angetroffen hätten und daß dem Fürsten eine so entzückende Bekanntschaft entgangen sei.
»Wissen Sie, mein Lieber, es liegt eine gewisse gefühlvolle Schwärmerei in meinem Wesen; haben Sie das wohl schon bemerkt? Übrigens ... übrigens scheint mir, daß wir an eine falsche Stelle gekommen sind«, schloß er auf einmal ganz unerwartet. »Jetzt erinnere ich mich: Sokolowitschs wohnen in einem andern Haus und, wenn mir recht ist, jetzt sogar in Moskau. Ja, ich habe mich ein bißchen geirrt; aber ... das tut nichts.«
»Ich möchte nur eines wissen«, bemerkte der Fürst niedergeschlagen, »ist es nicht das beste, wenn ich auf Ihre Beihilfe ganz verzichte und lieber allein hingehe?«
»Verzichten? Allein hingehen? Aber wieso denn, da das doch für mich ein äußerst wichtiger Schritt ist, von dem so viel in dem Schicksal meiner ganzen Familie abhängt? Aber da kennen Sie Iwolgin schlecht, mein junger Freund! Wer ›Iwolgin‹ sagt, der sagt ›Mauer‹. ›Auf Iwolgin kann man sich wie auf eine Mauer verlassen‹, so hieß es schon in der Schwadron, in der ich meine dienstliche Laufbahn begann. Ich muß nur noch unterwegs zu einem Haus gehen, in dem meine Seele schon seit mehreren Jahren ihre Erholung findet von all der Unruhe und den schweren Prüfungen, die ...«
»Sie wollen erst noch nach Hause gehen?«
»Nein, ich will ... zu der Frau Hauptmann Terentjewa, der Witwe des Hauptmanns Terentjew, meines früheren Untergebenen, ja Freundes ... Hier, bei der Frau Hauptmann, lebe ich seelisch wieder auf; hierher trage ich all das Leid, das das Leben und meine Familie mir bereiten ... Und da gerade heute ein schwerer Druck auf meiner Seele lastet, so möchte ich ...«
»Ich glaube«, murmelte der Fürst, »ich habe so schon eine große Torheit begangen, als ich Sie vorhin mit meiner Bitte belästigte. Und außerdem wollen Sie ja jetzt ... Adieu!«
»Aber ich darf Sie jetzt nicht weggehen lassen, mein junger Freund; das darf ich nicht!« rief der General. »Sie ist eine Witwe, eine Familienmutter und vermag in ihrem Herzen Saiten erklingen zu lassen, die in meinem ganzen Wesen ihren Widerhall finden. Der Besuch bei ihr wird nur fünf Minuten dauern; in diesem Haus verkehre ich ganz ungeniert; ich wohne da fast. Ich will mich da waschen und die nötigste Toilette machen, und dann fahren wir in einer Droschke nach dem Großen Theater. Seien Sie überzeugt, daß ich Ihrer den ganzen Abend über bedarf ... Hier in diesem Haus ist es; wir sind schon da ... Ah, Kolja, du bist schon hier? Nun, ist Marfa Borisowna zu Hause, oder bist du selbst eben erst gekommen?«
»O nein«, antwortete Kolja, der unerwartet mit ihnen in der Haustür zusammengestoßen war, »ich bin schon eine ganze Weile hier bei Ippolit; es geht ihm schlechter; er hat sich heute vormittag hinlegen müssen. Ich habe jetzt eben ein Spiel Karten vom Kaufmann geholt. Marfa Borisowna erwartet Sie. Aber, Papa, in welchem Zustand sind Sie!« schloß Kolja, indem er den Gang und die Haltung des Generals scharf musterte. »Nun, dann wollen wir hinaufgehen!«
Die Begegnung mit Kolja bewog den Fürsten, den General auch noch zu Marfa Borisowna zu begleiten, aber nur auf eine Minute. Der Fürst brauchte Kolja; von dem General wollte er sich unter allen Umständen losmachen, und er konnte es sich nicht verzeihen, daß er vorhin den Einfall gehabt hatte, auf diesen Menschen irgendwelche Hoffnungen zu setzen. Auf der Hintertreppe stiegen sie zum vierten Stock hinauf, was ziemlich lange dauerte.
»Wollen Sie den Fürsten dort einführen?« fragte Kolja unterwegs.
»Ja, mein Sohn, das will ich: General Iwolgin und Fürst Myschkin. Aber wie ist Marfa Borisownas Befinden ... und Stimmung ...?«
»Wissen Sie, Papa, es wäre am besten, wenn Sie nicht zu ihr gingen! Sie ist wütend auf Sie! Sie haben sich seit drei Tagen nicht blicken lassen, und sie wartet auf Geld. Warum haben Sie ihr Geld versprochen? So machen Sie es immer! Nun müssen Sie sehen, wie Sie mit ihr fertig werden.«
Im vierten Stock blieben sie vor einer niedrigen Tür stehen. Der General war augenscheinlich ängstlich geworden und schob den Fürsten vor.
»Ich werde hier stehenbleiben«, murmelte er. »Ich möchte sie überraschen ...«
Kolja ging zuerst hinein. Eine stark geschminkte, etwa vierzigjährige Dame, in Pantoffeln und Hausjacke, die Haare in kleine Zöpfe geflochten, sah aus der Tür, und die vom General geplante Überraschung fiel sofort ins Wasser. Kaum hatte ihn die Dame erblickt, als sie schrie:
»Da ist er ja, der gemeine, schändliche Mensch! Das hatte ich doch geahnt!«
»Kommen Sie nur mit herein; sie scherzt nur!« flüsterte der General, immer noch harmlos lächelnd, dem Fürsten zu.
Aber es war kein Scherz gewesen. Kaum waren sie durch ein dunkles, niedriges Vorzimmer in den engen, mit sechs Rohrstühlen und zwei Spieltischen möblierten Salon getreten, als die Dame sofort mit gekünstelter, weinerlich klingender, ordinärer Stimme fortfuhr:
»Schämst du dich denn gar nicht, du Barbar, du Tyrann meiner Familie, du Barbar und Unmensch? Ganz ausgeplündert hat er mich; alles hat er mir abgepreßt, und damit ist er noch nicht zufrieden! Wie lange soll ich das noch von dir ertragen, du schamloser, ehrloser Mensch?«
»Marfa Borisowna, Marfa Borisowna! Das ist hier Fürst Myschkin. General Iwolgin und Fürst Myschkin«, murmelte der General zitternd und fassungslos.
»Können Sie es glauben«, wandte sich die Frau Hauptmann plötzlich an den Fürsten, »können Sie es glauben, daß dieser schamlose Mensch nicht einmal mit meinen vaterlosen Kindern Mitleid gehabt hat? Alles hat er uns geraubt, alles weggeschleppt, alles verkauft und versetzt; nichts hat er uns gelassen! Was soll ich mit deinen Schuldscheinen anfangen, du listiger, gewissenloser Mensch? Antworte, du Betrüger, antworte mir, du unersättlicher Räuber: womit soll ich meine vaterlosen Kinder satt machen? Da kommt er nun betrunken her und kann nicht auf den Beinen stehen ...! Womit habe ich Gott den Herrn erzürnt, du schändlicher, abscheulicher Gauner? Antworte!«
Aber der General war nicht dazu aufgelegt, diese Frage zu beantworten.
»Marfa Borisowna, da sind fünfundzwanzig Rubel ... das ist alles, was ich durch die Beihilfe meines edelmütigen Freundes geben kann. Fürst! Ich habe mich schrecklich geirrt! Ja, so ist ... das Leben ... Aber jetzt ... verzeihen Sie, ich fühle mich schwach«, fuhr der General, mitten im Zimmer stehend und sich nach allen Seiten verbeugend, fort. »Ich fühle mich schwach, verzeihen Sie! Lenotschka! Ein Kissen ... liebes Kind!«
Lenotschka, ein Mädchen von acht Jahren, lief sofort ein Kissen holen und legte es auf das mit Wachstuch überzogene, harte, abgenutzte Sofa. Der General setzte sich darauf, mit der Absicht, noch vieles zu sagen; aber kaum hatte er das Sofa berührt, als er sich sofort zur Seite neigte, sich nach der Wand zu wandte und in den Schlaf des Gerechten versank. Marfa Borisowna bot dem Fürsten zeremoniös und mit kummervoller Miene einen Stuhl an einem der Spieltische an, setzte sich selbst ihm gegenüber, stützte die rechte Wange in die Hand, sah den Fürsten schweigend an und seufzte dabei. Drei kleine Kinder, zwei Mädchen und ein Knabe, von denen Lenotschka das älteste war, traten ebenfalls an den Tisch heran, legten alle drei die Arme darauf und betrachteten den Fürsten unverwandt. Aus dem anstoßenden Zimmer kam Kolja herein.
»Ich freue mich sehr, daß ich Sie hier getroffen habe, Kolja«, wandte sich der Fürst an ihn. »Können Sie mir nicht helfen? Ich muß unter allen Umständen zu Nastasja Filippowna. Ich habe vorhin Ardalion Alexandrowitsch darum gebeten, mich hinzubringen; aber der ist ja nun eingeschlafen. Führen Sie mich hin; denn ich weiß hier mit den Straßen nicht Bescheid. Die Adresse habe ich übrigens: beim Großen Theater, im Haus der Frau Mytowzowa.«
»Nastasja Filippowna? Die hat überhaupt nie beim Großen Theater gewohnt, und der Vater ist nie bei ihr gewesen, wenn Sie das wissen wollen; ich wundere mich, daß Sie von ihm eine Unterstützung erwartet haben. Sie wohnt nicht weit von der Wladimirskaja-Straße, bei den Fünf Ecken; das ist von hier viel näher. Wollen Sie jetzt gleich hin? Es ist jetzt halb zehn. Wenn es Ihnen recht ist, will ich Sie hinführen.«
Der Fürst und Kolja gingen sogleich weg. Aber leider hatte der Fürst kein Geld, um eine Droschke zu nehmen, und so mußten sie den Weg zu Fuß machen.
»Ich