Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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das erfahren hat? Haha! Es hat sich ja um sie schon ein ganzer Stab gebildet, sowie sie nur hier erschienen ist. Weißt du nicht, was für Leute sie jetzt besuchen und sich um ›die Ehre ihrer Bekanntschaft‹ bemühen? Sie konnte das heute auf die einfachste Weise von Leuten, die aus der Stadt gekommen waren, erfahren; denn jetzt weiß es schon ganz Petersburg und hier halb Pawlowsk oder auch schon ganz Pawlowsk. Aber wie fein war ihre Bemerkung über die Uniform (sie ist mir wiedererzählt worden), das heißt in bezug darauf, daß Jewgeni Pawlowitsch rechtzeitig den Abschied genommen habe! Das war eine teuflische Anspielung! Nein, das weist nicht auf Geisteskrankheit hin. Ich kann natürlich nicht glauben, daß Jewgeni Pawlowitsch von der Katastrophe etwas im voraus hätte wissen können, das heißt, daß am soundsovielten, um sieben Uhr morgens und so weiter. Aber er konnte all das wenigstens ahnen. Und ich und wir alle, auch Fürst Schtsch., rechneten darauf, daß der Onkel ihm noch eine hübsche Erbschaft hinterlassen werde! Es ist furchtbar! Geradezu furchtbar! Versteh mich übrigens recht: ich spreche gegen Jewgeni Pawlowitsch keinerlei Beschuldigung aus und beeile mich, dir das ausdrücklich zu erklären; aber verdächtig ist die Sache trotz alledem. Fürst Schtsch. ist tief erschüttert. Alles ist so überraschend hereingebrochen.«

      »Aber was ist denn an Jewgeni Pawlowitschs Benehmen verdächtig?«

      »Gar nichts! Er hat sich in durchaus anständiger Weise benommen. Ich habe ja auch nichts Derartiges angedeutet. Sein eigenes Vermögen, denke ich, ist unversehrt. Lisaweta Prokofjewna will davon natürlich nichts hören ... Aber die Hauptsache sind all diese Familienszenen oder, richtiger gesagt, all diese Zänkereien, man weiß gar nicht, wie man es nennen soll. Du bist ja (das kann man wahrheitsgemäß sagen) ein Freund unseres Hauses, Ljow Nikolajewitsch; nun denk dir einmal, eben kommt zur Sprache, wiewohl nicht in genauer, zuverlässiger Form, daß Jewgeni Pawlowitsch schon vor mehr als einem Monat Aglaja einen Heiratsantrag gemacht und von ihr in aller Form einen Korb erhalten hat.«

      »Das ist nicht möglich!« rief der Fürst lebhaft.

      »Aber weißt du denn vielleicht etwas darüber? Siehst du, Teuerster«, sagte der General, indem er erschrocken zusammenfuhr und auf dem Fleck wie angenagelt stehenblieb, »ich habe dir vielleicht unpassenderweise mehr gesagt, als ich hätte sagen sollen; aber das ist mir so entschlüpft, weil du ... weil du ... man kann sagen, weil du ein solcher Mensch bist. Vielleicht weißt du irgend etwas Besonderes?«

      »Ich weiß nichts ... von Jewgeni Pawlowitsch«, murmelte der Fürst.

      »Auch ich weiß nichts! Mich ... mich, lieber Freund, behandeln alle geradezu, als ob ich schon tot und begraben wäre und von nichts mehr zu wissen brauchte, und können dabei gar nicht verstehen, daß das für einen Menschen peinlich ist, und daß ich das nicht ertragen kann. Eben habe ich da eine Szene durchgemacht, es war schrecklich! Ich rede mit dir, wie wenn du mein Sohn wärst. Die Hauptsache ist: Aglaja macht sich geradezu über ihre Mutter lustig. Daß sie anscheinend vor einem Monat Jewgeni Pawlowitsch einen Korb gegeben und daß zwischen ihnen eine ziemlich formelle Auseinandersetzung stattgefunden hat, haben uns die Schwestern als Vermutung mitgeteilt ... übrigens als bestimmte Vermutung. Aber sie ist ja ein so eigenwilliges, phantastisches Wesen, daß es gar nicht zu sagen ist! Sie besitzt die prächtigsten, glänzendsten Eigenschaften des Geistes und Herzens; gewiß, zugegeben; aber dabei ist sie launisch und spottlustig, kurz, ein reiner Kobold, und hat immer phantastische Einfälle. Über ihre Mutter hat sie sich jetzt eben lustig gemacht, ihr gerade ins Gesicht, und ebenso über ihre Schwestern und den Fürsten Schtsch. Von mir brauche ich erst gar nicht zu reden; über mich macht sie sich eigentlich fortwährend lustig; aber, weißt du, ich liebe sie doch und habe es sogar gern, daß sie sich über unsereinen lustig macht – und wie es scheint, liebt mich dieser Kobold deswegen ganz besonders, das heißt mehr, als sie alle andern liebt. Ich möchte darauf wetten, daß sie sich auch über dich schon lustig gemacht hat. Ich fand euch soeben im Gespräch begriffen, als ich von der erregten Szene, die vorher oben stattgefunden hatte, herunterkam; da saß sie mit dir zusammen, als ob nicht das geringste vorgefallen wäre.«

      Der Fürst wurde furchtbar rot und preßte seine rechte Hand zusammen; aber er schwieg.

      »Mein lieber, guter Ljow Nikolajewitsch!« sagte der General auf einmal mit warmer Empfindung. »Ich ... und sogar Lisaweta Prokofjewna selbst (die übrigens wieder angefangen hat auf dich zu schimpfen und zugleich in zweiter Linie auch auf mich, ich weiß nicht weswegen eigentlich), wir lieben dich trotz alledem, wir lieben und achten dich aufrichtig, trotz aller Äußerlichkeiten. Du mußt aber selbst zugeben, lieber Freund, du mußt aber selbst zugeben: was ist das auf einmal für ein Rätsel und für ein Ärger zu hören, wie dieser kaltblütige Kobold (denn sie stand vor ihrer Mutter da mit einer Miene tiefster Verachtung für all unsere Fragen und namentlich für die meinigen, weil ich, hol's der Teufel, die Dummheit begangen hatte, Strenge herauskehren zu wollen, da ich doch das Oberhaupt der Familie bin – na, das war eben eine Dummheit), wie dieser kaltblütige Kobold auf einmal lächelnd erklärt, daß diese ›Geisteskranke‹ (so drückte sie sich aus, und es kommt mir merkwürdig vor, daß sie sich desselben Wortes bediente wie du; ›habt ihr denn das noch nicht gemerkt?‹ sagte sie), daß diese Geisteskranke ›es sich in den Kopf gesetzt hat, mich um jeden Preis mit Ljow Nikolajewitsch zu verheiraten, und zu diesem Zweck Jewgeni Pawlowitsch aus unserm Haus herausschaffen möchte‹.

      Mehr sagte sie nicht; sie gab keine weiteren Erklärungen, lachte für sich, wir rissen erstaunt den Mund auf, sie ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Dann erzählten mir die Meinigen von der Szene, die sich vorhin zwischen ihr und dir abgespielt hat ... und ... und ... höre mal, lieber Fürst, du bist ein sehr verständiger Mensch und nicht empfindlich, das habe ich an dir wahrgenommen, aber ... werde nicht böse: sie macht sich, weiß Gott, über dich lustig. Wie ein Kind macht sie sich über andere Leute lustig, und darum sei ihr nicht böse, aber es verhält sich entschieden so. Mach dir darüber weiter keine Gedanken – sie hält dich und uns alle einfach zum Narren, aus Langeweile. Aber nun lebe wohl! Du kennst doch unsere Gesinnung? Unsere herzliche Gesinnung gegen dich? Die ist unwandelbar, für alle Zeit und in jeder Hinsicht ... aber ... ich muß jetzt hier abbiegen; auf Wiedersehen! Selten in meinem Leben habe ich mich so unbehaglich gefühlt wie jetzt ... O weh, ist das eine Sommerfrische!«

      Als der Fürst an der Straßenkreuzung allein geblieben war, blickte er sich nach allen Seiten um, ging schnell über die Straße hinüber, trat nahe an das erleuchtete Fenster eines Landhauses heran, faltete einen kleinen Zettel auseinander, den er während des ganzen Gesprächs mit Iwan Fjodorowitsch fest in der rechten Hand zusammengedrückt gehalten hatte, und las unter Benutzung des schwachen Lichtschimmers:

      »Morgen früh um sieben Uhr werde ich auf der grünen Bank im Park sitzen und Sie erwarten. Ich will mit Ihnen über eine sehr wichtige Angelegenheit reden, die Sie direkt angeht.

      PS Ich hoffe, Sie werden diesen Zettel niemandem zeigen. Ich schäme mich zwar, Ihnen erst noch eine solche Instruktion zu geben, habe mir aber gesagt, daß sie bei Ihnen nötig ist, und sie darum hergesetzt, indem ich vor Scham über Ihren komischen Charakter errötete.

      PPSS Es ist dieselbe grüne Bank, die ich Ihnen vorhin gezeigt habe. Schämen Sie sich! Ich sah mich genötigt, auch das erst noch herzuschreiben.«

      Der Zettel war eilig geschrieben und ohne Sorgfalt zusammengefaltet, aller Wahrscheinlichkeit nach kurz bevor Aglaja nach der Veranda herausgekommen war. In einer unsagbaren Aufregung, die mit Angst Ähnlichkeit hatte, drückte der Fürst den Zettel wieder in der Hand zusammen und sprang schnell wie ein erschreckter Dieb vom Fenster und vom Licht zurück; aber bei dieser Bewegung stieß er auf einmal heftig mit einem Herrn zusammen, der unmittelbar hinter seinen Schultern stand.

      »Ich bin Ihnen gefolgt, Fürst«, sagte der Herr.

      »Sie sind es, Keller?« rief der Fürst erstaunt.

      »Ich möchte mit Ihnen reden, Fürst. Ich habe bei dem Jepantschinschen Landhaus auf Sie gewartet; hineingehen konnte ich natürlich nicht. Ich bin hinter Ihnen hergegangen, während Sie mit dem General gingen. Ich stehe zu Ihren Diensten, Fürst; verfügen Sie über mich nach Belieben. Ich bin bereit, für Sie jedes Opfer zu bringen und, wenn es sein muß, sogar zu sterben.«

      »Aber