Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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obgleich ich nicht wußte, wie ich es sagen sollte ... Sie lachen, Iwan Petrowitsch? Sie denken, ich hätte für die andern Schichten Furcht gehabt, sei ihr Advokat, ein Demokrat, ein Gleichheitsapostel?« Hier lachte er krampfhaft, wie er denn alle Augenblicke ein kurzes, entzücktes Lachen ausstieß. »Ich habe Furcht für Sie, für Sie alle, für Sie alle zusammen. Ich bin ja selbst ein Fürst aus einem alten Geschlecht und sitze hier unter Fürsten. Ich rede hier, um uns alle zu retten; ich rede, damit nicht unser Stand, ohne etwas bewirkt zu haben, im Dunkel verschwindet, nachdem er nichts begriffen, sich um alles herumgestritten und alles verspielt hat. Wozu sollen wir verschwinden und andern unsern Platz einräumen, wenn wir die vordersten und obersten bleiben können? Wenn wir die vordersten sein werden, dann werden wir auch die obersten sein. Wir wollen Diener sein, um die obersten zu werden.«

      Er wollte sich losreißen, um von seinem Sessel aufzustehen; aber der Alte hielt ihn beständig fest, betrachtete ihn aber mit wachsender Unruhe.

      »Hören Sie! Ich weiß, daß es nicht gut ist, bloß zu sprechen; besser ist es, wenn man einfach ein gutes Beispiel gibt und einfach selbst den Anfang macht ... ich habe bereits den Anfang gemacht ... und ... und ist es denn wirklich möglich, unglücklich zu sein? Oh, was will mein Kummer und mein Leid besagen, wenn ich imstande bin glücklich zu sein? Wissen Sie, ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorbeigehen kann, ohne darüber glücklich zu sein, daß man ihn sieht; wie man mit einem Menschen reden und nicht darüber glücklich sein kann, daß man ihn liebt! Oh, ich verstehe es nur nicht auszudrücken, aber wie viele schöne Dinge begegnen einem auf Schritt und Tritt, die sogar der verkommenste Mensch schön findet! Sehen Sie ein Kind an, sehen Sie die Morgen- und Abendröte an, betrachten Sie ein Gräschen, wie es wächst; schauen Sie in die Augen, die liebevoll auf Sie blicken ...«

      Er war schon längst während des Redens aufgestanden. Der Alte sah ihn jetzt erschrocken an. Lisaweta Prokofjewna, die früher als alle andern merkte, was vorging, rief: »Ach, mein Gott!« und schlug die Hände zusammen.

      Aglaja lief schnell zu ihm hin, fing ihn gerade noch in ihren Armen auf und hörte voller Angst mit schmerzverzerrtem Gesicht den wilden Schrei des Dämons, der den Unglücklichen schüttelte und niederwarf. Der Kranke lag auf dem Teppich. Jemand hatte noch Zeit gefunden, ihm schnell ein Kissen unter den Kopf zu schieben.

      Das hatte niemand erwartet. Eine Viertelstunde darauf versuchten Fürst N., Jewgeni Pawlowitsch und der Alte das Zusammensein wieder etwas lebendiger zu gestalten; aber schon nach einer weiteren halben Stunde brachen alle Gäste auf. Dabei erfolgten zahlreiche Äußerungen der Teilnahme und des Bedauerns; manche sprachen auch ihre Meinung über den Vorfall aus. Iwan Petrowitsch sagte unter anderm, der junge Mann sei ein Slawophile oder etwas Ähnliches, indes sei das nicht weiter gefährlich. Der Alte äußerte sich gar nicht. Nachher allerdings am nächsten und übernächsten Tag, waren alle in etwas ärgerlicher Stimmung; Iwan Petrowitsch fühlte sich sogar beleidigt, wenn auch nur ein wenig. Der General, der Iwan Fjodorowitschs Chef war, benahm sich eine Zeitlang gegen diesen etwas kühl. Der Patron der Familie, der Würdenträger, murmelte dem Oberhaupt der Familie unter Kaubewegungen ein paar tröstende Worte zu, wobei er in schmeichelhafter Weise zum Ausdruck brachte, daß er an Aglajas Geschick sehr, sehr großen Anteil nehme. Er war wirklich ein ganz gutherziger Mensch, aber unter den Gründen, aus denen er bei der Abendgesellschaft dem Fürsten seine Aufmerksamkeit zugewandt hatte, spielte eine besondere Rolle das Verhältnis, in welchem der Fürst unlängst zu Nastasja Filippowna gestanden hatte; er hatte davon gehört, interessierte sich sehr dafür und hätte sogar gern danach gefragt.

      Die alte Bjelokonskaja sagte, als sie am Abend wegfuhr, zu Lisaweta Prokofjewna:

      »Na ja, er hat sein Gutes und sein Schlechtes; aber wenn du meine Meinung wissen willst, so muß ich sagen: das Schlechte überwiegt. Du siehst ja selbst, was er für ein Mensch ist, ein kranker Mensch!«

      Lisaweta Prokofjewna kam im stillen zu der endgültigen Überzeugung, daß er als Bräutigam unmöglich sei, und nahm sich beim Schlafengehen vor, solange sie lebe, solle der Fürst nicht der Mann ihrer Aglaja werden. Mit diesem Entschluß stand sie auch am Morgen auf. Aber noch an demselben Vormittag zwischen zwölf und ein Uhr, beim Frühstück, setzte sie sich in einen wunderlichen Widerspruch zu sich selbst.

      Auf eine, übrigens sehr behutsame Frage der Schwestern antwortete Aglaja kalt und hochmütig, als wolle sie die Sache damit abtun:

      »Ich habe ihm nie mein Wort gegeben und ihn nie in meinem Leben als meinen Bräutigam betrachtet. Er steht mir ebenso fern wie jeder andere.«

      Da fuhr Lisaweta Prokofjewna plötzlich auf.

      »Das hatte ich nicht von dir erwartet«, sagte sie gekränkt. »Daß er als Bräutigam unmöglich ist, das weiß ich, und Gott sei Dank, daß es so gekommen ist; aber von dir hätte ich solche Reden nicht erwartet. Ich hatte geglaubt, du würdest dich anders dazu stellen. Ich würde am liebsten alle, die gestern hier waren, fortjagen und ihn allein dabehalten; so ein Mensch ist das ...!«

      Hier brach sie plötzlich ab, da sie selbst über das, was sie gesagt hatte, einen Schreck bekam. Aber wenn sie gewußt hätte, wie sehr sie ihrer Tochter in diesem Augenblick Unrecht tat! Aglaja hatte sich in ihrem Kopf schon alles zurechtgelegt; auch sie wartete auf ihre Stunde, die alles entscheiden sollte, und jede Andeutung, jede unvorsichtige Berührung schlug ihrem Herzen eine tiefe Wunde.

      Auch für den Fürsten begann dieser Tag damit, daß er sich von üblen Ahnungen bedrückt fühlte; diese ließen sich ja zwar durch seinen krankhaften Zustand erklären, aber seine Traurigkeit hatte doch einen gar zu unbestimmten Charakter, und das war für ihn das Qualvollste. Allerdings standen ihm bestimmte Tatsachen deutlich vor Augen, schmerzliche, peinliche Tatsachen; aber seine Traurigkeit ging doch über alles hinaus, was ihm Gedächtnis und Denkkraft als Stoff dafür darboten; er sah ein, daß er sich nicht beruhigen werde, wenn er allein bliebe. Allmählich setzte sich in seinem Kopf die Erwartung fest, daß sich noch an diesem Tag mit ihm etwas Besonderes und Entscheidendes begeben werde. Der Anfall, den er tags zuvor gehabt hatte, war von leichterer Art gewesen: außer einer starken Niedergeschlagenheit, einer gewissen Schwere im Kopf und einen Schmerz in den Gliedern fühlte er keine andere gesundheitliche Störung. Sein Kopf arbeitete durchaus normal, obgleich die Seele krank war. Er stand sehr spät auf und erinnerte sich sofort mit aller Deutlichkeit an den gestrigen Abend; auch daran erinnerte er sich, wenn auch nicht ganz klar, daß man ihn eine halbe Stunde nach dem Anfall nach Hause gebracht hatte. Er erfuhr, daß bereits ein Bote von Jepantschins bei ihm erschienen war, um nach seinem Befinden zu fragen. Um halb zwölf erschien ein zweiter; das freute ihn. Wjera Lebedjewa war die erste, die ihn besuchte und für seine Bedürfnisse sorgte. Im ersten Augenblick, als sie ihn erblickte, fing sie auf einmal an zu weinen; aber als der Fürst sie sofort beruhigte, lachte sie auf. Ihn überraschte das starke Mitgefühl, das dieses Mädchen für ihn empfand; er ergriff ihre Hand und küßte sie ihr. Wjera errötete.

      »Ach, was tun Sie, was tun Sie!« rief sie erschrocken und zog schnell ihre Hand weg.

      Sie ging in seltsamer Aufregung bald wieder weg. Unter anderm hatte sie ihm erzählt, ihr Vater sei an diesem Tag schon ganz frühmorgens zu dem »Dahingeschiedenen« gelaufen, wie er den General nannte, um nachzufragen, ob er in der Nacht gestorben sei; es verlaute, er werde wahrscheinlich bald sterben. Kurz vor zwölf Uhr kam auch Lebedjew selbst nach Hause und zum Fürsten, aber eigentlich »nur auf einen Augenblick, um sich nach dem kostbaren Befinden zu erkundigen«, und so weiter und außerdem dem »Schränkchen« einen Besuch abzustatten. Da er nichts anderes tat als ächzen und stöhnen, so machte der Fürst, daß er ihn bald wieder los wurde; aber Lebedjew versuchte doch noch, sich nach dem gestrigen Anfall zu erkundigen, obgleich er offenbar darüber bereits in allen Einzelheiten orientiert war. Nach ihm kam Kolja herangelaufen, ebenfalls nur auf einen Augenblick; dieser hatte es wirklich eilig und befand sich in einer starken düsteren Unruhe. Er begann damit, daß er den Fürsten geradezu und inständig bat, ihm alles mitzuteilen, was man ihm noch verberge; das meiste habe er schon am gestrigen Tag erfahren. Er war tief und heftig erschüttert.

      Mit aller möglicher Teilnahme, deren er nur fähig war, erzählte ihm der Fürst den ganzen