es dem Fürsten. Dieser nahm es, aber mit einer Art von Befremden. Ein neues, trauriges, trostloses Gefühl schnürte ihm das Herz zusammen; er wurde sich auf einmal bewußt, daß er in diesem Augenblick und schon längst immer nicht von dem redete, wovon er reden mußte, und immer nicht das tat, was er tun mußte, und daß diese Karten, die er in den Händen hielt, und über die er sich so freute, jetzt zu nichts helfen konnten, zu gar nichts. Er stand auf und schlug die Hände zusammen. Rogoschin lag da, ohne sich zu rühren, und schien seine Bewegung weder zu hören noch zu sehen; aber seine Augen leuchteten hell durch die Dunkelheit und waren weit geöffnet und starr. Der Fürst setzte sich auf einen Stuhl und begann ihn angstvoll anzusehen. So verging etwa eine halbe Stunde; auf einmal fing Rogoschin an, laut und stoßweise zu schreien und zu lachen, wie wenn er vergessen hätte, daß sie nur flüsternd reden durften: »Den Offizier, den Offizier ... erinnerst du dich, wie sie den Offizier beim Konzert mit dem Spazierstöckchen ins Gesicht schlug, erinnerst du dich? Hahaha! Und wie der Leutnant hinzusprang ... Der Leutnant ... der Leutnant ...«
Der Fürst sprang in neuem Schrecken vom Stuhl auf. Als Rogoschin verstummt war (und das geschah plötzlich), beugte sich der Fürst leise zu ihm herab, setzte sich neben ihn und begann mit stark klopfendem Herzen und nur mühsam atmend ihn zu betrachten. Rogoschin drehte den Kopf nicht zu ihm hin und schien seine Anwesenheit ganz vergessen zu haben. Der Fürst sah ihn an und wartete; die Zeit verging; es begann hell zu werden. Rogoschin fing mitunter plötzlich an zu murmeln, laut, scharf und unzusammenhängend; er schrie und lachte; der Fürst streckte dann seine zitternde Hand nach ihm aus und berührte leise seinen Kopf und sein Haar, streichelte dieses und streichelte seine Wangen ... mehr vermochte er nicht zu tun! Er selbst begann wieder zu zittern, und seine Beine waren auf einmal wieder wie gelähmt. Eine ganz neue Empfindung quälte sein Herz mit grenzenlosem Kummer. Unterdessen war es ganz hell geworden; er legte sich endlich ganz kraftlos und verzweifelt auf das Kissen und schmiegte sein Gesicht an das blasse, regungslose Gesicht Rogoschins. Tränen strömten aus seinen Augen auf Rogoschins Wangen; aber vielleicht fühlte er damals schon seine eigenen Tränen nicht mehr und wußte nichts mehr von ihnen; wenigstens wies der weitere Verlauf darauf hin.
Als viele Stunden nachher die Tür geöffnet wurde und Leute hereinkamen, fanden sie den Mörder in voller Bewußtlosigkeit und in starkem Fieber. Der Fürst saß, ohne sich zu rühren, neben ihm auf dem Lager und fuhr jedesmal, wenn der Kranke aufschrie oder zu phantasieren begann, ihm mit seiner zitternden Hand eilig über das Haar und die Wangen, wie wenn er ihn liebkosen und beruhigen wollte. Aber er verstand nicht mehr, wonach man ihn fragte, und erkannte nicht mehr die Leute, die hereingekommen waren und ihn umringten. Und wenn Schneider selbst jetzt aus der Schweiz gekommen wäre, um sich seinen ehemaligen Schüler und Patienten anzusehen, so würde er in Erinnerung an den Zustand, in dem sich der Fürst manchmal im ersten Jahr seiner Kur in der Schweiz befunden hatte, jetzt eine verzweifelte Handbewegung gemacht und wie damals gesagt haben: »Ein Idiot!«
XII
Schluß
Als die Lehrerwitwe eilig in einem Wagen nach Pawlowsk gefahren war, hatte sie sich direkt zu der durch die Ereignisse des vorhergehenden Tages sehr ergriffenen Darja Alexejewna begeben, ihr alles erzählt, was sie wußte, und dadurch deren Angst noch erhöht. Die beiden Damen hatten dann beschlossen, mit dem ebenfalls sehr aufgeregten Lebedjew in Verbindung zu treten, weil dieser mit seinem Mieter befreundet und der Hauswirt sei. Wjera Lebedjewa hatte alles mitgeteilt, was sie wußte. Auf Lebedjews Rat hatten sie sich dann dafür entschieden, alle drei nach Petersburg zu fahren, um aufs schnellste das zu verhüten, »was sehr leicht geschehen könnte«. So war es gekommen, daß bereits am andern Vormittag gegen elf Uhr Rogoschins Wohnung von der Polizei in Gegenwart Lebedjews, der Damen und des Bruders von Rogoschin, Semjon Semjonowitsch Rogoschins, der im Nebengebäude wohnte, geöffnet wurde. Zu diesem Vorgehen hatte besonders auch die Angabe des Hausknechts mitgewirkt, er habe am Abend des vorhergehenden Tages Parfen Semjonowitsch mit einem Gast von der Haupttür ganz leise hereinkommen sehen. In folge dieser Angabe trug man keine Bedenken, die Tür, die auf Klingeln nicht geöffnet wurde, zu erbrechen. Rogoschin lag zwei Monate an Gehirnentzündung krank, und als er genesen war, folgte die Untersuchung und die Gerichtsverhandlung. Er gab über alles unumwundene, genaue und völlig befriedigende Auskunft, so daß von einer Hinzuziehung des Fürsten zu dem Gerichtsverfahren von vornherein abgesehen werden konnte. Rogoschin zeigte sich bei seinem Prozeß schweigsam. Er widersprach seinem geschickten, beredten Verteidiger nicht, der klar und logisch bewies, daß das begangene Verbrechen eine Folge der Gehirnentzündung sei, die infolge der von dem Angeklagten erlittenen Unbilden schon lange vorher begonnen habe sich herauszubilden. Aber er fügte aus sich nichts zur Bekräftigung dieser Ansicht hinzu und bestätigte und erwähnte wie bisher klar und deutlich alle, auch die kleinsten Umstände des stattgefundenen Ereignisses. Er wurde unter Zubilligung mildernder Umstände zu fünfzehnjähriger Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt und hörte sein Urteil finster, schweigend und »nachdenklich« an. Sein ganzes gewaltiges Vermögen, außer dem verhältnismäßig sehr geringen Teil, den er zu Anfang durch Schlemmerei vergeudet hatte, ging auf seinen Bruder Semjon Semjonowitsch zu dessen großer Befriedigung über. Die alte Frau Rogoschina lebt noch und scheint sich manchmal an ihren Lieblingssohn Parfen zu erinnern, aber nicht deutlich: Gott hat ihren Geist und ihr Herz vor der Erkenntnis des schrecklichen Verhängnisses bewahrt, von dem ihr unglückliches Haus heimgesucht worden ist. Lebedjew, Keller, Ganja, Ptizyn und viele andere Personen unserer Erzählung leben wie früher und haben sich wenig verändert, so daß wir fast nichts über sie mitzuteilen haben. Ippolit starb in schrecklicher Aufregung und etwas früher, als er erwartet hatte, etwa zwei Wochen nach Nastasja Filippownas Tod. Kolja war von allem Geschehenen tief erschüttert; er schloß sich seitdem eng an seine Mutter an. Nina Alexandrowna ist nicht frei von Sorge um ihn, da er über seine Jahre hinaus nachdenklich ist; er wird vielleicht einmal ein tüchtiger Geschäftsmann werden. Unter anderm ist großenteils durch seine Bemühungen auch das weitere Schicksal des Fürsten geordnet worden: schon lange hatte er unter allen Personen, mit denen er in der letzten Zeit bekannt geworden war, Jewgeni Pawlowitsch Radomski besonders schätzen gelernt; er ging aus eigener Initiative zu ihm, teilte ihm alle ihm bekannten Einzelheiten des stattgefundenen Ereignisses mit und sprach mit ihm über die derzeitige Lage des Fürsten. Er hatte sich nicht geirrt: Jewgeni Pawlowitsch nahm selbst warmen Anteil an dem Schicksal des unglücklichen »Idioten«, und durch seine Bemühungen und seine Fürsorge gelangte der Fürst wieder ins Ausland, nach der Schweiz, in das Schneidersche Institut. Jewgeni Pawlowitsch selbst ist ins Ausland gereist, beabsichtigt in Westeuropa sehr lange zu bleiben und nennt sich selbst mit völliger Aufrichtigkeit einen in Rußland ganz überflüssigen Menschen; ziemlich oft, mindestens alle paar Monate einmal, besucht er seinen kranken Freund bei Schneider; aber Schneider macht ein immer finstereres Gesicht und schüttelt den Kopf; er deutet an, daß die geistigen Organe völlig zerrüttet seien; er spricht noch nicht positiv von Unheilbarkeit, bedient sich aber sehr trauriger Wendungen. Jewgeni Pawlowitsch nimmt sich das sehr zu Herzen, und er hat ein Herz, was er schon dadurch bewiesen hat, daß er von Kolja Briefe empfängt und sogar manchmal auf diese Briefe antwortet. Aber außerdem ist uns auch noch ein merkwürdiger Charakterzug an ihm bekannt geworden, und da dies ein guter Charakterzug ist, so wollen wir uns beeilen, ihn mitzuteilen: nach jedem Besuch des Schneiderschen Instituts schickt Jewgeni Pawlowitsch außer an Kolja auch noch an eine andere Person in Petersburg einen Brief mit einer sehr eingehenden, teilnahmsvollen Darstellung des Krankheitszustandes des Fürsten im vorliegenden Augenblick. Außer den respektvollsten Versicherungen von Ergebenheit beginnen in diesen Briefen manchmal (und zwar mit zunehmender Häufigkeit) offenherzige Darlegungen von Ansichten, Anschauungen und Empfindungen eine Stelle zu finden, kurz es entwickelt sich da etwas, was mit freundschaftlichen, herzlichen Gefühlen Ähnlichkeit hat. Diese Person, die in einem wenn auch nur ziemlich seltenen Briefwechsel mit Jewgeni Pawlowitsch steht und in so hohem Grad seine Aufmerksamkeit und Hochachtung genießt, ist Wjera Lebedjewa. Wir haben nicht mit Sicherheit in Erfahrung zu bringen vermocht, auf welche Weise solche Beziehungen haben entstehen können; aber gewiß verdanken sie ihren Ursprung eben diesem Begebnis mit dem Fürsten, als Wjera Lebedjewa von dem Kummer darüber dermaßen erschüttert war, daß sie sogar krank wurde; aber wie im einzelnen sich die Bekanntschaft und Freundschaft bildete, das ist uns unbekannt. Erwähnt haben wir diese Briefe besonders im Hinblick darauf, daß in manchen von ihnen Nachrichten über