gab keinen Fleck auf dieser Mauer, den ich nicht auswendig gewußt hätte. Verfluchte Mauer! Und doch ist sie mir teurer als alle Bäume in Pawlowsk, das heißt, sie sollte mir teurer sein als all diese Bäume, wenn mir nicht jetzt alles gleichgültig wäre.

      Ich erinnere mich jetzt, mit welchem gierigen Interesse ich damals anfing, das Leben anderer Menschen zu verfolgen: ein solches Interesse war mir früher fremd gewesen. Ungeduldig und schimpfend wartete ich manchmal auf Kolja zu Zeiten, wo ich selbst so krank war, daß ich das Zimmer nicht verlassen konnte. Ich erkundigte mich so genau nach allen Kleinigkeiten und interessierte mich so für alle möglichen Gerüchte, daß ich geradezu