Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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nachdem er sich von dem Fürsten verabschiedet hatte, und streckte Ippolit seine Hand hin; »Sie reden ja wohl in Ihrem Heft von Ihrem Skelett und vermachen es der Akademie? Meinen Sie damit Ihr eigenes Skelett? Vermachen Sie also der Akademie Ihre eigenen Knochen?«

      »Ja, meine Knochen ...«

      »Soso. Sonst wäre nämlich ein Mißverständnis möglich. Man sagt, ein solcher Fall sei bereits vorgekommen.«

      »Warum hänseln Sie ihn?« rief der Fürst.

      »Die Tränen kommen ihm schon«, fügte Ferdyschtschenko hinzu.

      Aber Ippolit weinte ganz und gar nicht. Er wollte sich von seinem Platz rühren; aber die vier Personen, die ihn umringten, griffen gleichzeitig nach seinen Armen. Man hörte Lachen.

      »Das hat er ja gerade gewollt, daß man ihn bei den Armen halten sollte; dazu hat er ja sein Heft vorgelesen«, bemerkte Rogoschin. »Lebe wohl, Fürst! Ach, ich habe zu lange gesessen; die Knochen tun mir weh.«

      »Wenn Sie sich wirklich haben erschießen wollen, Terentjew«, sagte Jewgeni Pawlowitsch lachend, »so würde ich an Ihrer Stelle nach all den Komplimenten, die man Ihnen gemacht hat, mich nun gerade nicht erschießen, um die Leute zu foppen.«

      »Diese Menschen möchten alle furchtbar gern sehen, wie ich mich erschieße!« warf ihm Ippolit entgegen.

      Er sprach, als wollte er auf alle losfahren.

      »Und sie ärgern sich darüber, daß sie es nicht zu sehen bekommen.«

      »Also glauben auch Sie nicht, daß ich es tun werde?«

      »Ich will Sie nicht anstacheln; ich halte es im Gegenteil für gut möglich, daß Sie sich erschießen werden. Vor allen Dingen werden Sie nicht böse ...!« sagte Jewgeni Pawlowitsch langsam, indem er die Worte in gönnerhafter Weise dehnte.

      »Ich sehe erst jetzt, was für einen ungeheuren Fehler ich damit begangen habe, daß ich Ihnen dieses Heft vorgelesen habe!« erwiderte Ippolit und blickte Jewgeni Pawlowitsch auf einmal mit so vertrauensvoller Miene an, als ob er einen Freund um einen freundschaftlichen Rat bäte.

      »Es ist eine komische Situation für Sie; aber ... ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen raten soll«, antwortete Jewgeni Pawlowitsch lächelnd.

      Ippolit sah ihn mit unverwandten Augen ernst und starr an und schwieg. Man konnte denken, daß er für eine Weile völlig geistesabwesend war.

      »Nein, erlauben Sie, was ist denn das für eine Art!« ereiferte sich Lebedjew. »›Ich will mich im Park erschießen‹ sagt er, ›um niemanden zu stören!‹ Er denkt wohl, daß er niemand stört, wenn er die Stufen hinuntersteigt und drei Schritte weit in den Garten geht.«

      »Meine Herren ...«, begann der Fürst.

      »Nein, erlauben Sie, hochverehrter Fürst«, unterbrach ihn Lebedjew wütend, »da Sie selbst sehen, daß das kein Scherz ist, und da mindestens die Hälfte Ihrer Gäste der gleichen Meinung und der bestimmten Überzeugung ist, daß er jetzt, nach allem hier Gesprochenen, um der Ehre willen sich unter allen Umständen erschießen muß, so erkläre ich als der Hausherr in Gegenwart dieser Zeugen, daß ich Sie auffordere, mir behilflich zu sein!«

      »Was sollen wir denn tun, Lebedjew? Ich bin gern bereit, Ihnen zu helfen.«

      »Was geschehen muß, ist dies: erstens soll er sofort die Pistole ausliefern, mit der er uns etwas vorgeprahlt hat, sowie das sämtliche Zubehör. Wenn er das tut, so will ich in Anbetracht seines krankhaften Zustandes damit einverstanden sein, daß er diese Nacht im Haus bleibt, natürlich unter der Bedingung, daß er von mir beaufsichtigt wird. Morgen aber muß er unter allen Umständen fort; da mag er gehen, wohin es ihm beliebt; nehmen Sie es nicht übel, Fürst! Wenn er aber seine Waffe nicht ausliefert, so werde ich ihn unverzüglich an den Armen packen, ich am einen, der General am andern, und ich werde sofort zur Polizei schicken und sie benachrichtigen; die wird dann schon das Weitere veranlassen. Herr Ferdyschtschenko wird, als ein guter Bekannter von mir, so freundlich sein hinzugehen.«

      Ein großer Lärm erhob sich. Lebedjew war in eine Hitze geraten, die bereits über alles Maß ging; Ferdyschtschenko machte sich fertig, um zur Polizei zu gehen; Ganja verblieb ärgerlich bei seiner Behauptung, es werde sich niemand erschießen. Jewgeni Pawlowitsch schwieg.

      »Fürst, sind Sie einmal von einem Kirchturm hinabgestürzt?« flüsterte Ippolit ihm plötzlich zu.

      »N-nein ...«, antwortete der Fürst naiv.

      »Haben Sie etwa geglaubt, ich hätte diesen ganzen Haß nicht vorhergesehen?« flüsterte Ippolit wieder und sah den Fürsten mit funkelnden Augen an, als erwarte er tatsächlich von ihm eine Antwort. »Nun genug!« rief er, indem er sich an alle Anwesenden wandte. »Ich bin daran schuld ... in höherem Grade als Sie alle! Lebedjew, da ist der Schlüssel« (er zog sein Portemonnaie heraus und entnahm ihm einen Stahlring mit drei oder vier kleinen Schlüsseln); »dieser ist es, der vorletzte ... Kolja wird es Ihnen zeigen ... Kolja! Wo ist Kolja?« rief er; er starrte Kolja an, ohne ihn zu sehen. »Ja ... er wird es Ihnen zeigen; er hat vorhin mit mir zusammen meinen Koffer gepackt. Führen Sie ihn hin, Kolja; mein Koffer steht ... im Zimmer des Fürsten unter dem Tisch ... mit diesem Schlüssel ... Unten im Koffer ... liegt meine Pistole und das Pulverhorn. Er selbst hat diese Sachen vorhin eingepackt, Herr Lebedjew; er wird sie Ihnen zeigen; aber unter der Bedingung, daß Sie mir morgen früh, wenn ich nach Petersburg fahre, die Pistole zurückgeben. Hören Sie wohl? Ich tue das mit Rücksicht auf den Fürsten, nicht um Ihretwillen.«

      »So ist es recht!« rief Lebedjew, griff nach dem Schlüssel und lief, spöttisch lächelnd, nach dem anstoßenden Zimmer.

      Kolja blieb stehen; er schien etwas sagen zu wollen, aber Lebedjew zog ihn hinter sich her.

      Ippolit blickte die lachenden Gäste an. Der Fürst bemerkte, daß seine Zähne wie im stärksten Fieberschauer aufeinanderklapperten.

      »Was sind das hier alles für nichtswürdige Menschen!« flüsterte Ippolit, ganz außer sich, dem Fürsten wieder zu. Wenn er mit dem Fürsten sprach, bog er sich immer zu ihm hin und flüsterte.

      »Lassen Sie sie doch; Sie sind sehr schwach ...«

      »Gleich, gleich ... gleich werde ich fortgehen.«

      Plötzlich umarmte er den Fürsten.

      »Sie finden vielleicht, daß ich verrückt bin?« fragte er, indem er ihn, seltsam auflachend, ansah.

      »Nein, aber Sie ...«

      »Gleich, gleich, seien Sie still; reden Sie nicht; bleiben Sie stehen ... ich will Ihnen in die Augen sehen ... Bleiben Sie so stehen; ich will Sie ansehen. Ich will von einem Menschen Abschied nehmen.«

      Er stand und blickte, ohne sich zu rühren, den Fürsten schweigend etwa zehn Sekunden lang an. Er war sehr blaß, seine Schläfen waren feucht von Schweiß. Er hielt den Fürsten in sonderbarer Weise an der Schulter gefaßt, als fürchtete er sich, ihn loszulassen.

      »Ippolit, Ippolit, was ist Ihnen?« rief der Fürst.

      »Sogleich ... es ist genug ... ich werde mich hinlegen. Ich will einen Schluck auf die Gesundheit der Sonne trinken ... Ich will es, ich will es, lassen Sie mich!«

      Er ergriff schnell ein Glas vom Tisch, stürzte davon und stand im nächsten Augenblick am Ausgang der Veranda. Der Fürst wollte ihm nachlaufen; aber es traf sich, daß gerade in diesem Moment Jewgeni Pawlowitsch ihm die Hand hinstreckte, um ihm Lebewohl zu sagen. Es verging eine Sekunde, und plötzlich erscholl ein allgemeiner Aufschrei in der Veranda. Dann folgte ein Augenblick ärgster Verwirrung.

      Was sich ereignet hatte, war folgendes:

      Als Ippolit ganz nahe an den Ausgang der Veranda gelangt war, blieb er stehen; in der linken Hand hielt er das Glas, die rechte hatte er in die rechte Seitentasche seines Paletots gesteckt. Keller versicherte nachher, Ippolit habe schon vorher diese Hand immer in der rechten Tasche gehabt, schon als er mit dem Fürsten gesprochen und ihn mit der linken Hand