Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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erröten zu müssen!

      In diesem Augenblick ging ihm der Gedanke durch den Kopf: ist denn schließlich der in Aussicht stehende Preis all diese Mühe und all diese Schmerzen wert?

      Jetzt vollzog sich dasjenige, was ihm während dieser zwei Monate nur nachts in beängstigenden Träumen vor das geistige Auge getreten war und ihn mit eisigem Schreck, mit glühender Scham erfüllt hatte: es fand endlich im Familienkreis ein Zusammentreffen zwischen seinem Vater und Nastasja Filippowna statt. Er hatte manchmal in spöttischer Selbstverhöhnung versucht, es sich auszumalen, was für eine Figur der General bei der Trauung machen werde, hatte aber nie vermocht, sich das qualvolle Bild vollständig zu vergegenwärtigen, sondern es immer rasch wieder beiseite geschoben. Vielleicht machte er sich von dem ihm erwachsenden Schaden maßlos übertriebene Vorstellungen; aber so geht es eitlen Menschen stets. In diesen zwei Monaten hatte er sich die Sache überlegt, seinen Entschluß gefaßt und sich fest vorgenommen, seinen Vater um jeden Preis irgendwie aus dem Weg zu schaffen, wenn auch nur auf einige Zeit, und ihn womöglich sogar aus Petersburg verschwinden zu lassen, mochte nun die Mutter damit einverstanden sein oder nicht. Als vor zehn Minuten Nastasja Filippowna eingetreten war, hatte ihn das dermaßen überrascht und betäubt, daß er an die Möglichkeit des Erscheinens seines Vaters auf der Bildfläche mir keinem Ge danken gedacht und keinerlei Anordnungen in dieser Hinsicht getroffen hatte. Und nun stand der General auf einmal da, vor aller Augen, und noch dazu in feierlicher Toilette, im Frack, und gerade zu einer Zeit, wo Nastasja Filippowna nur eine Gelegenheit suchte, um ihn und seine Angehörigen mit ihrem Spott zu überschütten. Denn daß dies ihre Absicht war, davon war er überzeugt. Und in der Tat, welche andere Bedeutung hätte ihr jetziger Besuch haben können? War sie gekommen, um mit seiner Mutter und mit seiner Schwester Freundschaft zu schließen, oder um sie in seinem eigenen Hause zu beleidigen? Aber nach der Haltung, welche beide Parteien eingenommen hatten, war kein Zweifel mehr möglich: seine Mutter und seine Schwester saßen abseits wie entehrt, und Nastasja Filippowna schien ganz vergessen zu haben, daß beide sich mit ihr in demselben Zimmer befanden ... Und wenn sie sich so benahm, so hatte sie sicherlich dabei ihre Absicht!

      Ferdyschtschenko faßte den General bei der Hand und führte ihn näher heran.

      »Ardalion Alexandrowitsch Iwolgin«, sagte der General würdevoll und verbeugte sich lächelnd, »ein alter unglücklicher Soldat, der Vater dieser Familie, die sich glücklich fühlt in der Hoffnung, ein so reizendes neues Mitglied in ihren Schoß ...«

      Er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen; Ferdyschtschenko schob ihm schnell von hinten einen Stuhl hin, und der General, der um diese Nachmittagsstunde etwas unsicher auf den Beinen war, setzte sich oder fiel vielmehr mit dumpfem Geräusch auf den Stuhl nieder, was ihn übrigens nicht weiter verlegen machte. Er saß Nastasja Filippowna gerade gegenüber und führte mit einer anmutigen Gebärde ihre feinen Finger langsam und effektvoll an seine Lippen. Überhaupt war es recht schwer, den General in Verlegenheit zu setzen. Sein Äußeres war, von einer gewissen Nachlässigkeit abgesehen, immer noch ziemlich anständig, was er selbst recht wohl wußte. Er hatte früher Gelegenheit gehabt, in sehr guter Gesellschaft zu verkehren, aus der er erst vor zwei, drei Jahren endgültig ausgeschlossen worden war. Seitdem hatte er sich allerdings widerstandslos seinen Schwächen hingegeben; aber seine gewandten, angenehmen Manieren hatte er sich immer noch bewahrt. Nastasja Filippowna schien über das Erscheinen Ardalion Alexandrowitschs, über den sie natürlich schon manches gehört hatte, außerordentlich erfreut zu sein.

      »Ich habe gehört, daß mein Sohn ...«, begann der General.

      »Ja, Ihr Sohn! Aber Sie sind mir auch nett, Papachen! Warum lassen Sie sich nie bei mir sehen? Verstecken Sie sich selbst, oder versteckt Sie Ihr Sohn? Sie wenigstens können doch zu mir kommen, ohne jemanden zu kompromittieren.«

      »Die Kinder des neunzehnten Jahrhunderts und ihre Väter ...«, fing der General wieder an.

      »Nastasja Filippowna«, sagte Nina Alexandrowna laut, »lassen Sie doch, bitte, meinen Mann für einen Augenblick fortgehen; es fragt jemand nach ihm.«

      »Fortgehen lassen? Aber ich bitte Sie, ich habe so viel von ihm gehört und schon so lange gewünscht, ihn persönlich kennenzulernen! Und was kann er denn zu tun haben? Er befindet sich ja doch im Ruhestand? Sie werden mich doch nicht verlassen, General, werden doch nicht fortgehen?«

      »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß er Ihnen bald einen Besuch machen wird; aber jetzt bedarf er dringend der Ruhe.«

      »Ardalion Alexandrowitsch, es wird behauptet, Sie bedürften dringend der Ruhe!« rief Nastasja Filippowna mit unzufriedener, schmollender Miene, wie ein launisches kleines Mädchen, dem man sein Spielzeug wegnimmt.

      Der General benutzte die Gelegenheit, sich noch weiter närrisch zu gebärden.

      »Liebe Frau, liebe Frau«, sagte er vorwurfsvoll, indem er sich würdevoll zu ihr hinwandte und die Hand aufs Herz legte.

      »Wollen Sie nicht hinausgehen, Mama?« fragte Warja laut.

      »Nein, Warja, ich will bis zu Ende hierbleiben.«

      Nastasja Filippowna mußte die Frage und die Antwort gehört haben; aber ihre Heiterkeit schien dadurch nur noch vergrößert zu werden. Sie überschüttete den General sofort wieder mit Fragen, und fünf Minuten darauf befand sich dieser in höchst gehobener Stimmung und erging sich unter dem lauten Gelächter der Anwesenden in längeren Tiraden.

      Kolja zupfte den Fürsten am Rockschoß.

      »Führen Sie ihn doch weg! Das darf nicht so weitergehen! Tun Sie uns doch den Gefallen!« Dem armen Jungen funkelten Tränen der Entrüstung in den Augen. »Oh, der nichtswürdige Ganja!« fügte er für sich hinzu.

      »Mit Iwan Fjodorowitsch Jepantschin war ich tatsächlich eng befreundet«, erwiderte der General redselig auf Nastasja Filippownas Fragen. »Ich, er und der verstorbene Fürst Nikolai Lwowitsch Myschkin, dessen Sohn ich heute nach einer zwanzigjährigen Trennung wieder umarmt habe, wir waren drei unzertrennliche Kameraden, sozusagen eine Kavalkade wie Atos, Portos und Aramis. Aber leider liegt der eine von uns im Grab, von Verleumdungen und von einer Kugel zu Tode getroffen, und der zweite, der hier vor Ihnen sitzt, hat noch immer mit Verleumdungen und Kugeln zu kämpfen ...«

      »Mit Kugeln?« rief Nastasja Filippowna aus.

      »Sie sitzen hier, in meiner Brust; ich habe sie vor Kars erhalten, und bei schlechter Witterung spüre ich sie. In allen anderen Beziehungen lebe ich wie ein Philosoph, gehe spazieren, spiele in meinem Café Dame wie ein Bourgeois, der sich von den Geschäften zurückgezogen hat, und lese die ›Indépendance‹. Aber mit unserem Portos, dem General Jepantschin, bin ich infolge einer Geschichte, die sich vor zwei Jahren mit einem Bologneserhündchen zutrug, völlig auseinandergekommen.«

      »Mit einem Bologneserhündchen! Wie hängt denn das zusammen?« fragte Nastasja Filippowna äußerst neugierig. »Mit einem Bologneserhündchen? Erlauben Sie, und auf der Eisenbahn ...!« Sie schien etwas in ihrem Gedächtnis zu suchen.

      »Oh, es ist eine dumme Geschichte, die nicht verdient, daß man sie noch einmal erzählt. Es handelt sich dabei um eine Mrs. Smith, eine Gouvernante der Fürstin Bjelokonskaja; aber ... es lohnt nicht der Mühe, es zu erzählen.«

      »Aber unbedingt müssen Sie es erzählen!« rief Nastasja Filippowna lustig.

      »Auch ich habe diese Geschichte noch nicht gehört«, bemerkte Ferdyschtschenko. »C'est du nouveau.«

      »Ardalion Alexandrowitsch!« rief Nina Alexandrowna wieder in flehendem Ton.

      »Papa, es fragt jemand nach Ihnen«, sagte Kolja.

      »Es ist eine dumme Geschichte, und sie läßt sich in wenigen Worten erzählen«, begann der General sehr selbstzufrieden. »Vor zwei Jahren, ja, vor noch nicht ganz zwei Jahren, die Eröffnung der neuen ... skischen Eisenbahn hatte soeben stattgefunden, mußte ich in einer für mich sehr wichtigen Angelegenheit (es handelte sich um den Austritt aus meiner dienstlichen Stellung) eine Reise machen; ich war schon in Zivil und nahm mir ein Billett erster Klasse. Ich stieg ein, setzte mich hin und rauchte. Das heißt, ich