Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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gerötetem, blinzelndem, lachendem Gesicht und wirrem Haar und erkannte im gleichen Augenblick Ferdyschtschenko, der sich Gott weiß woher hier wieder eingefunden hatte.

      »Erinnern Sie sich noch an Ferdyschtschenko?« fragte dieser.

      »Wo kommen Sie denn her?« rief der Fürst.

      »Er bereut!« rief der herbeilaufende Keller. »Er hatte sich versteckt und wollte nicht zu uns herauskommen; er hatte sich da hinten in einem Winkel versteckt; er bereut, Fürst; er fühlt sich schuldig.«

      »Schuldig? Wieso?«

      »Ich habe ihn getroffen, Fürst; ich habe ihn vorhin eben getroffen und mit hergebracht; er ist einer meiner besten Freunde; aber er bereut.«

      »Ich freue mich sehr, meine Herren; gehen Sie nur, und setzen Sie sich dort zu den andern; ich komme auch gleich«, sagte der Fürst, indem er sich endlich losmachte und zu Jewgeni Pawlowitsch eilte.

      »Es ist ja hier bei Ihnen sehr amüsant«, bemerkte dieser, »und ich habe mit Vergnügen eine halbe Stunde lang auf Sie gewartet. Was ich sagen wollte, liebster Ljow Nikolajewitsch: ich habe alles mit Kurmyschew geordnet und kam her, um Sie zu beruhigen; Sie brauchen sich nicht darüber aufzuregen; er hat die Sache sehr, sehr vernünftig aufgefaßt, was auch um so näher lag, da er meiner Ansicht nach selbst die meiste Schuld hatte.«

      »Mit was für einem Kurmyschew?«

      »Nun, mit dem, den Sie vorhin an den Armen gepackt haben ... Er war so wütend, daß er schon beabsichtigte, morgen zu Ihnen zu schicken und Genugtuung zu fordern.«

      »Ich bitte Sie, was für ein Unsinn!«

      »Natürlich ist es ein Unsinn; und die Sache wäre auch sicher harmlos erledigt worden; aber diese Leute sind bei uns in Rußland ...«

      »Sie sind vielleicht auch noch zu einem andern Zweck hergekommen, Jewgeni Pawlowitsch?«

      »Oh, natürlich noch zu einem andern Zweck!« versetzte dieser lachend. »Lieber Fürst, ich fahre morgen bei Tagesanbruch in dieser unglücklichen Angelegenheit (nun ja, ich meine in der Sache mit meinem Onkel) nach Petersburg. Denken Sie sich nur: es ist alles wahr, und alle Leute wissen davon mehr als ich. Mich hat die Sache so ergriffen, daß ich heute nicht mehr dazu gekommen bin, dorthin« (zu Jepantschins) »zu gehen, und morgen werde ich es ebenfalls nicht können, weil ich in Petersburg sein werde; Sie verstehen? Vielleicht werde ich ungefähr drei Tage von hier abwesend sein – kurz gesagt, meine Sachen stehen übel. Obwohl es eine Sache von allergrößter Wichtigkeit ist, habe ich es doch für das Richtige gehalten, mich Ihnen gegenüber in der offenherzigsten Weise und ohne Zeitverlust, das heißt noch vor meiner Abreise, auszusprechen. Ich werde jetzt, wenn es Ihnen recht ist, noch ein Weilchen hier sitzenbleiben und warten, bis die Gesellschaft auseinandergeht; überdies wüßte ich auch nicht, was ich sonst anfangen sollte: ich bin so aufgeregt, daß ich mich gar nicht schlafen legen werde. Endlich möchte ich Ihnen noch eins geradeheraus sagen: obwohl es gewissenlos und unschicklich ist, sich jemandem so geradezu aufzudrängen, so bin ich doch hergekommen, um Ihre Freundschaft zu werben, mein lieber Fürst; Sie sind ein unvergleichlicher Mensch, das heißt, Sie lügen nicht auf Schritt und Tritt und vielleicht überhaupt nicht, und ich bedarf in einer gewissen Angelegenheit eines Freundes und Ratgebers, weil ich jetzt tatsächlich ein unglücklicher Mensch bin ...«

      Er lachte wieder auf.

      »Das Schlimme ist nur«, sagte der Fürst, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, »Sie wollen warten, bis diese Leute auseinandergehen; aber weiß Gott, wann das geschehen wird. Wäre es nicht das beste, wenn wir jetzt in den Park gingen? Gewiß werden sie ein Weilchen warten; ich werde mich entschuldigen.«

      »Nein, nein, ich möchte aus bestimmten Gründen bei ihnen nicht den Verdacht aufkommen lassen, als führten wir ein Gespräch mit besonderen Absichten; es sind hier Leute darunter, die sich sehr für unsere Beziehungen interessieren – wissen Sie das nicht, Fürst? Es wird weit besser sein, wenn sie sehen, daß wir auch ohnehin in sehr freundschaftlichen Beziehungen stehen und nicht nur in besonderen Fällen miteinander zu schaffen haben; verstehen Sie wohl? Sie werden nach etwa zwei Stunden auseinandergehen; dann möchte ich Sie zwanzig Minuten in Anspruch nehmen – nun, oder eine halbe Stunde ...«

      »Aber ich bitte sehr, mit Vergnügen; ich freue mich sehr darauf, mit Ihnen zu reden, auch wenn es sich nicht um besondere Eröffnungen handelt; und für Ihre liebenswürdigen Worte über unsere freundschaftlichen Beziehungen danke ich Ihnen herzlich. Sie entschuldigen, daß ich heute zerstreut bin; wissen Sie, ich kann mich augenblicklich schlechterdings nicht zur Aufmerksamkeit zwingen.«

      »Ich sehe, ich sehe«, murmelte Jewgeni Pawlowitsch mit einem leisen Lächeln.

      Er war an diesem Abend überhaupt sehr zum Lachen aufgelegt.

      »Was sehen Sie denn?« fragte der Fürst erschrocken.

      »Hegen Sie denn gar keinen Verdacht, lieber Fürst«, sagte Jewgeni Pawlowitsch, immer noch lächelnd, ohne auf die direkte Frage zu antworten, »hegen Sie denn gar keinen Verdacht, daß ich einfach hergekommen bin, um Sie hinters Licht zu führen und so nebenbei etwas von Ihnen herauszubekommen, wie?«

      »Daß Sie hergekommen sind, um etwas von mir herauszubekommen, daran ist kein Zweifel«, antwortete der Fürst lachend, »und vielleicht haben Sie sich auch vorgenommen, mich ein bißchen zu betrügen. Aber nur zu! Ich fürchte mich vor Ihnen nicht; und außerdem ist es mir jetzt ganz gleichgültig, sollten Sie es glauben? Und ... und ... und da ich vor allem überzeugt bin, daß Sie trotzdem ein vortrefflicher Mensch sind, so werden wir möglicherweise wirklich am Ende Freundschaft miteinander schließen. Sie haben mir sehr gefallen, Jewgeni Pawlowitsch; Sie ... sind meiner Ansicht nach ein sehr anständiger Mensch!«

      »Nun, jedenfalls ist es sehr angenehm, mit Ihnen etwas zu tun zu haben, mag es sein, was es will«, schloß Jewgeni Pawlowitsch. »Kommen Sie, ich will ein Glas auf Ihre Gesundheit trinken; ich bin sehr zufrieden, daß ich mich an Sie herangemacht habe. Ah!« unterbrach er sich plötzlich. »Ist dieser Herr Ippolit vollständig zu Ihnen übergesiedelt?«

      »Ja.«

      »Ich meine, er wird nicht so bald sterben.«

      »Wieso meinen Sie das?«

      »Ich denke es mir so; ich habe hier eine halbe Stunde in seiner Gesellschaft verbracht ...«

      Ippolit wartete diese ganze Zeit über auf den Fürsten und blickte ununterbrochen nach ihm und Jewgeni Pawlowitsch hin, während die beiden abseits standen und miteinander redeten. Er zeigte eine krankhafte Lebhaftigkeit, als sie an den Tisch traten. Er war unruhig und aufgeregt; der Schweiß war ihm auf die Stirn getreten. In seinen funkelnden Augen kam außer einer dauernden unsteten Unruhe auch eine unbestimmte Ungeduld zum Ausdruck; sein Blick irrte ziellos von einem Gegenstand zum andern, von einer Person zur andern. Er hatte sich zwar an dem gemeinsamen lärmenden Gespräch bisher stark beteiligt; aber sein Eifer hatte etwas Fieberhaftes; im Grunde wendete er dem Gespräch wenig Aufmerksamkeit zu; was er in der Debatte vorbrachte, war unzusammenhängend und klang spöttisch; mit einer gewissen Geringschätzung warf er paradoxe Bemerkungen hin; er sprach seine Gedanken nicht bis zu Ende aus und ließ ein Thema, über das er eine Minute vorher selbst mit glühendem Eifer zu sprechen begonnen hatte, schnell wieder fallen.

      Der Fürst erfuhr mit Verwunderung und Bedauern, daß man ihn an diesem Abend schon zwei volle Gläser Champagner ungehindert hatte trinken lassen, und daß das vor ihm stehende angefangene Glas schon das dritte war. Aber er erfuhr dies erst nachher; augenblicklich war er nicht imstande, seine Umgebung genau zu beobachten.

      »Wissen Sie, ich freue mich außerordentlich darüber, daß gerade heute Ihr Geburtstag ist!« rief Ippolit.

      »Warum denn?«

      »Das werden Sie bald sehen; setzen Sie sich nur schnell her! Erstens schon deswegen, weil hier alle unsere Leute zusammengekommen sind. Ich hatte darauf gerechnet, daß Leute hier sein würden; zum erstenmal in meinem Leben hat sich eine von mir angestellte Rechnung als richtig erwiesen! Aber schade, daß ich von Ihrem Geburtstag nichts gewußt