Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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können; ich habe sie nur so ›für alle Fälle‹ betrieben und dabei meine Spekulation auf den komischen Charakter des Mädchens gegründet; vor allen Dingen aber wollte ich dir eine Freude machen; es war eine Wahrscheinlichkeit von neunzig Prozent, daß es mißlingen werde. Ich für meine Person weiß sogar jetzt nicht einmal, was du eigentlich erstrebt hast.«

      »Jetzt werdet ihr, du und dein Mann, mich dazu drängen, wieder in den Dienst zu treten, und werdet mir Predigten über Beharrlichkeit und Willenskraft halten, und daß man das Kleine nicht geringschätzen dürfe, und so weiter. Ich weiß es schon auswendig!« sagte Ganja lachend.

      »Er hat irgend etwas Neues im Sinne!« dachte Warja.

      »Nun, wie steht es jetzt dort? Die Eltern freuen sich wohl?« fragte Ganja plötzlich.

      »Es scheint nicht. Übrigens kannst du dir das ja selbst zurechtlegen. Iwan Fjodorowitsch ist zufrieden; die Mutter ist ängstlich; sie hat bekanntlich von jeher einen Widerwillen gegen die Vorstellung gehabt, daß er der Bräutigam ihrer Tochter werden könnte.«

      »Danach frage ich nicht; er ist ein unmöglicher, undenkbarer Bräutigam, das ist klar. Ich frage nach der jetzigen Situation, wie es jetzt dort steht. Hat sie ihr formelles Jawort gegeben?«

      »Sie hat bis jetzt nicht ›nein‹ gesagt; das ist alles; aber etwas anderes war ja von ihr auch nicht zu erwarten. Du weißt, daß sie von jeher bis zur Verdrehtheit blöde und schüchtern war: als Kind stieg sie in einen Schrank und saß da zwei, drei Stunden lang, um nur nicht zu den Gästen hereingehen zu müssen; nun ist sie eine große Göre geworden, aber es ist mit ihr immer noch dieselbe Geschichte. Weißt du, ich denke, daß es sich da wirklich auch von ihrer Seite um ein ernsthaftes Gefühl handelt. Allerdings macht sie sich, wie mir gesagt wird, über den Fürsten vom Morgen bis zum Abend aus Leibeskräften lustig, um sich nichts merken zu lassen; aber gewiß weiß sie ihm täglich im stillen etwas Angenehmes zu sagen; denn er geht umher wie im Himmel und strahlt ordentlich ... Er soll furchtbar komisch aussehen. Das habe ich von den beiden älteren Schwestern gehört. Es schien mir auch, als ob sich diese mir ins Gesicht über mich lustig machten.«

      Ganja machte endlich ein finsteres Gesicht; vielleicht vertiefte sich Warja absichtlich in dieses Thema, um in seine wahren Gedanken einzudringen. Aber jetzt erscholl oben wieder Geschrei.

      »Ich werde ihn aus dem Haus jagen!« brüllte Ganja, wie wenn er sich freute, seinem Ärger Luft machen zu können.

      »Dann wird er wieder hingehen und uns überall blamieren, wie gestern.«

      »Was meinst du mit ›wie gestern‹? Was soll das heißen: ›wie gestern‹? Ist er etwa ...«, fragte Ganja, der plötzlich einen gewaltigen Schreck bekam.

      »Ach, mein Gott, weißt du es denn nicht?« fragte Warja erschrocken.

      »Wie? Also ist es wirklich wahr, daß er dort gewesen ist?« rief Ganja, der vor Scham und Wut ganz rot wurde. »O Gott, du kommst ja von dort! Hast du etwas erfahren? Ist der Alte dagewesen? War er da oder nicht?«

      Ganja stürzte nach der Tür; Warja lief zu ihm hin und ergriff ihn mit beiden Händen.

      »Was hast du? Wo willst du hin?« sagte sie. »Wenn du ihn jetzt hinausläßt, wird er bei allen Menschen herumgehen und noch schlimmere Dinge anrichten!«

      »Was hat er denn dort angerichtet? Was hat er gesagt?«

      »Sie haben es selbst nicht recht begriffen und konnten es mir nicht ordentlich wiedererzählen; nur hat er alle in Angst versetzt. Er wollte zu Iwan Fjodorowitsch; aber der war nicht zu Hause; dann verlangte er, Lisaweta Prokofjewna zu sprechen. Zuerst bat er sie um eine Stelle; er wolle wieder in den Dienst treten; und dann fing er an, sich über uns zu beklagen, über mich, über meinen Mann, namentlich aber über dich ... er hat alles mögliche zusammengeredet.«

      »Du hast es nicht erfahren können?« fragte Ganja, krampfhaft zitternd.

      »Wie wäre das möglich! Er hat selbst kaum verstanden, was er redete; und vielleicht haben sie mir auch nicht alles wiedergesagt.«

      Ganja griff sich an den Kopf und lief zum Fenster; Warja setzte sich an das andere Fenster.

      »Wie komisch Aglaja ist«, bemerkte sie plötzlich. »Als ich weggehen wollte, hielt sie mich noch zurück und sagte zu mir: ›Bestellen Sie Ihren Eltern den Ausdruck meiner besonderen persönlichen Hochachtung; ich werde in diesen Tagen gewiß Gelegenheit finden, mit Ihrem Papa zu sprechen.‹ Und das sagte sie ganz ernst. Es war sehr merkwürdig ...«

      »Nicht spöttisch? Nicht spöttisch?«

      »Das ist es eben, daß sie es nicht spöttisch sagte; darum war es so merkwürdig.«

      »Weiß sie, was der Alte gemacht hat, oder nicht? Was meinst du?«

      »Daß es bei ihnen nicht die ganze Familie weiß, ist mir nicht zweifelhaft; aber du bringst mich da auf einen Gedanken: vielleicht weiß es Aglaja. Und sie wird die einzige sein, die es weiß; denn auch die Schwestern waren verwundert, als sie mir mit solchem Ernst eine Empfehlung an den Vater auftrug. Und warum gerade an ihn? Wenn sie es weiß, dann muß es ihr der Fürst gesagt haben!«

      »Es wird kein Kunststück sein, herauszubringen, wer es ihr gesagt hat! Ein Dieb! Das fehlte nur noch! Ein Dieb in unserer Familie, das ›Oberhaupt der Familie‹!«

      »Ach, dummes Zeug!« rief Warja ganz ärgerlich. »Gerede Betrunkener, weiter nichts! Und wer hat es aufgebracht? Lebedjew und der Fürst ... selbst eine nette Sorte; Menschen ohne Vernunft. Ich mache mir auch nicht so viel daraus.«

      »Der Alte ein Dieb und Trunkenbold«, fuhr Ganja bitter fort, »ich ein Bettler, der Mann meiner Schwester ein Wucherer – das konnte Aglaja locken! Das muß man sagen: eine angenehme Sippschaft!«

      »Und doch ist es dieser Mann deiner Schwester, der Wucherer, der dich ...«

      »Füttert, nicht wahr? Bitte, geniere dich nicht!«

      »Warum bist du denn so ärgerlich?« erwiderte Warja.

      »Du verstehst auch gar nichts; du bist wie ein Schuljunge. Du meinst, all das hätte dir in Aglajas Augen schaden können? Da kennst du ihren Charakter schlecht; die wäre imstande, sich von dem besten Bewerber abzuwenden und zu irgendeinem Studenten mit Vergnügen auf die Dachkammer zu laufen, um da Hungers zu sterben; das ist ihr Ideal, von dem sie phantasiert! Du hast nie begreifen können, wie interessant du in ihren Augen geworden wärst, wenn du es verstanden hättest, unsere kümmerliche Lage mit Festigkeit und Stolz zu ertragen. Bei dem Fürsten hat sie angebissen, erstens weil er es nicht darauf angelegt hatte, sie zu fangen, und zweitens, weil er in den Augen aller ein Idiot ist. Schon allein, daß sie um seinetwillen ihre Familie in Aufregung versetzt, schon das ist ihr jetzt eine Freude. Ach, ihr versteht aber auch gar nichts!«

      »Nun, das wollen wir noch sehen, ob wir etwas verstehen oder nicht«, murmelte Ganja rätselhaft. »Aber ich möchte doch nicht, daß sie das von dem Alten erfährt. Ich hatte gemeint, der Fürst werde sich beherrschen und es nicht weitererzählen. Er hat Lebedjew veranlaßt, davon zu schweigen, und wollte auch mir nicht alles sagen, als ich in ihn drang ...«

      »Also siehst du selbst, daß auch auf anderm Weg alles schon bekannt geworden ist. Was willst du jetzt noch weiter? Worauf hoffst du noch? Wenn ihr überhaupt noch eine Hoffnung bliebe, so würde gerade dieser Vorfall dir nützen, indem er dir in ihren Augen das Ansehen eines Märtyrers verleihen würde.«

      »Na, vor einem Skandal würde doch auch sie zurückschrecken, trotz all ihrer Romantik. Es hat alles seine Grenze, und alle Menschen gehen nur bis zu einer bestimmten Grenze; so seid ihr alle.«

      »Aglaja würde zurückschrecken?« versetzte Warja heftig und blickte ihren Bruder geringschätzig an. »Da hast du doch eine niedrige Denkungsart! Ihr seid allesamt nichts wert. Mag sie auch eine komische, wunderliche Person sein; aber dafür hat sie eine tausendmal anständigere Gesinnung als ihr alle!«

      »Na, schon gut, schon gut, ärgere dich nur nicht!« murmelte Ganja wieder selbstzufrieden.