Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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nie gesagt!«

      »Einverstanden; aber all das ist bekannt und braucht daher nicht gesagt zu werden, und ... es gehört zur Theologie ...«

      »O nein, o nein! Nicht nur zur Theologie, ich versichere es Ihnen, nein! Das geht uns weit mehr an, als Sie meinen. Gerade darin besteht unser ganzer Irrtum, daß wir noch nicht einsehen können, daß das nicht ausschließlich eine theologische Angelegenheit ist! Auch der Sozialismus ist ja ein Produkt des Katholizismus und des katholischen Wesens! Auch er ist, ebenso wie sein Bruder, der Atheismus, aus der Verzweiflung hervorgegangen, als Gegensatz zum Katholizismus im moralischen Sinn, um einen Ersatz für die verlorengegangene moralische Macht der Religion zu bilden, um den geistigen Durst der lechzenden Menschheit zu stillen und sie zu retten, nicht durch Christus, sondern ebenfalls durch Gewalttätigkeit! Das ist ebenfalls eine Freiheit durch Gewalttätigkeit; das ist ebenfalls eine Vereinigung durch Schwert und Blut! ›Erdreiste dich nicht, an Gott zu glauben; erdreiste dich nicht, Eigentum zu besitzen; erdreiste dich nicht, eine eigene Persönlichkeit zu haben! Fraternité ou la mort! Zwei Millionen Köpfe!‹ ›An ihren Taten sollt ihr sie erkennen‹, heißt es in der Schrift. Und glauben Sie nicht, daß das alles so harmlos und für uns ungefährlich wäre; o nein, wir müssen Wider stand leisten, und auf das schnellste, auf das schnellste! Unser Christus muß als Schild dem Westen entgegenstrahlen, unser Christus, den wir uns bewahrt und den sie überhaupt nicht gekannt haben! Wir dürfen uns nicht sklavisch von den Jesuiten angeln lassen, sondern wir müssen ihnen jetzt entgegentreten, indem wir ihnen unsere russische Zivilisation bringen; und man darf bei uns nicht sagen, daß ihre Predigt elegant sei, wie sich soeben jemand geäußert hat ...«

      »Aber erlauben Sie, erlauben Sie«, unterbrach ihn Iwan Petrowitsch, der sich unruhig rings umblickte und sogar ordentlich Angst bekam; »alle Gedanken, die Sie da vortragen, sind ja gewiß sehr löblich und patriotisch; aber es ist doch alles im höchsten Grade übertrieben, und ... es wäre das beste, wenn wir das Thema abbrächen ...«

      »Nein, übertrieben ist es nicht, eher zu schwach ausgedrückt; ja, es ist zu schwach ausgedrückt, weil ich nicht imstande bin, die richtigen Worte zu finden; aber ...«

      »Er-lau-ben Sie!«

      Der Fürst schwieg. Er saß, gerade aufgerichtet, auf seinem Stuhl und blickte, ohne sich zu regen, Iwan Petrowitsch mit flammendem Blick an.

      »Mir scheint, daß der Vorfall mit Ihrem Wohltäter Sie gar zu sehr übernommen hat«, bemerkte der Alte freundlich, und ohne seine Ruhe zu verlieren. »Sie sind etwas hitzig ... vielleicht infolge Ihres einsamen Lebens. Wenn Sie mehr unter Menschen lebten (und ich hoffe, daß man sich in der guten Gesellschaft über Sie als über einen beachtenswerten jungen Mann freuen wird), so wird sich Ihre Lebhaftigkeit gewiß mildern, und Sie werden sehen, daß das alles weit einfacher ist ... Und zudem gehen solche seltenen Fälle meiner Ansicht nach teils aus unserer Übersättigung hervor, teils aus ... einer Art von Sehnsucht.«

      »Ganz richtig, ganz richtig!« rief der Fürst. »Ein vortrefflicher Gedanke! Jawohl, aus einer Art von Sehnsucht, aus einer Art von Sehnsucht! Aber nicht aus Übersättigung, sondern im Gegenteil aus Durst ... nicht aus Übersättigung, darin haben Sie sich geirrt! Aus Durst ist noch zu wenig gesagt: aus brennendem, fieberhaftem Durst! Und ... und glauben Sie nicht, das geschehe in so geringem Umfang, daß man darüber lachen dürfe; verzeihen Sie, man muß verstehen, in die Zukunft zu schauen! Wenn unsere Landsleute das Ufer erreicht haben und zu der Überzeugung gelangt sind, daß das das Ufer ist, dann freuen sie sich darüber gleich dermaßen, daß sie sofort weitergehen, so weit wie nur irgend möglich; woher kommt das? Da wundern Sie sich nun über Pawlischtschew und schreiben alles seiner Verdrehtheit oder seiner Herzensgüte zu; aber dem ist nicht so! Und nicht uns allein, sondern gar Europa setzt in solchen Fällen unsere russische Leidenschaftlichkeit in Erstaunen: wenn bei uns jemand zum Katholizismus übertritt, dann wird er auch gleich unfehlbar Jesuit und gleich einer der schlimmsten; und wenn einer Atheist wird, dann fordert er unfehlbar sofort eine gewaltsame Ausrottung des Gottesglaubens, das heißt also eine Ausrottung mit dem Schwert. Woher kommt das? Woher auf einmal ein solcher Fanatismus? Wissen Sie es wirklich nicht? Das kommt daher, daß der Betreffende ein Vaterland gefunden hat, das ihm hier fehlte, und sich darüber gefreut hat; er hat ein Ufer gefunden, Land gefunden und hat sich hingeworfen, um es zu küssen! Nicht aus bloßer Eitelkeit, nicht immer nur aus häßlichen, eitlen Motiven werden die Russen Atheisten oder Jesuiten, sondern auch aus seelischem Schmerz, aus seelischem Durst, aus Sehnsucht nach Höherem, nach einem festen Ufer, nach einer Heimat, an die sie aufgehört hatten zu glauben, weil sie sie niemals gekannt hatten! Atheist zu werden ist für einen Russen so überaus leicht, leichter als für alle übrigen Menschen in der ganzen Welt! Und unsere Landsleute werden nicht einfach Atheisten, sondern glauben unfehlbar an den Atheismus, wie an einen neuen Glauben, ohne zu bemerken, daß sie an ein Nichts glauben. So groß ist unser seelischer Durst! ›Wer keinen Boden unter sich hat, der hat auch keinen Gott!‹ Dieser Ausdruck rührt nicht von mir her, sondern von einem altgläubigen Kaufmann, mit dem ich auf einer Reise zusammentraf. Er drückte sich allerdings nicht ganz so aus, sondern sagte: ›Wer sich von seiner Heimat losgesagt hat, der hat sich auch von seinem Gott losgesagt.‹ Man braucht nur daran zu denken, daß bei uns die gebildetsten Leute sogar in die Sekte der Geißler eintraten ... Und inwiefern ist übrigens in solchem Falle das Geißlerwesen schlechter als der Nihilismus, das Jesuitentum und der Atheismus? Man kann vielleicht sogar sagen, daß es mehr innerliche Tiefe besitzt! Aber da sieht man, wie weit jene Sehnsucht gelangt ist ...! Man zeige den fieberhaft dürstenden Gefährten des Kolumbus das Gestade der Neuen Welt, man zeige dem Russen das wahre Russentum, man lasse ihn dieses Gold, diesen Schatz finden, der seinen Augen bisher in der Erde verborgen ist! Man zeige ihm, wie sich in der Zukunft die Erneuerung und Auferstehung der ganzen Menschheit vielleicht einzig und allein durch den russischen Gedanken, durch den russischen Gott und den russischen Christus vollziehen wird, und man wird sehen, welch ein starker, wahrheitsliebender, weiser, sanfter Riese vor den Augen der erstaunten Welt heranwachsen wird; erstaunt und erschrocken wird die Welt aber allerdings sein, weil sie von uns nur das Schwert erwartet, das Schwert und Gewalttätigkeit; denn da sie nach sich selbst urteilt, kann sie sich uns nicht ohne Barbarentum vorstellen. So ist das bisher gewesen, und dieses Sehnen wird, je länger es dauert, immer stärker und ...«

      Aber hier trat plötzlich ein Ereignis ein, und die Rede des Fürsten wurde in einer ganz unerwarteten Weise unterbrochen.

      Diese ganze wilde Tirade, dieser ganze Schwall seltsamer, aufgeregter Worte und ungeordneter, enthusiastischer Gedanken, die in wirrem Durcheinander sich drängten und wechselseitig übersprangen, alles dies ließ ahnen, daß in der Verfassung des so plötzlich und anscheinend ohne jeden Anlaß in Hitze geratenen jungen Mannes eine besondere Gefahr lauerte. Von den im Salon Anwesenden waren alle, die den Fürsten kannten, von ängstlichem (bei manchen sogar mit Scham gepaartem) Erstaunen ergriffen über seine Extravaganz, die so gar nicht zu seiner steten, geradezu schüchtern zu nennenden Zurückhaltung, zu dem besonders feinen in manchen Fällen von ihm bewiesenen Takt und zu seinem instinktiven Gefühl für die obersten Anstandsregeln stimmen wollte. Es war unbegreiflich, woher das gekommen war: die Mitteilung über Pawlischtschew konnte doch nicht die Ursache sein. Die Damen blickten aus ihrer Ecke auf ihn hin wie auf einen Irrsinnigen, und die alte Bjelokonskaja gestand später, wenn die Sache noch eine Minute länger gedauert hätte, so würde sie sich durch die Flucht gerettet haben. Die alten Herren waren zuerst vor Staunen ganz fassungslos; Iwan Fjodorowitschs Vorgesetzter, der General, sah den Fürsten von seinem Stuhl aus mit unzufriedener, strenger Miene an. Der Oberst und Techniker saß völlig regungslos da. Der Deutsche war ganz blaß geworden, behielt aber immer noch sein gekünsteltes Lächeln bei und betrachtete die andern, wie diese wohl darauf reagieren würden. Übrigens hätte die ganze Sache auch »ohne Skandal« durch ein sehr gewöhnliches, natürliches Mittel erledigt werden können, vielleicht sogar in einem Augenblick; Iwan Fjodorowitsch nämlich, der sehr erstaunt war, aber sich schneller als die übrigen gefaßt hatte, hatte schon mehrmals den Fürsten zu hemmen versucht; da seine Bemühungen keinen Erfolg gehabt hatten, so ging er jetzt mit einer bestimmten festen Absicht auf ihn zu. Noch einen Augenblick, und er hätte nötigenfalls vielleicht den Fürsten in freundschaftlicher Weise unter dem Vorwand seiner Krankheit hinausgeführt, was vielleicht sogar wirklich die Wahrheit war, wie denn auch Iwan Fjodorowitsch im stillen daran