zornig werden, brach aber plötzlich in ein Gelächter aus, und es war diesmal ein gutmütiges Gelächter. Auch Lisaweta Prokofjewnas Gesicht glänzte; nicht minder strahlte Iwan Fjodorowitsch. »Ich habe es ja gesagt, Ljow Nikolajewitsch ist ein Mensch ... ein Mensch ... mit einem Wort, wenn er nur nicht außer Atem käme, wie die Fürstin richtig bemerkt hat ...«, murmelte der General in einer Art von Freudenrausch, indem er die Worte der alten Bjelokonskaja, die ihn beeindruckt hatten, wiederholte.
Nur Aglaja schien traurig zu sein; aber ihr Gesicht glühte immer noch, vielleicht vor Unwillen.
»Er ist wirklich sehr liebenswürdig«, murmelte der Alte wieder, zu Iwan Petrowitsch gewandt.
»Ich kam hierher mit tiefem Schmerz im Herzen«, fuhr der Fürst fort, mit immer wachsender Erregung, immer schneller und schneller, mit immer seltsamerer Begeisterung; »ich ... fürchtete mich vor Ihnen, fürchtete mich vor mir selbst. Am meisten vor mir selbst. Als ich hierher nach Petersburg zurückkehrte, hatte ich mir vorgenommen, jedenfalls unsere ersten, ältesten Familien kennenzulernen, zu denen ich selbst gehöre, unter denen ich selbst durch meine Herkunft einer der ersten Vertreter bin. Nun sitze ich ja jetzt mit ebensolchen Fürsten zusammen, wie ich einer bin, nicht wahr? Ich wollte Sie kennenlernen, und das war notwendig, sehr, sehr notwendig ...! Ich hatte über Sie immer sehr viel Schlechtes gehört, mehr als Gutes: über die Kleinlichkeit und Exklusivität Ihrer Interessen, über Ihre Rückständigkeit, über Ihre geringe Bildung, über Ihre lächerlichen Gewohnheiten – oh, es wird ja so vieles über Sie geschrieben und geredet! Ich bin voller Neugier und Erregung heute hierhergekommen: ich wollte mich selbst persönlich davon überzeugen, ob wirklich diese ganze obere Schicht des russischen Volkes nichts mehr taugt, die ihr zugemessene Zeit bereits abgelebt hat, keine Lebenskraft mehr besitzt, zu weiter nichts mehr fähig ist als zu sterben, aber doch immer noch in kleinlichem Neid einen Kampf gegen die Männer der Zukunft führt und sich ihnen in den Weg stellt, ohne zu merken, daß sie selbst im Absterben begriffen ist. Ich habe diese Meinung auch früher nicht im vollen Umfang für richtig gehalten, weil es bei uns eine höhere Gesellschaftsklasse eigentlich nie gegeben hat, außer etwa der Hofgesellschaft, zu der mancher durch seine Uniform oder durch irgendeinen Zufall gehörte, und jetzt ist auch die ganz verschwunden, nicht wahr, nicht wahr?«
»Nun, das verhält sich ganz und gar nicht so!« bemerkte Iwan Petrowitsch spöttisch lachend.
»Na, nun ist er richtig wieder in Zug gekommen!« sagte die alte Bjelokonskaja verdrießlich.
»Laissez le dire! Er zittert ja am ganzen Leib«, sagte der Alte wieder halblaut in warnendem Ton. Der Fürst hatte sich augenscheinlich nicht mehr in der Gewalt.
»Und was fand ich? Ich sah elegante, gutherzige, verständige Menschen; ich sah einen alten Herrn, der einen jungen Menschen, wie ich, liebkost und anhört; ich sehe Menschen, die imstande sind zu verstehen und zu verzeihen, Russen, die fast ebenso gut und herzlich sind wie die, mit denen ich in andern Schichten zusammengekommen bin, fast in nicht minderem Grad. Urteilen Sie selbst, wie freudig ich erstaunt war! Oh, erlauben Sie mir, diesem Gefühl Ausdruck zu geben! Ich habe oft gehört und selbst stark geglaubt, in der vornehmen Welt sei alles nur Schein, alles nur abgelebte Form; der eigentliche Kern sei vertrocknet; aber nun sehe ich ja selbst, daß das bei uns nicht zutrifft; das mag anderswo so sein, bei uns ist es nicht so. Sind Sie denn sämtlich jetzt Jesuiten und Betrüger? Ich habe vorhin den Fürsten N. etwas erzählen hören: war das nicht gutherziger, sprudelnder Humor? War das nicht wahre Herzensgüte? Können denn solche Worte von den Lippen eines geistig erstorbenen Menschen kommen, dessen Herz eingeschrumpft, dessen Talent versiegt ist? Könnten denn erstorbene Menschen mit mir so umgehen, wie Sie mit mir umgegangen sind? Ist das nicht ein Material für die Zukunft, ein Material, auf das man seine Hoffnungen setzen darf? Können etwa solche Menschen verständnislos und rückständig sein?«
»Ich bitte Sie noch einmal, sich zu beruhigen, mein lieber Freund«, sagte der Würdenträger lächelnd. »Wir wollen über all das ein andermal reden, und ich werde mit dem größten Vergnügen ...«
Iwan Petrowitsch räusperte sich und drehte sich auf seinem Sessel um; Iwan Fjodorowitsch machte ungeduldige Bewegungen; sein hoher Vorgesetzter, der General, unterhielt sich mit der Gemahlin des Würdenträgers, ohne dem Fürsten auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken; aber die Gemahlin des Würdenträgers hörte häufig nach diesem hin und blickte zu ihm herüber.
»Nein, wissen Sie, es wird schon das beste sein, wenn ich rede!« fuhr der Fürst in einem neuen fieberhaften Impuls fort, indem er sich vertraulich geradezu an den Alten wandte. »Aglaja Iwanowna hat mir gestern verboten zu reden und mir sogar die Themata genannt, über die ich nicht reden dürfe; sie weiß, daß ich bei Erörterung dieser Themata lächerlich werde! Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt; aber ich weiß ja, daß ich noch wie ein Kind bin. Ich habe kein Recht, meine Gedanken auszusprechen; das habe ich schon immer gesagt; ich habe nur in Moskau, mit Rogoschin, ganz offenherzig gesprochen ... Wir beide haben zusammen Puschkin gelesen, ihn ganz durchgelesen; er kannte nichts davon, nicht einmal den Namen Puschkin ... Ich fürchte immer, durch mein komisches Wesen dem Gedanken und der Hauptidee Eintrag zu tun. Ich verstehe mich nicht auf Gestikulation. Ich mache immer Handbewegungen, die den richtigen entgegengesetzt sind, und das ruft Gelächter hervor und schadet dem Ansehen der Idee. Ich habe auch kein Gefühl für das rechte Maß, und das ist das Wichtigste; das ist sogar das allerwichtigste ... Ich weiß, daß ich am besten täte stillzusitzen und zu schweigen. Wenn ich das durchsetze und schweige, dann mache ich sogar den Eindruck eines ganz vernünftigen Menschen und denke überdies im stillen über dies und jenes nach. Aber jetzt ist es doch besser, wenn ich rede. Ich habe zu reden angefangen, weil Sie mich so nett ansehen; Sie haben ein so nettes Gesicht! Ich habe gestern Aglaja Iwanowna mein Wort darauf gegeben, heute den ganzen Abend zu schweigen.«
»Vraiment?« fragte der Alte lächelnd.
»Aber in manchen Augenblicken denke ich, daß ich Unrecht tue, diese Anschauung zu hegen; denn Offenherzigkeit ist doch wohl ebensoviel wert wie eine schöne Gestikulation? Nicht wahr?«
»Manchmal.«
»Ich will Ihnen alles klarlegen, alles, alles, alles! O ja! Sie denken, ich sei ein Utopist, ein schwärmerischer Idealist? O nein, weiß Gott, meine Gedanken sind immer von ganz einfacher Art ... Sie glauben es nicht? Sie lächeln? Wissen Sie, ich bin manchmal ein gemeiner Mensch, weil ich den Glauben verliere. Vorhin ging ich hierher und dachte: ›Na, wie werde ich mit ihnen reden? Womit muß ich anfangen, damit sie wenigstens etwas verstehen?‹ Was hatte ich für Furcht; aber ich hatte in der Hauptsache Furcht für Sie; es war schrecklich, ganz schrecklich! Aber doch: durfte ich denn Furcht haben? Mußte ich mich nicht schämen, Furcht zu haben? Was tut es denn, daß auf einen Vorgeschrittenen eine solche Menge von Zurückgebliebenen, Schlechten kommt? Und das ist für mich nun gerade ein Grund zur Freude, daß ich jetzt die Überzeugung gewonnen habe, daß es sich gar nicht um eine solche tote Menge handelt, sondern daß das lauter lebensvolles Material ist! Wir dürfen uns auch dadurch nicht beirren lassen, daß wir komisch sind, nicht wahr? Es ist ja freilich wirklich so: wir sind komisch, leichtsinnig, haben schlechte Angewohnheiten, langweilen uns, verstehen nicht zu sehen, verstehen nicht zu begreifen; wir sind ja alle von dieser Art, alle, Sie und ich und alle andern! Sie fühlen sich doch nicht beleidigt dadurch, daß ich Ihnen ins Gesicht sage, Sie seien komisch? Wenn dem aber so ist, sind Sie denn dann nicht lebensvolles Material? Wissen Sie, meiner Ansicht nach ist es manchmal sogar gut, komisch zu sein, sogar das Beste: man kann einander leichter verzeihen und sich leichter miteinander versöhnen; man kann doch auch nicht alles auf einmal verstehen, nicht gleich mit der Vollkommenheit anfangen! Um die Vollkommenheit zu erreichen, muß man vorher gar vieles nicht verstanden haben! Und wenn man etwas gar zu schnell versteht, so ist Gefahr, daß man es nicht ordentlich versteht. Das sage ich Ihnen, die Sie es schon fertiggebracht haben, so vieles zu verstehen und ... nicht zu verstehen. Ich habe jetzt keine Furcht für Sie; Sie sind ja doch nicht böse darüber, daß ein so junger Mensch solche Worte zu Ihnen spricht? Gewiß nicht! Oh, Sie verstehen es, zu vergessen und denen zu verzeihen, von denen Sie beleidigt sind, und denen, die Ihnen keine Beleidigung zugefügt haben; denn am allerschwersten ist es ja, denen zu verzeihen, die uns mit nichts beleidigt haben, und zwar eben deswegen, weil sie uns nicht beleidigt haben und folglich unsere Beschwerde über