Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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der braucht noch nicht feige zu sein«, erwiderte der Fürst nach kurzem Nachdenken lächelnd.

      »Und Sie würden nicht weglaufen?«

      »Vielleicht würde ich das nicht tun«, antwortete er, schließlich auflachend, auf Aglajas Fragen.

      »Ich bin zwar ein Weib; aber ich würde unter keinen Umständen weglaufen«, bemerkte sie empfindlich.

      »Aber Sie machen sich über mich lustig und reden nach Ihrer Gewohnheit wunderliches Zeug, um sich interessant zu machen. Sagen Sie mal: die Duellanten schießen ja wohl gewöhnlich auf zwölf Schritte, manche auch auf zehn Schritte; also wird man sicher erschossen oder verwundet?«

      »Beim Duell fällt wohl selten jemand.«

      »Selten? Puschkin wurde doch im Duell erschossen.«

      »Das war vielleicht ein Zufall.«

      »Ganz und gar kein Zufall; es war ein Duell auf Leben und Tod, und da wurde er erschossen.«

      »Die Kugel traf ihn so weit unten, daß man annehmen muß, d'Antès habe auf eine höhere Körperstelle gezielt, auf die Brust oder auf den Kopf. So weit nach unten zielt niemand; somit hat die Kugel Puschkin aller Wahrscheinlichkeit nach zufällig getroffen, durch einen Fehlschuß. Das ist mir von urteilsfähigen Leuten gesagt worden.«

      »Aber mir hat ein Soldat, mit dem ich einmal sprach, gesagt, sie seien, wenn sie sich in Schützenschwärme auflösten, durch das Reglement ausdrücklich angewiesen, auf die Mitte des Menschen zu zielen; so lautet der Ausdruck bei ihnen. Also die werden angewiesen, nicht nach der Brust oder nach dem Kopf, sondern absichtlich nach der Mitte des Körpers zu schießen. Ich fragte später einen Offizier danach, und der sagte mir, daß es sich genau so verhalte.«

      »Das ist gewiß so angeordnet, weil da auf weite Entfernung geschossen wird.«

      »Können Sie schießen?«

      »Ich habe noch nie geschossen.«

      »Können Sie wirklich nicht einmal eine Pistole laden?«

      »Nein, das kann ich nicht. Das heißt, ich weiß, wie es gemacht wird; aber ich habe noch nie selbst eine geladen.«

      »Nun, dann können Sie es auch nicht; denn dazu gehört praktische Erfahrung! Hören Sie mal zu, und prägen Sie es sich gut ein: erstens kaufen Sie sich gutes Pistolenpulver, nicht feuchtes (es darf nicht feucht sein, sage ich; es muß ganz trocken sein), recht feines; solches müssen Sie gleich fordern, nicht solches, mit dem man aus Kanonen schießt. Die Kugel gießt man sich irgendwie selbst. Haben Sie Pistolen?«

      »Nein, ich brauche auch keine«, versetzte der Fürst lachend.

      »Ach, dummes Zeug! Kaufen Sie sich unter allen Umständen eine: eine gute französische oder englische; das sind die besten, sage ich Ihnen. Dann nehmen Sie Pulver, etwa einen Fingerhut voll oder vielleicht zwei, und schütten Sie es hinein! Lieber ein bißchen mehr. Drücken Sie es mit Filz fest (Filz ist ungedingt nötig, sage ich Ihnen); den können Sie sich leicht irgendwoher beschaffen, von einer Matratze; auch die Türen werden manchmal mit Filz beschlagen. Dann, wenn Sie den Filz hineingesteckt haben, legen Sie die Kugel darauf; hören Sie wohl: die Kugel nachher, das Pulver zuerst; sonst schießt es nicht. Warum lachen Sie? Ich will, daß Sie täglich ein paarmal schießen und unbedingt ein Ziel treffen lernen. Werden Sie das auch tun?«

      Der Fürst lachte; Aglaja stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf. Ihre ernste Miene bei einem solchen Gespräch setzte den Fürsten einigermaßen in Erstaunen. Er hatte die unklare Empfindung, daß er hier etwas in Erfahrung bringen, nach etwas fragen müsse, und zwar jedenfalls nach etwas Ernsthafterem, als es das Laden einer Pistole war. Aber all das war ihm aus dem Sinn entschwunden, und er fühlte nur das eine, daß sie vor ihm saß und er sie ansah; worüber sie redete, das war ihm in diesem Augenblick so gut wie gleichgültig.

      Endlich kam Iwan Fjodorowitsch selbst von oben nach der Veranda herunter; er hatte noch einen Gang vor; seine Miene war finster und sorgenvoll, zeigte aber feste Entschlossenheit.

      »Ah, Ljow Nikolajewitsch, du bist hier ... Wo willst du denn jetzt hin?« fragte er, obwohl dieser gar nicht daran dachte, sich von seinem Platz zu rühren. »Komm mit, ich möchte gern noch ein paar Worte mit dir sprechen.«

      »Auf Wiedersehen!« sagte Aglaja und reichte dem Fürsten die Hand.

      In der Veranda war es schon recht dunkel, und der Fürst konnte jetzt ihren Gesichtsausdruck nicht deutlich erkennen. Gleich darauf, als er bereits mit dem General das Landhaus verließ, errötete er plötzlich stark und preßte seine rechte Hand fest zusammen.

      Es stellte sich heraus, daß Iwan Fjodorowitsch mit ihm den gleichen Weg hatte; der General ging trotz der späten Stunde noch eilig aus, um sich mit jemand über etwas zu besprechen. Zunächst aber begann er jetzt mit dem Fürsten zu reden, hastig, aufgeregt, unzusammenhängend, und tat in dem, was er sagte, häufig Lisaweta Prokofjewnas Erwähnung. Hätte der Fürst in diesem Augenblick aufmerksamer sein können, so würde er vielleicht gemerkt haben, daß Iwan Fjodorowitsch unter anderm auch von ihm etwas herauszubringen oder, richtiger ausgedrückt, ihn offen und gerade nach etwas zu fragen wünschte, es aber immer nicht fertigbrachte, den Hauptpunkt zu berühren. Zu seiner Schande war aber der Fürst in dem Grade zerstreut, daß er gleich von vornherein nichts hörte und, als der General mit einer eifrigen Frage vor ihm stehenblieb, genötigt war zu bekennen, daß er nichts verstanden habe.

      Der General zuckte mit den Achseln.

      »Was seid ihr alle für sonderbare Menschen geworden«, begann er dann von neuem. »Ich sage dir, ich begreife gar nicht, was Lisaweta Prokofjewna sich für Gedanken macht, und warum sie sich so aufregt. Sie ist furchtbar nervös und weint und sagt, wir seien beschimpft und an den Pranger gestellt worden. Wer hätte das getan? Wie? Wodurch? Wann und warum? Ich gestehe, daß ich einen Teil der Schuld trage (das gebe ich zu), einen großen Teil der Schuld; aber den hinterlistigen Anfällen dieses ... dieses unruhigen Weibes (obendrein ist auch ihre Aufführung schlecht) muß schließlich durch die Polizei ein Ende gemacht werden, und ich beabsichtige gleich heute, mich zu diesem Zweck mit jemand zu besprechen und der Sache einen Riegel vorzuschieben. Man kann all dergleichen im stillen, im guten, sogar in freundlicher Weise, durch gute Bekannte und ohne alles Aufsehen abmachen. Ich gebe auch zu, daß die Zukunft noch manche Überraschungen in ihrem Schoß birgt, und daß vieles noch unaufgeklärt ist; es steckt da eine Intrige dahinter; aber wenn man hier nichts weiß und dort nichts zu erklären vermag, und wenn ich nichts gehört habe und du nichts gehört hast und jener nichts gehört hat und ein vierter ebenfalls nichts gehört hat: wer hat denn schließlich etwas davon gehört, frage ich dich? Wie soll man das deiner Ansicht nach erklären, wenn man nicht sagen will, die Sache sei zur Hälfte eine Luftspiegelung, etwas nicht Existierendes, in der Art wie das Mondlicht oder andere Visionen?«

      »Sie ist geisteskrank«, murmelte der Fürst, der sich plötzlich mit Schmerz an den ganzen Vorfall von vorhin erinnerte.

      »Das habe ich auch geglaubt, wenn du damit dieses Weib meinst. Auch mir war dieser Gedanke gekommen, und ich konnte infolgedessen ruhig schlafen. Aber jetzt sehe ich, daß sie doch sehr folgerichtig denkt, und glaube nicht mehr an ihre Geisteskrankheit. Sie ist allerdings ein zanklustiges Weib, dabei aber scharfsinnig und ganz und gar nicht verrückt. Ihre heutigen scharfen Bemerkungen über Kapiton Alexejewitsch beweisen das deutlich. Es liegt ihrerseits ein gaunerisches, das heißt zumindestens ein jesuitisches Verfahren vor, bei dem sie bestimmte Ziele verfolgt.«

      »Was ist das für ein Kapiton Alexejewitsch?«

      »Ach, mein Gott, Ljow Nikolajewitsch, du hörst ja gar nicht zu! Ich habe ja damit angefangen, dir von Kapiton Alexejewitsch zu erzählen; ich bin so erschüttert, daß mir noch jetzt Arme und Beine zittern. Darum bin ich ja auch heute so lange in der Stadt geblieben. Es handelt sich um Kapiton Alexejewitsch Radomski, den Onkel Jewgeni Pawlowitschs.«

      »Nun, was ist mit ihm?« rief der Fürst.

      »Er hat sich erschossen, heute morgen um sieben Uhr. Ein allgemein geachteter Greis, siebzigjährig, ein Epikureer. Und