ihre bevorstehende Unterredung und lächelte freundlich. Jewgeni Pawlowitsch nickte ihm zu und zeigte auf Ippolit, den er soeben aufmerksam betrachtet hatte. Ippolit lag auf dem Sofa ausgestreckt und schlief.
»Sagen Sie, Fürst, warum hat sich dieser Junge wie eine Klette an Sie gehängt?« fragte er mit so offensichtlichem Ärger und sogar in so grimmigem Ton, daß der Fürst erstaunt war. »Ich möchte darauf wetten, daß er nichts Gutes im Schilde führt!«
»Ich habe bemerkt«, antwortete der Fürst, »oder es ist mir wenigstens so vorgekommen, als ob er Sie heute ganz besonders interessierte, Jewgeni Pawlowitsch; ist das richtig?«
»Sie können noch hinzufügen, daß ich eigentlich an meinen eigenen Angelegenheiten Stoff genug zum Nachdenken hätte; und ich wundere mich selbst darüber, daß ich meine Augen den ganzen Abend über von dieser widerwärtigen Visage nicht losreißen kann.«
»Er hat ein hübsches Gesicht ...«
»Da, da, sehen Sie nur!« rief Jewgeni Pawlowitsch, indem er den Fürsten an den Arm faßte. »Sehen Sie!«
Der Fürst blickte Jewgeni Pawlowitsch noch einmal verwundert an.
V
Ippolit, der gegen Ende des Lebedjewschen Vortrags auf dem Sofa eingeschlafen war, erwachte jetzt plötzlich, wie wenn ihm jemand einen Stoß in die Seite versetzt hätte, fuhr zusammen, richtete sich auf, blickte um sich und wurde blaß; es lag sogar ein Ausdruck von Angst und Schrecken auf seinem Gesicht, als er sich alles ins Gedächtnis zurückrief und wieder zurechtlegte.
»Wie? Gehen sie schon weg? Ist es zu Ende? Ist alles zu Ende? Ist die Sonne schon aufgegangen?« fragte er aufgeregt und griff nach der Hand des Fürsten. »Was ist die Uhr? Um Gottes willen, was ist die Uhr? Ich habe die Zeit verschlafen. Wie lange habe ich geschlafen?« fügte er mit fast verzweifelter Miene hinzu, als ob er etwas verschlafen hätte, wovon mindestens sein ganzes Schicksal abhinge.
»Sie haben sieben oder acht Minuten geschlafen«, antwortete Jewgeni Pawlowitsch.
Ippolit blickte ihn gespannt an und dachte einige Augenblicke nach. »Ah ... nicht mehr! Also kann ich ...«
Er holte tief und begierig Atem, wie wenn er eine schwere Last von sich geworfen hätte. Er merkte endlich, daß nichts »zu Ende war«, daß es noch nicht tagte, daß die Gäste nur wegen des Imbisses vom Tisch aufgestanden waren, und daß lediglich Lebedjews Geschwätz aufgehört hatte. Er lächelte, und eine schwindsüchtige Röte erschien in Gestalt zweier heller Flecke auf seinen Wangen.
»Sie haben also sogar die Minuten gezählt, während ich schlief, Jewgeni Pawlowitsch«, sagte er spöttisch. »Sie haben den ganzen Abend über die Augen nicht von mir abgewandt; ich habe es wohl gesehen ... Ah, da ist ja Rogoschin! Ich habe soeben von ihm geträumt«, flüsterte er dem Fürsten zu, indem er ein finsteres Gesicht machte und mit dem Kopf nach dem am Tisch sitzenden Rogoschin hindeutete. »Ach ja«, fuhr er mit einem plötzlichen Übergang zu etwas anderem fort, »wo ist denn der Redner? Wo ist denn Lebedjew? Lebedjew ist also zu Ende? Worüber hat er denn gesprochen? Ist es wahr, Fürst, daß Sie einmal gesagt haben, die Welt werde durch die Schönheit erlöst werden? Meine Herren!« rief er allen laut zu, »der Fürst behauptet, die Welt werde durch die Schönheit erlöst werden! Und ich behaupte, daß er so leichtsinnige Gedanken jetzt deshalb hat, weil er verliebt ist. Meine Herren, der Fürst ist verliebt; vorhin, sowie er hereinkam, habe ich mich davon überzeugt. Erröten Sie nicht, Fürst; das würde mir leid tun. Was ist denn das für eine Schönheit, durch die die Welt erlöst werden wird? Mir hat Kolja das wiedererzählt ... Sind Sie ein eifriger Christ? Kolja sagt, Sie nennen sich selbst einen Christen.«
Der Fürst sah ihn aufmerksam an, ohne ihm zu antworten.
»Sie antworten mir nicht? Sie glauben vielleicht, daß ich Sie sehr gern habe?« fügte Ippolit wie unwillkürlich hinzu.
»Nein, das glaube ich nicht. Ich weiß, daß Sie mich nicht leiden können.«
»Wie? Selbst nach dem, was gestern geschehen ist? War ich gestern gegen Sie nicht aufrichtig?«
»Ich wußte auch gestern, daß Sie mich nicht leiden können.«
»Sie meinen, weil ich Sie beneide? Das haben Sie immer gedacht und denken es auch jetzt; aber ... aber warum rede ich mit Ihnen davon? Ich will noch Champagner trinken; gießen Sie mir ein, Keller!«
»Sie dürfen nicht mehr trinken, Ippolit, ich gebe Ihnen keinen mehr ...«
Der Fürst schob das Glas von ihm weg.
»Nun gut!« sagte er, sofort damit einverstanden, und schien in Gedanken zu versinken. »Die Leute werden womöglich noch sagen ... aber was schere ich mich um das, was die Leute sagen werden! Nicht wahr? Nicht wahr? Mögen die Leute nachher reden, was sie wollen; nicht wahr, Fürst? Und was kümmert es uns alle, was ›nachher‹ sein wird ...! Ich bin übrigens noch schlaftrunken. Was ich für einen schrecklichen Traum gehabt habe; jetzt fällt es mir erst wieder ein ... Ich wünsche Ihnen solche Träume nicht, Fürst, wenn ich Sie auch vielleicht wirklich nicht leiden kann. Übrigens, wenn man jemanden auch nicht leiden kann, warum soll man ihm Böses wünschen, nicht wahr? Warum frage ich nur fortwährend? Fortwährend frage ich! Geben Sie mir Ihre Hand; ich werde sie Ihnen kräftig drücken; sehen Sie, so ...! Sie haben mir also doch die Hand gereicht! Sie wissen also, daß mein Händedruck aufrichtig gemeint ist ...? Meinetwegen, ich werde nicht mehr trinken. Was ist die Uhr? Übrigens brauchen Sie es mir nicht zu sagen; ich weiß, was die Uhr ist. Die Stunde ist gekommen! Jetzt ist die richtige Zeit. Was? Wird der Imbiß dort in die Ecke gestellt? Also bleibt dieser Tisch frei? Vorzüglich! Meine Herren, ich ... aber diese Herren hören ja alle nicht ... ich beabsichtige, einen Artikel vorzulesen, Fürst; der Imbiß ist natürlich interessanter; aber ...«
Und ganz unerwartet zog er aus seiner oberen Seitentasche ein mit einem großen, roten Siegel verschlossenes Kuvert im Kanzleiformat heraus. Er legte es vor sich auf den Tisch.
Dieser unerwartete Vorgang brachte auf die angeheiterte Gesellschaft, die darauf nicht vorbereitet war, eine starke Wirkung hervor. Jewgeni Pawlowitsch sprang sogar ein wenig auf seinem Stuhl in die Höhe; Ganja kam schnell an den Tisch heran, Rogoschin ebenfalls, aber mit mürrischer, ärgerlicher Miene, als wüßte er, um was es sich handle. Lebedjew, der sich zufällig gerade in der Nähe befand, trat mit neugierigen Augen heran und schaute nach dem Kuvert, bemüht, dessen Inhalt zu erraten.
»Was haben Sie denn da?« fragte der Fürst beunruhigt.
»Sowie der Rand der Sonnenscheibe sichtbar wird, werde ich mich hinlegen, Fürst; ich habe es gesagt; mein Ehrenwort darauf! Sie werden es schon sehen!« rief Ippolit. »Aber ... aber ... glauben Sie wirklich, ich wäre nicht imstande, dieses Kuvert zu erbrechen?« fügte er hinzu, indem er in herausfordernder Weise alle Umstehenden der Reihe nach anschaute und sich an alle ohne Unterschied wandte.
Der Fürst bemerkte, daß er am ganzen Leibe zitterte.
»Niemand von uns glaubt das«, antwortete der Fürst für alle. »Warum meinen Sie denn, daß jemand so etwas denkt, und was ... was ist das für ein seltsamer Einfall von Ihnen, etwas vorlesen zu wollen? Was haben Sie denn da, Ippolit?«
»Was ist denn los? Was ist denn wieder mit ihm passiert?« wurde ringsumher gefragt.
Alle traten heran, manche noch essend; das Kuvert mit dem roten Siegel übte auf alle eine Anziehungskraft aus wie ein Magnet.
»Das habe ich gestern selbst geschrieben, gleich nachdem ich versprochen hatte, zu Ihnen zu ziehen und bei Ihnen zu wohnen, Fürst. Ich habe gestern den ganzen Tag daran geschrieben und dann in der Nacht und bin heute morgen damit fertig geworden; in der Nacht, gegen Morgen, hatte ich einen Traum ...«
»Wäre es nicht besser, es bis morgen zu lassen?« unterbrach ihn der Fürst schüchtern.
»Morgen ›wird keine Zeit mehr sein‹«, erwiderte Ippolit mit einem krampfhaften Lächeln. »Beunruhigen Sie sich übrigens nicht; das Vorlesen wird nur vierzig Minuten dauern; na –