hinein, folgte ihm vorsichtig, schloß die Tür hinter sich zu und steckte den Schlüssel in die Tasche.
»Komm!« sagte er flüsternd.
Schon von dem Trottoir in der Litejnaja-Straße an hatte er im Flüsterton gesprochen. Trotz all seiner äußeren Ruhe befand er sich in tiefer innerlicher Erregung. Als sie in den vor seinem Arbeitszimmer gelegenen Saal traten, ging er ans Fenster und winkte den Fürsten geheimnisvoll zu sich heran.
»Als du vorhin bei mir klingeltest, dachte ich mir gleich, daß du es selbst wärst; ich ging auf den Zehen an die Tür und hörte, daß du mit der alten Pafnutjewna sprachst. Aber ich hatte der schon ganz früh am Morgen Befehl gegeben: wenn du oder irgendein Abgesandter von dir oder sonst jemand bei mir klopfen sollte, dann solle sie mich unter allen Umständen verleugnen; und besonders wenn du selbst kämst und nach mir fragtest und ihr deinen Namen angäbest. Aber als du dann weggegangen warst, kam mir der Gedanke: wie, wenn er jetzt dasteht und hersieht oder auf der Straße Wache hält? Ich ging zu eben diesem Fenster hier, schob das Rouleau ein wenig zurück, sah hinaus, und da standest du und sahst mich gerade an ... So ist das hergegangen.«
»Wo ist aber ... Nastasja Filippowna?« fragte der Fürst, nur mühsam atmend.
»Sie ist ... hier«, erwiderte Rogoschin langsam, nachdem er einen Augenblick mit der Antwort gewartet hatte.
»Wo denn?«
Rogoschin hob die Augen zum Fürsten in die Höhe und blickte ihn fest an.
»Komm mit ...«
Er sprach immer flüsternd und ohne sich zu beeilen, langsam und wie früher in einer sonderbaren Weise nachdenklich. Selbst als er die Geschichte von dem Rouleau erzählte, machte es den Eindruck, als wolle er mit seiner Erzählung trotz aller Mitteilsamkeit etwas ganz anderes zum Ausdruck bringen.
Sie gingen in das Arbeitszimmer. In diesem Zimmer war, seitdem der Fürst darin gewesen war, eine gewisse Veränderung vorgenommen worden: quer durch das ganze Zimmer war ein grünseidner Vorhang gezogen, mit zwei Eingängen, je einem an jedem Ende; er teilte von dem Zimmer einen Alkoven ab, in dem Rogoschins Bett stand. Der schwere Vorhang war heruntergelassen und die Eingänge geschlossen. Aber im Zimmer war es sehr dunkel; die hellen Petersburger Sommernächte begannen schon dunkler zu werden, und wäre nicht Vollmond gewesen, so hätte man in Rogoschins Wohnung mit den heruntergelassenen Rouleaus schwer etwas erkennen können. Allerdings konnte man noch die Gesichter unterscheiden, wiewohl nicht gerade deutlich. Rogoschins Gesicht war blaß wie gewöhnlich; die Augen blickten den Fürsten fest an, mit starkem Glanz, aber regungslos. »Willst du nicht Licht anzünden?« fragte der Fürst.
»Nein, das ist nicht nötig«, antwortete Rogoschin, faßte den Fürsten bei der Hand und zog ihn auf einen Stuhl nieder; er selbst setzte sich ihm gegenüber, indem er seinen Stuhl so heranzog, daß seine Knie fast gegen die des Fürsten stießen. Zwischen ihnen stand, etwas seitwärts, ein kleines rundes Tischchen. »Setz dich! Wir wollen ein Weilchen sitzen«, sagte er zuredend. Etwa eine Minute lang schwiegen sie. »Ich wußte, daß du dich in diesem selben Gasthaus einquartieren würdest«, begann er, wie manchmal die Leute zu Beginn eines bedeutsamen Gesprächs mit unwichtigen Details anfangen, die in keinem direkten Bezug zur Sache stehen. »Als ich auf den Korridor kam, da dachte ich: ›Vielleicht sitzt auch er jetzt da und wartet auf mich, wie ich auf ihn, in diesem selben Augenblicke.‹ Bist du bei der Lehrerwitwe gewesen?«
»Ja, ich war dort«, versetzte der Fürst; er konnte vor starkem Herzklopfen kaum reden.
»Ich habe auch daran gedacht. ›Es wird noch ein Gerede geben‹, dachte ich ... und dann dachte ich noch: ›Ich werde ihn zum Übernachten hierher bringen, damit wir diese Nacht zusammen ...‹«
»Rogoschin, wo ist Nastasja Filippowna?« flüsterte der Fürst und stand, an allen Gliedern zitternd, auf.
Auch Rogoschin erhob sich.
»Dort«, flüsterte er und wies mit einer Kopfbewegung nach dem Vorhang.
»Schläft sie?« flüsterte der Fürst.
Rogoschin blickte ihn wieder starr an wie vorher.
»Wollen wir nun hingehen ...? Aber du ... Na, gehen wir hin!«
Er hob die Portiere in die Höhe, blieb stehen und wandte sich wieder zum Fürsten:
»Geh hinein!« sagte er, mit dem Kopf auf die Portiere deutend und ihn zum Vorangehen einladend.
Der Fürst ging hindurch.
»Es ist hier dunkel«, sagte er.
»Man kann schon sehen!« murmelte Rogoschin.
»Ich sehe kaum ... das Bett.«
»Tritt nur näher heran!« forderte ihn Rogoschin leise auf.
Der Fürst ging noch näher, einen Schritt, einen zweiten, und blieb dann stehen. Er stand da und blickte eine oder zwei Minuten lang hin; beide schwiegen während der ganzen Zeit, wo sie am Bett standen; dem Fürsten klopfte das Herz so, daß er meinte, es müßte im Zimmer bei der herrschenden Totenstille zu hören sein. Aber seine Augen hatten sich schon an die Dunkelheit gewöhnt, so daß er das ganze Bett erkennen konnte; auf ihm schlief jemand, ganz ohne sich zu rühren; man hörte nicht das leiseste Rascheln, nicht das leiseste Atemholen. Der Schlafende war bis über den Kopf mit einem weißen Leinentuch zugedeckt; aber die Glieder hoben sich nur undeutlich ab; man sah nur an der Erhöhung, daß da ein ausgestreckter Mensch lag. Ringsherum war, auf dem Fußende des Bettes, auf den beim Bett stehenden Sesseln, sogar auf dem Fußboden, die abgelegte Kleidung unordentlich hingeworfen: ein reiches weißseidenes Kleid, Blumen, Bänder. Auf einem kleinen Tischchen am Kopfende blitzten die abgenommenen, hingeworfenen Brillanten. Am Fußende waren Spitzen zu einem Klumpen zusammengedrückt, und auf den weißen Spitzen wurde, unter dem Leinentuch hervorschauend, eine nackte Fußspitze sichtbar; sie sah aus wie aus Marmor gemeißelt und war von einer erschreckenden Regungslosigkeit. Der Fürst blickte hin und fühlte, daß, je länger er hinblickte, die Totenstille im Zimmer immer drückender wurde. Auf einmal fing eine erwachte Fliege zu summen an, flog über das Bett hinüber und verstummte am Kopfende. Der Fürst fuhr zusammen.
»Wir wollen hinausgehen!« sagte Rogoschin, indem er seine Hand berührte.
Sie gingen hinaus und setzten sich wieder auf dieselben Stühle, wieder einander gegenüber. Der Fürst zitterte immer stärker und stärker und wendete seinen fragenden Blick nicht von Rogoschins Gesicht ab.
»Du zitterst ja, wie ich bemerke, Ljow Nikolajewitsch«, sagte Rogoschin endlich. »Fast so wie zu Zeiten, wo du schwer leidend bist, erinnerst du dich? es war in Moskau. Oder wie einmal vor einem Anfall. Und ich weiß gar nicht, was ich mit dir jetzt anfangen sollte ...«
Der Fürst strengte beim Zuhören alle seine Kräfte an, um das Gesagte zu verstehen; sein Blick hatte noch immer denselben fragenden Ausdruck.
»Bist du es gewesen?« sagte er endlich, mit dem Kopf nach der Portiere deutend.
»Ja ... ich bin es gewesen ...«, flüsterte Rogoschin und schlug die Augen nieder.
Sie schwiegen etwa fünf Minuten lang.
»Denn«, fuhr Rogoschin fort, wie wenn er seine Rede nicht unterbrochen hätte, »denn wenn du deine Krankheit und einen Anfall bekämst und zu schreien anfingst, dann könnte es womöglich jemand von der Straße oder vom Hof aus hören, und man würde merken, daß Leute in der Wohnung übernachten; man würde anklopfen und hereinkommen ... denn sie denken alle, daß ich nicht zu Hause bin. Ich habe auch kein Licht angesteckt, damit man es von der Straße oder vom Hof aus nicht bemerkt. Denn wenn ich nicht hier bin, nehme ich auch die Schlüssel mit, und es kommt in meiner Abwesenheit drei, vier Tage lang niemand herein, auch nicht zum Reinmachen; so habe ich die Einrichtung getroffen. Also damit sie nicht merken, daß wir die Nacht über hier sind ...«
»Warte«, unterbrach ihn der Fürst, »ich habe vorhin sowohl den Hausknecht als auch die alte Frau gefragt, ob Nastasja Filippowna die Nacht hier zugebracht hätte. Also wissen sie es schon.«