ist lauter irres Gerede! Das, was du da von mir sagst, kann nie geschehen! Ich werde morgen zu euch kommen ...«
»Wie soll sie denn geisteskrank sein?« bemerkte Rogoschin. »Allen andern scheint sie bei Verstand zu sein, und nur du hältst sie für gestört. Wie könnte sie denn Briefe dorthin schreiben? Wenn sie geisteskrank wäre, dann würde es doch auch dort an den Briefen gemerkt werden.«
»Was für Briefe?« fragte der Fürst erschrocken.
»Sie schreibt dorthin, an die andere, und die liest es. Weißt du das denn nicht? Na, dann wirst du es schon noch erfahren; sie wird dir die Briefe schon selbst zeigen.«
»Das ist unglaublich!« rief der Fürst.
»O weh! Du, Ljow Nikolajewitsch, hast, wie ich sehe, auf diesem Gebiet noch nicht viel Erfahrung, sondern bist noch ein Anfänger. Warte nur ein bißchen: du wirst schon deine eigene Polizei unterhalten und selbst Tag und Nacht auf dem Posten sein und jeden Schritt der Gegenseite in Erfahrung bringen, wenn du nur erst ...«
»Laß das und rede nie wieder davon!« rief der Fürst. »Höre, Parfen, ich bin hier soeben, bevor du kamst, umhergegangen und fing auf einmal an zu lachen; worüber, weiß ich nicht; aber der äußere Anlaß war, daß mir einfiel, daß morgen gerade mein Geburtstag ist. Jetzt ist es bald zwölf Uhr. Komm mit; wir wollen den Tag zusammen begrüßen! Ich habe Wein zu Hause; den wollen wir trinken, wünsche du mir das, was ich selbst mir jetzt nicht zu wünschen weiß; ich lege Wert darauf, daß gerade du es mir wünschst; und ich werde dir wünschen, daß du vollkommen glücklich werden mögest. Sonst mußt du mir das Kreuz zurückgeben! Du hast mir das Kreuz da mals doch nicht am nächsten Tag zurückgeschickt! Du trägst es doch noch? Trägst du es auch in diesem Augenblick?«
»Ja, ich trage es«, antwortete Rogoschin.
»Nun, dann wollen wir gehen! Ich will mein neues Leben nicht ohne dich antreten; denn es hat allerdings ein neues Leben für mich begonnen! Weißt du es nicht, Parfen, daß heute für mich ein neues Leben begonnen hat?«
»Jetzt sehe ich selbst und weiß selbst, daß das der Fall ist; ich werde es auch ihr berichten. Du bist ja ganz außer dir, Ljow Nikolajewitsch!«
IV
Mit großem Vergnügen bemerkte der Fürst, als er sich seinem Landhaus mit Rogoschin näherte, daß in seiner hellerleuchteten Veranda eine zahlreiche, lärmende Gesellschaft versammelt war. Es wurde lustig gelacht und geredet; anscheinend wurde sogar unter Geschrei debattiert; man erkannte beim ersten Blick, daß diese Leute die Zeit höchst heiter zubrachten. Und wirklich sah er, als er zur Veranda hinaufgestiegen war, daß alle tranken, Champagner tranken, und dies, wie es schien, schon ziemlich lange getan hatten, so daß viele der Zechenden sich bereits in einem sehr angenehmen, angeregten Zustand befanden. Die Gäste waren lauter Bekannte des Fürsten; aber es war merkwürdig, daß sie sich alle auf einmal wie auf eine Einladung zusammengefunden hatten, obgleich der Fürst in Wirklichkeit niemanden eingeladen und sich an seinen Geburtstag selbst soeben nur zufällig erinnert hatte.
»Du hast gewiß jemandem mitgeteilt, daß du Champagner spendierst, und da sind sie zusammengelaufen«, murmelte Rogoschin, als er hinter dem Fürsten her die Veranda betrat. »Das kenne ich; solchen Leuten braucht man nur zu pfeifen ...«, fügte er ingrimmig hinzu, offensichtlich in Erinnerung an seine eigene, noch nicht weit zurückliegende Vergangenheit.
Alle begrüßten den Fürsten mit Freudenrufen und Glückwünschen und umringten ihn. Manche machten dabei viel Lärm, andere benahmen sich ruhiger; aber alle beeilten sich, ihm zu gratulieren, da sie von seinem Geburtstag gehört hatten, und jeder wartete auf den Augenblick, wo er an die Reihe kommen würde. Die Anwesenheit mancher Persönlichkeiten, so zum Beispiel Burdowskis, war dem Fürsten interessant; aber am erstaunlichsten war es ihm, daß sich auch Jewgeni Pawlowitsch in dieser Gesellschaft befand; der Fürst traute kaum seinen Augen und bekam beinah einen Schreck, als er ihn erblickte. Unterdessen kam auch Lebedjew, mit gerötetem Gesicht und sehr enthusiasmiert, herbeigelaufen und erklärte den Hergang; er war schon in hohem Grade »fertig«. Aus seinem Geschwätz war zu entnehmen, daß alle sich in ganz natürlicher Weise, ja zufällig zusammengefunden hatten. Am frühesten von allen, noch vor dem Abend, war Ippolit gekommen und hatte, da er sich weit besser fühlte, den Fürsten in der Veranda zu erwarten gewünscht. Er hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht; dann war Lebedjew zu ihm hinzugekommen, hierauf dessen ganze Familie, das heißt General Iwolgin und die Töchter. Burdowski war mit Ippolit zugleich angekommen, den er herbegleitet hatte. Ganja und Ptizyn waren erst vor kurzem, als sie gerade vorübergingen, eingetreten (ihr Erscheinen fiel mit den Vorgängen am Bahnhof zusammen); darauf war Keller erschienen, hatte von dem Geburtstag Mitteilung gemacht und Champagner verlangt. Jewgeni Pawlowitsch hatte sich erst vor einer halben Stunde eingefunden. Auf das Champagnertrinken und die Veranstaltung eines Festes hatte auch Kolja mit aller Energie gedrungen. Lebedjew hatte bereitwillig Wein auf den Tisch gebracht.
»Aber von meinem eigenen, von meinem eigenen!« beteuerte er dem Fürsten lallend. »Auf meine eigenen Kosten, um Ihren Geburtstag festlich zu begehen und Ihnen zu gratulieren; es wird auch etwas zu essen geben, einen Imbiß; meine Tochter ist schon dabei, das zu besorgen. Aber wenn Sie wüßten, Fürst, über welches Thema wir gerade debattieren! Erinnern Sie sich an die Stelle im Hamlet: ›Sein oder nicht sein‹? Das ist ein zeitgemäßes Thema, ein sehr zeitgemäßes Thema! Wir werfen Fragen auf und beantworten sie ... Auch Herr Terentjew ist im höchsten Grade ... er ist gar nicht müde! Von dem Champagner hat er nur genippt, nur genippt; das kann ihm nicht schaden ... Treten Sie näher, Fürst, und geben Sie bei unserer Debatte die Entscheidung! Alle haben wir nur auf Sie gewartet und auf Ihren glücklichen Verstand ...«
Der Blick des Fürsten begegnete dem lieben, freundlichen Blick Wjera Lebedjewas, die sich ebenfalls eilig bemühte, durch den Schwarm zu ihm hindurchzudringen. Mit Übergehung aller andern streckte er ihr zuerst die Hand hin; sie errötete vor Freude und wünschte ihm, daß er von diesem Tag an immer glücklich leben möge. Dann lief sie schleunigst in die Küche, wo sie den Imbiß herrichtete; aber auch vor der Ankunft des Fürsten war sie mehrmals, sowie sie sich nur für ein Weilchen von ihrer Arbeit hatte losmachen können, in der Veranda erschienen und hatte bei den keinen Augenblick verstummenden hitzigen Debatten der angetrunkenen Gäste über ganz abstrakte und ihr ganz fernliegende Gegenstände eifrig zugehört. Ihre jüngere Schwester, die immer den Mund offenhielt, war in dem anstoßenden Zimmer auf einem Schlafkasten eingeschlafen; der Knabe aber, Lebedjews Sohn, stand neben Kolja und Ippolit, und schon sein begeisterter Gesichtsausdruck zeigte, daß er bereit war, hier noch lange in genußreichem Zuhören auf einem Fleck stehenzubleiben, selbst zehn Stunden hintereinander.
»Ich habe speziell auf Sie gewartet und freue mich außerordentlich, daß Sie in so glücklicher Stimmung gekommen sind«, sagte Ippolit, als der Fürst unmittelbar nach Begrüßung Wjeras zu ihm trat, um ihm die Hand zu drücken.
»Aber woher wissen Sie, daß ich mich in glücklicher Stimmung befinde?«
»Das sieht man Ihnen am Gesicht an. Begrüßen Sie die Herren, und setzen Sie sich sobald wie möglich hierher zu mir! Ich habe speziell auf Sie gewartet«, fügte er hinzu, indem er einen bedeutsamen Nachdruck darauf legte, daß er gewartet habe. Auf die Bemerkung des Fürsten, ob ihm das lange Aufbleiben auch nicht schädlich sein werde, erwiderte er, er wundere sich selbst darüber, daß er vor drei Tagen habe sterben wollen; er habe sich nie wohler gefühlt als an diesem Abend.
Burdowski sprang auf und murmelte, er sei nur so zufällig ... er habe Ippolit herbegleitet und freue sich ebenfalls; in dem Brief habe er allerlei Unsinn geschrieben, aber jetzt freue er sich einfach ... Er sprach nicht zu Ende, drückte dem Fürsten kräftig die Hand und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
Nach Begrüßung aller andern trat der Fürst auch zu Jewgeni Pawlowitsch. Dieser faßte ihn sogleich unter den Arm.
»Ich möchte Ihnen nur ein paar Worte sagen«, flüsterte er ihm zu, »und zwar in einer überaus wichtigen Angelegenheit. Lassen Sie uns einen Augenblick beiseite treten.«
»Nur ein paar Worte!« flüsterte eine andere Stimme dem