wurde blaß; auf einmal stand sie wie geistesabwesend von der Bank auf, setzte sich aber, zur Besinnung kommend, sogleich wieder hin; ihre Lippe zuckte noch lange weiter. Das Schweigen dauerte etwa eine Minute lang.
Der Fürst war über diese plötzliche Heftigkeit sehr überrascht und wußte nicht, worauf er sie zurückführen sollte.
»Ich liebe Sie durchaus nicht«, sagte sie plötzlich kurz und scharf.
Der Fürst antwortete nicht; sie schwiegen wieder ungefähr eine Minute lang.
»Ich liebe Gawrila Ardalionowitsch ...«, sagte sie hastig, aber kaum hörbar und ließ den Kopf noch tiefer sinken.
»Das ist nicht wahr«, erwiderte der Fürst, ebenfalls beinah flüsternd.
»Dann lüge ich also? Es ist doch wahr, ich habe ihm mein Wort gegeben, vorgestern, auf dieser selben Bank.«
Der Fürst erschrak und dachte einen Augenblick nach.
»Das ist nicht wahr«, sagte er noch einmal in entschiedenem Ton. »Sie haben sich das alles nur ausgedacht.«
»Sehr höflich von Ihnen! Wissen Sie, er hat sich gebessert; er liebt mich mehr als sein Leben. Er hat vor meinen Augen seine Hand verbrannt, nur um mir zu beweisen, daß er mich mehr liebt als sein Leben.«
»Er hat seine Hand verbrannt?«
»Jawohl, seine Hand. Sie mögen es glauben oder nicht, das ist mir ganz gleich.«
Der Fürst schwieg wieder. Aglajas Worte klangen nicht scherzhaft; sie war ärgerlich.
»Wie? Hat er denn eine Kerze hierher mitgebracht, wenn das hier vorgegangen ist? Anders kann ich mir die Sache nicht vorstellen ...«
»Jawohl ... eine Kerze. Was ist daran unwahrscheinlich?«
»Eine bloße ganze Kerze oder eine auf einem Leuchter?«
»Nun ja ... nein ... eine halbe Kerze ... ein Stümpfchen ... eine ganze Kerze ..., das ist ja ganz egal; lassen Sie doch das Gerede ...! Meinetwegen kann er auch Zündhölzer mitgebracht haben! Er zündete die Kerze an und hielt eine ganze halbe Stunde lang den Finger in die Flamme; ist das etwa nicht möglich?«
»Ich habe ihn gestern gesehen; seine Finger sind ganz heil.«
Aglaja brach nun auf einmal ganz wie ein Kind in ein prustendes Gelächter aus.
»Wissen Sie, warum ich eben gelogen habe?« wandte sie sich dann mit der kindlichen Zutraulichkeit an den Fürsten; ihre Lippen zitterten immer noch vor Lachen. »Deswegen: wenn man lügt und dabei in geschickter Weise etwas Ungewöhnliches, Außerordentliches einflicht, wissen Sie, etwas, was sehr selten ist oder überhaupt nicht vorkommt, dann erscheint die Lüge weit glaubhafter. Das habe ich früher beobachtet. Es ist mir nur deshalb mißglückt, weil ich es nicht richtig verstanden habe ...« Auf einmal machte sie wieder ein finsteres Gesicht, wie wenn ihr etwas einfiele.
»Wenn ich damals«, sagte sie, indem sie sich zu dem Fürsten hinwandte und ihn mit ernster, ja trauriger Miene ansah, »wenn ich Ihnen damals das Gedicht vom ›armen Ritter‹ deklamiert habe, so wollte ich Sie damit zwar für einiges loben, zugleich aber wollte ich auch Ihr Benehmen in gewisser Hinsicht als Torheit hinstellen und Ihnen beweisen, daß ich alles wußte ...«
»Sie sind sehr ungerecht gegen mich und gegen jene unglückliche Frau, von der Sie soeben einen so schrecklichen Ausdruck gebrauchten, Aglaja.«
»Ich habe den Ausdruck deswegen gebraucht, weil ich alles weiß! Ich weiß, daß Sie vor einem halben Jahr vor aller Ohren ihr Ihre Hand antrugen. Unterbrechen Sie mich nicht; Sie sehen, ich führe nur Tatsachen an, ohne eine Kritik daran zu knüpfen. Darauf ist sie mit Rogoschin davongelaufen; dann haben Sie mit ihr in irgendeinem Dorf oder in irgendeiner Stadt zusammen gelebt, und sie ist von Ihnen weggegangen und hat sich zu irgendeinem andern begeben.« (Aglaja errötete stark.) »Dann ist sie wieder zu Rogoschin zurückgekehrt, der sie wie ... wie ein Wahnsinniger liebte. Darauf sind Sie, der Sie ebenfalls ein sehr verständiger Mensch sind, ihr jetzt schleunigst hierher nachgereist, sowie Sie erfahren hatten, daß sie nach Petersburg zurückgekehrt war. Gestern abend haben Sie sich zu ihrem Verteidiger aufgeworfen, und jetzt eben haben Sie von ihr geträumt ... Sie sehen, daß ich alles weiß; Sie sind ja doch um ihretwillen hierher gereist, nicht wahr, um ihretwillen?«
»Ja, um ihretwillen«, antwortete der Fürst leise; er ließ traurig und nachdenklich den Kopf sinken und ahnte nicht, mit was für einem funkelnden Blick Aglaja ihn betrachtete. »Um ihretwillen, nur um zu erfahren ... Ich glaube nicht an ihr Glück mit Rogoschin, obgleich ... kurz, ich weiß nicht, was ich hier für sie tun, wie ich ihr helfen könnte; aber ich bin trotzdem hergekommen.«
Er zuckte zusammen und sah Aglaja an; diese hörte ihm voll Haß zu.
»Wenn Sie hergereist sind, ohne zu wissen, wozu, so lieben Sie sie sehr«, sagte sie schließlich.
»Nein«, versetzte der Fürst, »nein, ich liebe sie nicht. Oh, wenn Sie wüßten, mit welchem Entsetzen ich an jene Zeit zurückdenke, die ich mit ihr verlebte!«
Ein Schauder überlief bei diesen Worten seinen Körper.
»Erzählen Sie mir alles!« sagte Aglaja.
»Es ist nichts darunter, was Sie nicht anhören könnten. Warum ich den Wunsch hegte, gerade Ihnen all dies zu erzählen und einzig und allein Ihnen, das weiß ich nicht; vielleicht weil ich Sie tatsächlich sehr liebte. Diese unglückliche Frau ist fest überzeugt, daß sie das am tiefsten gesunkene, lasterhafteste Wesen der ganzen Welt ist. Oh, reden Sie nicht Übles von ihr, werfen Sie keinen Stein auf sie! Sie hat sich schon selbst mit dem Bewußtsein ihrer unverdienten Schande nur zu sehr gequält! Und was trifft sie denn für eine Schuld, o mein Gott? Oh, alle Augenblicke ruft sie ingrimmig aus, sie bekenne sich nicht schuldig; sie sei das Opfer andrer Leute, das Opfer eines Wüstlings und Bösewichts; aber obgleich sie so redet, ist sie doch die erste, es nicht zu glauben, und ist vielmehr in tiefster Seele davon überzeugt, daß sie selbst daran schuld ist. Sobald ich versuchte, diese ihre düstere Auffassung zu bekämpfen, stieg ihre Seelenpein dermaßen, daß mein Herz, solange ich an diese schreckliche Zeit zurückdenken werde, nie wieder recht fröhlich sein wird. Es ist mir, als hätte ich einen Stich ins Herz bekommen, der nicht aufhört zu bluten. Sie lief von mir weg; wissen Sie, warum? In Wirklichkeit nur, um mir zu beweisen, daß sie ein gemeines Weib sei. Aber das Schrecklichste dabei ist dies: sie wußte vielleicht selbst nicht, daß sie nichts weiter wollte als mir das beweisen, sondern lief weg, weil sie sich innerlich getrieben fühlte, eine schändliche Handlung zu begehen, um sich dann selbst sagen zu können: ›Siehst du, du hast eine neue Schandtat begangen; also bist du ein gemeines Geschöpf!‹ Oh, vielleicht verstehen Sie das nicht, Aglaja! Wissen Sie wohl, daß in diesem steten Bewußtsein der Schande für sie vielleicht ein schrecklicher, unnatürlicher Genuß liegt, eine Art von Rache, die sie an jemand nimmt? Mitunter brachte ich sie dahin, daß sie wieder Licht um sich zu sehen glaubte; aber sofort regte sie sich dann wieder von neuem auf, und das ging so weit, daß sie mich voll Bitterkeit beschuldigte, ich dächte hoch über ihr zu stehen (obgleich mir das nie in den Sinn gekommen war), und mir schließlich, als ich ihr die Ehe anbot, geradezu erklärte, sie verlange von niemand ein hochmütiges Mitleid oder irgendwelche Hilfe oder ein ›zu sich Hinaufheben‹. Sie haben sie gestern gesehen; glauben Sie wirklich, daß sie sich in dieser Gesellschaft glücklich fühlt, daß sie in diesen Kreis hineinpaßt? Sie wissen nicht, wie hochgebildet sie ist, und was sie alles begreifen kann! Sie hat mich manchmal geradezu in Erstaunen versetzt!«
»Haben Sie ihr dort auch solche ... Predigten gehalten?«
»O nein«, fuhr der Fürst nachdenklich fort, ohne den Ton der Frage zu beachten; »ich habe fast immer geschwiegen. Ich wollte oft reden; aber ich wußte manchmal wirklich nicht, was ich sagen sollte. Wissen Sie, in manchen Fällen ist es das beste, wenn man gar nichts sagt. Oh, ich liebte sie; ich liebte sie sehr ... aber dann ... dann ... dann hat sie alles erraten.«
»Was hat sie erraten?«
»Daß ich nur Mitleid mit ihr habe, und daß ich ... sie nicht