Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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zutage trat, so war das nur äußerlich; im Herzen konnte sich dieser Mensch nicht verändern.

      »Wie hast du ... mich denn hier gefunden?« fragte der Fürst, um etwas zu sagen.

      »Ich hatte von Keller gehört (ich war nämlich nach deiner Wohnung herangegangen), du wärest in den Park gegangen; na, dachte ich, dann ist die Sache richtig.«

      »Was heißt das: ›die Sache ist richtig‹?« fragte der Fürst, indem er aufgeregt den Ausdruck aufgriff, der dem andern entschlüpft war.

      Rogoschin lächelte, gab aber keine Erklärung dafür.

      »Ich habe deinen Brief erhalten, Ljow Nikolajewitsch; du hast dir unnütze Mühe gemacht ... wozu tust du das nur ...! Jetzt aber komme ich zu dir in ihrem Auftrag: du sollst unbedingt zu ihr kommen; sie hat dir etwas zu sagen. Sie läßt dich bitten, noch heute hinzukommen.«

      »Ich werde morgen kommen. Ich gehe jetzt gleich nach Hause. Willst du nicht ... zu mir kommen?«

      »Wozu? Ich habe dir alles Nötige gesagt; adieu!«

      »Willst du nicht doch mitgehen?« fragte ihn der Fürst leise.

      »Du bist ein sonderbarer Mensch, Ljow Nikolajewitsch; man muß sich über dich wundern.«

      Rogoschin lächelte spöttisch.

      »Warum? Weshalb hast du jetzt einen solchen Groll gegen mich?« fragte ihn der Fürst traurig und mit warmer Empfindung. »Du weißt ja jetzt selbst, daß alles, was du gedacht hast, unwahr ist. Übrigens habe ich es mir auch gedacht, daß dein Groll gegen mich noch nicht vergangen sein würde, und weißt du, weshalb? Weil du mir nach dem Leben getrachtet hast, darum vergeht dein Groll nicht. Ich sage dir, ich erinnere mich nur an jenen Parfen Rogoschin, mit dem ich an jenem Tag das Kreuz gewechselt habe; ich habe dir das in meinem gestrigen Brief geschrieben, damit du diesen ganzen Fieberwahn vergessen und nicht mit mir davon zu reden anfangen möchtest. Warum trittst du von mir weg? Warum versteckst du deine Hand vor mir? Ich sage dir, daß ich alles damals Geschehene nur für einen Fieberwahn halte: ich habe jetzt für dich, wie du an jenem ganzen Tag warst, ein ebenso gutes Verständnis wie für mich selbst. Das, was du dir einbildest, existierte nicht und konnte nicht existieren. Warum soll unser Groll fortdauern?«

      »Was kannst du denn für Groll empfinden?« erwiderte Rogoschin, wieder lachend, auf die warmen Worte des Fürsten.

      Er stand wirklich etwas von ihm entfernt, da er ein paar Schritte zurückgewichen war, und hielt seine Hände versteckt.

      »Es schickt sich jetzt für mich überhaupt nicht, zu dir zu kommen, Ljow Nikolajewitsch«, fügte er langsam und bedeutsam zum Schluß hinzu.

      »So sehr haßt du mich also? Wie?«

      »Ich liebe dich nicht, Ljow Nikolajewitsch; also, warum sollte ich zu dir kommen? Ach, Fürst, du bist ganz wie ein kleines Kind: du möchtest ein Spielzeug haben; ›gib her, gib her!‹ heißt es; aber du verstehst von dem Spielzeug gar nichts. Was du jetzt sagst, hast du mir alles ganz ebenso in deinem Brief geschrieben; meinst du denn, daß ich dir nicht glaube? Ich glaube jedes Wort, das du sagst, und weiß, daß du mich nie getäuscht hast und nie täuschen wirst; aber ich liebe dich trotzdem nicht. Du schreibst mir, du hättest alles vergessen und erinnertest dich nur an deinen Kreuzbruder Rogoschin, aber nicht an jenen Rogoschin, der damals das Messer gegen dich gezückt habe. Aber woher kennst du denn meine Gefühle?« (Rogoschin lächelte wieder.) »Ich habe das seitdem vielleicht nie bereut, und du hast mir schon deine brüderliche Verzeihung geschickt. Vielleicht habe ich gleich an jenem selben Abend schon an etwas ganz anderes gedacht und diese Geschichte ...«

      »Und diese Geschichte vergessen!« fiel der Fürst ein. »Wie könnte es auch anders sein? Ich möchte wetten, daß du damals geradewegs nach der Bahn gelaufen und hierher nach Pawlowsk zur Musik gefahren und ihr gerade wie heute im Menschengewühl nachgegangen bist und sie beobachtet hast. Das ist mir ganz selbstverständlich! Hättest du dich nicht damals in einem solchen Zustand befunden, daß du nur an das eine denken konntest, so würdest du vielleicht gar nicht das Messer gegen mich erhoben haben. Ich hatte damals schon vom Vormittag an, als ich dich anblickte, so eine Ahnung; weißt du wohl, wie du da aussahst? In dem Augenblick, als wir die Kreuze tauschten, da wurde dieser Gedanke wohl zuerst in mir rege. Warum hast du mich damals zu der alten Frau geführt? Deine Absicht war doch wohl, deine eigene Hand dadurch aufzuhalten? Aber du hast das unmöglich klar gedacht, sondern nur unbestimmt gefühlt, gerade wie ich ... Wir hatten damals beide das gleiche Gefühl. Und hättest du damals deine Hand nicht gegen mich aufgehoben (Gott hat sie abgelenkt), wie würde ich dann jetzt vor dir stehen? Denn ich meinerseits hatte ja doch jenen Verdacht gegen dich; wir haben dieselbe Sünde begangen, die gleiche Sünde! (Runzle nicht die Stirn! Nun, und weshalb lachst du?) Du sagst, du hättest es nicht bereut. Aber wenn du es selbst gewollt hättest, so hättest du es vielleicht doch nicht bereuen können, weil du mich eben nicht liebtest. Und wäre ich dir gegenüber auch so unschuldig wie ein Engel, so wirst du mich trotz dem nicht leiden können, solange du denkst, daß sie nicht dich, sondern mich liebt. Das liegt im Wesen der Eifersucht. Aber nun höre einmal zu, Parfen; ich will dir sagen, zu welchem Resultat mich in dieser Woche mein Nachdenken hat kommen lassen: weißt du wohl, daß sie dich jetzt vielleicht mehr liebt als irgendeinen andern, und zwar in der Weise, daß ihre Liebe um so größer ist, je mehr sie dich quält? Sie wird dir das nicht sagen; aber man muß verstehen, das zu durchschauen. Warum wird sie dich schließlich doch heiraten? Sie wird es dir später einmal selbst sagen. Manche Frauen haben es sogar gern, daß man sie so liebt, und gerade sie hat einen solchen Charakter! Und dein Charakter und deine Liebe haben sicherlich auf sie einen großen Eindruck gemacht! Weißt du, daß eine Frau imstande ist, einen Menschen durch ihre Grausamkeiten und Spöttereien zu martern, ohne dabei die geringsten Gewissensbisse zu verspüren, weil sie jedesmal, wenn sie den Betreffenden ansieht, denkt: ›Jetzt quäle ich ihn halbtot; aber nachher werde ich durch meine Liebe alles wiedergutmachen‹ ...?«

      Rogoschin lachte, als er den Fürsten das sagen hörte.

      »Hör mal, Fürst, du bist wohl selbst an so eine geraten? Ich habe etwas Derartiges über dich gehört, wenn's wahr ist.«

      »Was kannst du gehört haben? Was?« fragte der Fürst, der plötzlich zusammenfuhr und in großer Bestürzung stehenblieb.

      Rogoschin fuhr fort zu lachen. Er hatte mit Interesse und vielleicht mit Vergnügen dem Fürsten zugehört; der freudige, warme Affekt des Fürsten imponierte ihm und ermutigte ihn.

      »Und ich habe nicht nur etwas gehört, sondern ich sehe jetzt auch selbst, daß es wahr ist«, fügte er hinzu. »Wann hättest du denn jemals so geredet wie jetzt? Deine Reden klingen ja gar nicht, als ob sie von dir kämen. Hätte ich nicht so etwas über dich gehört, so würde ich nicht zu dir gekommen sein, noch dazu in den Park, um Mitternacht.«

      »Ich verstehe dich absolut nicht, Parfen Semjonowitsch.«

      »Sie hat mir das schon vor längerer Zeit von dir gesagt, und vorhin habe ich es mit eigenen Augen gesehen, als du mit der andern bei der Musik saßest. Sie hat mir geschworen, gestern und heute hat sie mir geschworen, daß du in Aglaja Jepantschina wie ein Kater verliebt seist. Mir ist das ganz gleichgültig, Fürst, das geht mich nichts an: wenn du sie auch nicht mehr liebst, so liebt doch sie dich noch immer. Du weißt ja, daß sie aus dir und jener andern unter allen Umständen ein Paar machen will; das hat sie sich nun einmal in den Kopf gesetzt, hehe! Sie sagt zu mir: ›Sonst heirate ich dich nicht; wenn die beiden zum Traualtar gehen, dann wollen wir es auch tun.‹ Was das zu bedeuten hat, habe ich nie begriffen und begreife ich auch jetzt nicht: entweder liebt sie dich grenzenlos, oder ... Wenn sie dich liebt, wie kann sie dann wünschen, daß du eine andere heiratest? Sie sagt: ›Ich will ihn glücklich sehen‹; also liebt sie dich.«

      »Ich habe dir gesagt und geschrieben, daß sie ... nicht ihren Verstand hat«, sagte der Fürst, der dies mit innerer Qual angehört hatte.

      »Gott mag's wissen! Vielleicht irrst du dich auch darin ... Übrigens hat sie heute, als ich sie von der Musik nach Hause brachte, unsern Hochzeitstag bestimmt: ›In drei Wochen‹, sagt sie, ›vielleicht auch schon früher,