Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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das heißt nicht persönlich ... er wird die Beleidigung nicht so hinnehmen. Unsereinen, das heißt mich und Rogoschin, hält er natürlich für Plebs, und vielleicht verdientermaßen; auf diese Weise fällt die Verantwortung Ihnen allein zu. Sie werden die zerbrochenen Flaschen bezahlen müssen, Fürst. Er hat sich, wie ich gehört habe, nach Ihnen erkundigt, und es wird sich gewiß morgen einer seiner Freunde bei Ihnen einstellen; vielleicht wartet er auch jetzt schon auf Sie. Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, mich zu Ihrem Sekundanten zu erwählen, so bin ich bereit, Gut und Blut für Sie zu opfern; darum habe ich Sie aufgesucht, Fürst.«

      »Also auch Sie reden mir von einem Duell!« rief der Fürst lachend zu Kellers größtem Erstaunen. Er lachte gewaltig. Keller, der wirklich von Ungeduld gepeinigt worden war, bis er es zu seiner Befriedigung fertiggebracht hatte, sich als Sekundanten anzubieten, fühlte sich beinah beleidigt, als er den Fürsten so heiter lachen sah.

      »Sie haben ihn aber vorhin bei den Armen gepackt, Fürst. Das kann sich ein anständiger Mensch vor den Augen des Publikums schwerlich gefallen lassen.«

      »Und er hat mich vor die Brust gestoßen!« rief der Fürst lachend. »Wir haben keinen Grund, uns zu duellieren! Ich werde ihn um Verzeihung bitten, und damit ist die Sache erledigt. Wenn es aber zum Duell kommen soll, mir ist's recht! Mag er schießen; ich wünsche es sogar. Haha! Ich verstehe jetzt, eine Pistole zu laden! Wissen Sie wohl, daß mich jemand gelehrt hat, wie man eine Pistole lädt? Sie verstehen eine Pistole zu laden, Keller? Zuerst muß man Pulver kaufen, Pistolenpulver, nicht feuchtes und nicht so grobes wie das, womit man aus Kanonen schießt; dann muß man zuerst das Pulver hineintun, darauf Filz, den man sich von einer Tür verschafft, und dann schiebt man die Kugel hinein, aber nicht die Kugel vor dem Pulver, weil es sonst nicht schießt. Hören Sie wohl, Keller: weil es sonst nicht schießt. Haha! Ist das nicht eine ausgezeichnete Begrüßung, Freund Keller? Ach, Keller, wissen Sie, ich werde Sie gleich umarmen und küssen. Hahaha! Wie ging das nur zu, daß Sie vorhin auf dem Bahnhof so plötzlich vor ihm standen? Kommen Sie möglichst bald einmal zu mir, Champagner trinken! Wir wollen uns alle gehörig bezechen! Wissen Sie, daß ich zwölf Flaschen Champagner in Lebedjews Keller liegen habe? Lebedjew hat sie mir vorgestern als Gelegenheitskauf angeboten, gleich am andern Tag, nachdem ich zu ihm hergezogen war; ich habe sie alle gekauft! Ich werde die ganze Gesellschaft zusammen einladen! Wie ist's, werden Sie heute nacht schlafen?«

      »Wie jede Nacht, Fürst.«

      »Nun, dann wünsche ich Ihnen angenehme Träume! Haha!«

      Der Fürst ging quer über die Straße und verschwand im Park; Keller blieb sehr verwundert und nachdenklich stehen. Er hatte den Fürsten noch nie in einem so sonderbaren Zustand gesehen und ihn sich bisher auch nicht in einem solchen vorstellen können.

      »Vielleicht fiebert er; denn er ist ein nervöser Mensch, und das alles hat eine starke Wirkung auf ihn ausgeübt; aber feige ist er gewiß nicht. Gerade solche Leute sind nicht feige, weiß Gott!« dachte Keller bei sich. »Hm! Champagner! Das ist doch eine sehr interessante Mitteilung. Zwölf Flaschen, ein Dutzend; das läßt sich hören; eine ordentliche Batterie! Ich möchte wetten, daß Lebedjew den Champagner von irgend jemand als Pfand bekommen hat. Hm ...! er ist aber doch recht liebenswürdig, dieser Fürst; wirklich, ich habe solche Menschen gern; aber es ist keine Zeit zu verlieren, und ... wenn Champagner da ist, so ist das gerade die richtige Zeit ...«

      Daß der Fürst sich in einem fieberhaften Zustand befand, das war natürlich ganz richtig.

      Er schweifte lange im dunklen Park umher und wurde sich endlich seiner selbst bewußt, wie er in einer Allee auf und ab ging. In seinem Gedächtnis haftete die Erinnerung, daß er in dieser Allee, von einer Bank angefangen bis zu einem alten, hohen, auffallenden, nur hundert Schritte von ihr entfernten Baum, bereits etwa dreißig- bis vierzigmal hin und her gegangen war. Sich zu erinnern, was er in dieser Zeit von mindestens einer ganzen Stunde im Park gedacht hatte, war er außerstande, selbst wenn er es gewollt hätte. Er ertappte sich übrigens auf einem Gedanken, der ihn veranlaßte, plötzlich in ein herzliches Gelächter auszubrechen; es war zwar eigentlich kein Grund zum Lachen vorhanden; aber er hatte jetzt immer Lust zu lachen. Es war ihm eingefallen, daß die Idee von einem bevorstehenden Duell auch noch in einem andern Kopf als nur in dem Kellers hatte entstehen können, und daß daher die Geschichte vom Pistolenladen vielleicht nicht zufällig gewesen war ... »Ah!« dachte er und blieb, von einem andern Gedanken erleuchtet, stehen, »vorhin kam sie nach der Veranda herunter, als ich in der Ecke saß, und wunderte sich gewaltig, mich dort zu finden, und lachte so und fing an vom Teetrinken zu reden; und doch hatte sie in diesem Augenblick schon diesen Zettel in der Hand; folglich wußte sie unbedingt, daß ich in der Veranda saß. Warum tat sie denn also so erstaunt? Hahaha!«

      Er zog den Zettel aus der Tasche und küßte ihn, blieb dann aber sogleich stehen und versank in Gedanken.

      »Wie sonderbar das ist! Wie sonderbar das ist!« sagte er ein Weilchen darauf sogar mit einer Art von Traurigkeit: in Augenblicken einer starken Freudenempfindung wurde er stets traurig, er wußte selbst nicht woher. Er schaute aufmerksam um sich und wunderte sich, daß er hierher geraten war. Er war sehr müde, ging zu der Bank und setzte sich darauf. Ringsum herrschte tiefe Stille. Die Musik beim Bahnhof hatte schon aufgehört. Im Park war vielleicht keine Menschenseele mehr; es war ja auch schon mindestens halb zwölf. Es war eine stille, warme, helle Nacht, so eine echte Petersburger Nacht zu Anfang Juni; aber in dem dichten, schattigen Park und in der Allee, in der er sich befand, war es fast schon ganz dunkel. Wenn ihm jemand in diesem Augenblick gesagt hätte, daß er verliebt, leidenschaftlich verliebt sei, so würde er diesen Gedanken erstaunt und vielleicht sogar entrüstet zurückgewiesen haben. Und wenn jemand hinzugefügt hätte, daß Aglajas Zettelchen ein Liebesbrief sei, die Aufforderung zu einem Liebes-Rendezvous, so würde er sich für ihn in tiefster Seele geschämt und ihn vielleicht zum Duell gefordert haben. Diese seine ganze Anschauung war völlig aufrichtig und durch keinerlei Zweifel getrübt, und er lehnte jede Spur eines »doppelten« Gedankens an die Möglichkeit der Liebe eines solchen Mädchens zu ihm oder gar an die Möglichkeit seiner Liebe zu diesem Mädchen entschieden ab. Eines solchen Gedankens hätte er sich geschämt: die Annahme, daß sie ihn, »einen solchen Menschen, wie er«, lieben könne, hätte er für ungeheuerlich gehalten. Seiner Vorstellung nach handelte es sich von ihrer Seite einfach um Mutwillen, wenn überhaupt etwas dahintersteckte; aber er fand diese Voraussetzung ganz naturgemäß und regte sich über diesen vorausgesetzten Mutwillen nicht auf; etwas ganz anderes war es, was ihn beschäftigte und seine Gedanken in Anspruch nahm. Die Bemerkung, die kurz vorher dem General in seiner Erregung entschlüpft war, daß sie sich über alle und namentlich über ihn, den Fürsten, lustig mache, hielt er für vollkommen richtig. Er fühlte sich dadurch auch nicht im geringsten verletzt; seiner Meinung nach mußte es eben so sein. Die Hauptsache war ihm, daß er sie am nächsten Tag frühmorgens wiedersehen, neben ihr auf der grünen Bank sitzen, die Belehrung über das Laden von Pistolen anhören und sie ansehen werde. Weiter hatte er keinen Wunsch. Die Frage, was sie ihm eigentlich sagen wolle, und was das für eine wichtige, ihn direkt angehende Angelegenheit sei, tauchte ebenfalls ein- oder zweimal in seinem Kopf auf. An der tatsächlichen Existenz dieser »wichtigen Angelegenheit«, um derentwillen er zum Rendezvous bestellt war, zweifelte er keinen Augenblick; aber er dachte an diese wichtige Angelegenheit jetzt fast gar nicht, so wenig, daß er nicht einmal den geringsten Drang verspürte, daran zu denken.

      Das Knirschen leiser Schritte auf dem Sand der Allee veranlaßte ihn, den Kopf in die Höhe zu heben. Ein Mensch, dessen Gesicht in der Dunkelheit schwer zu erkennen war, näherte sich der Bank und setzte sich neben ihn. Der Fürst rückte schnell nahe an ihn heran und erkannte das bleiche Gesicht Rogoschins.

      »Das habe ich doch gewußt, daß du hier irgendwo umherschweifst; ich habe auch nicht lange zu suchen brauchen«, murmelte Rogoschin durch die Zähne.

      Es war das erste Mal seit ihrer Begegnung auf der Treppe des Gasthauses, daß sie miteinander zusammentrafen. Überrascht durch Rogoschins plötzliches Erscheinen konnte der Fürst eine Weile nicht mit seinen Gedanken in Ordnung kommen, und eine qualvolle Empfindung wurde in seinem Herzen wieder wach. Rogoschin hatte offenbar Verständnis für den Eindruck, den er hervorrief; aber obgleich er am Anfang verwirrt zu sein und mit einer Art von gekünstelter Ungezwungenheit zu reden