Juryk Barelhaven

Fürstin des Nordens - Trilogy


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aber… der Hohe Herr … war eigen. Die Kammern sind voll, aber es wurde nicht gehandelt. Keine Löhne gezahlt. Ich wünschte, er wäre hier. Nach dem schrecklichen Mordfall und dieser einen Sache“, stieß er mühsam hervor. Plötzlich hielt er inne. „Das ist alles so schrecklich. Das arme Mädchen.“

      „Ich versteh kein Wort.“

      Die Gestalt und die Dunkelheit wichen zurück. „Bitte, grollt mir nicht, Herrin. Ich bin nur der Haushalter. Als alle gingen, bliebe ich hier. Was sollte ich sonst tun? Ich bin Haushalter seit vielen Jahren und habe viele Kommen und Gehen sehen. Doch niemand war wie Baron Lyren.“ Er wackelte zu einem Gemälde und deutete mit dem Stock auf eine bedrohlich wirkende Person, die mit straffen Muskeln und freiem Oberkörper mit einem Bären kämpfte. Schwarzes Haar bedeckte sein rundes Gesicht, das hart und teilnahmslos zusah wie der Bär unter ihm sein Leben aushauchte. Diese Art der Selbstdarstellung war unter Werwölfen üblich. Sie sollte ihre Dominanz bezeugen. „Das ist Mattes Lyren, Baron von Blaqrhiken, der 745 ein ganzes Heer aus dem Süden mit seinen Pranken vertrieb. Der Schwarze Wind, wurde er genannt! Beachtet das Blut an seinen Stiefeln. Er watete vierzehn Wochen durch das Blut seiner Feinde und schützte die Grenzen. Er ist ein Held. Gewiss kennt Eure Ladyschaft die Geschichte. Kämpfte er doch mit Miquel Alemont Seite an Seite gegen die Neue Republik. Dieser verflixte Süden! Ich spucke auf sie. Sie sollen verfaulen.“ Langsam hielt er inne, als wäre ihm ein neuer Gedanke gekommen. „Woher kommt Ihr, sagtet ihr?“

      „Süden“, zischte Francesco.

      Inzwischen hatten sich Claudiles Augen an das flackernde Licht gewöhnt. Bücher füllten den Raum. Sie standen nicht in Regalen aufgereiht, sondern bildeten hohe Stapel. Neben dem Kamin stand ein alter Sessel. Sie kam langsam näher und nahm den Geruch wahr: ein herber Geruch von Erde und Moschus, Kiefernharz und einer Spur Traurigkeit. Sie schnupperte erneut. Nun, das war bedenklich.

      „Hatte er Kummer“, fragte sie leise. Sie nahm ein zerfleddertes Buch hoch. Jemand hatte es in der Mitte durchgerissen. Das wäre nicht nötig gewesen, dachte Claudile. Und dann dachte sie, dass es auch nicht nötig gewesen wäre, die Burg verkommen zu lassen. Die Menschen schlecht zu behandeln. Menschen heilten zwar, im Gegensatz zu Büchern, aber sie vergaßen nicht.

      „Das… ähm, es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, Herrin“, antwortete Fritz pflichtbewusst und wackelte zu einem weiteren Tablett, von dem er ein Tuch zog. „Probiert diesen besonders schönen Roten, aus unserem eigenen Anbau. Wir pflegen am Südhang eine besondere Rebe, die Wintertraube. Natürlich gehört das alles euch. Ich hole schnell einen Korkenzieher.“

      „Ist es üblich, dass ein Baron auch das Amt des Stadtvogts einnimmt“, wollte Claudile wissen.

      „Es musste sein, schließlich sah sich der Stadtvogt außerstande sein Amt weiter zu bekleiden.“

      „Warum?“

      „Weil unser Herr ihn tötete.“

      Aller Anfang…

      1

      Die Sonne ging unter. Von hohem Südturm hatte man einen herrlichen Blick auf das Grün der Kieferwälder, die nur von den felsigen Schiefergebirgen im Norden und dem grauen Matsch unterhalb der Burg unterbrochen wurde. Das Sägewerk weit hinten am Fluss arbeitete scheinbar ohne Pause. Einzelne Lichter und das Geräusch von Menschen und harter Arbeit drangen bis zu ihr. Claudile Alemont saß betrübt auf einer Zinne und dachte nach.

      Sie witterte zwei Rehe, wie sie vorsichtig durchs Unterholz liefen und den einzelnen Wolf, der knapp vierhundert Schritte ihre Fährte aufgenommen hatte. Fern der Stadttore unterhielten sich schnatternde Gänse in einem künstlich angelegten Teich, während Kühe und Schafe auf einer Weide zur Ruhe kamen. Eine Hasenfamilie huschte durch dichtes Blattwerk am Rande der Mauer. Das und noch viel mehr nahm Claudile war. Sie konnte nicht anders.

      Francesco machte sich keine Mühe leise die Treppe nach oben zu gehen. Mit Pfeife und einem Tablett mit einem Glas Wein kam er oben an und blickte sie kritisch an. „Eure Ladyschaft“, begann er langsam, „ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dass die Etikette am Hof geachtet werden muss. Ihr trag noch immer meine Uniform.“

      „Ich weiß, dass du es gesagt hast“, maulte sie leise.

      „Warum macht Ihr es mir so schwer?“

      „Männerhosen tragen sich gut. Wen, bitte schön, soll ich hier beeindrucken!?“

      Francesco stutzte kurz und reichte ihr den Becher. „Guter Punkt“, gab er zu und stöhnte behaglich, als er auf den Schindeln sich zurücklehnte. „Wie denkt Ihr darüber?“

      „Dieser Ort ist grauenhaft. Über allem liegt Angst wie ein nasses Segeltuch. Sie fürchten sich. Der Ort macht mich krank.“

      Francesco nickte ernst. Er kam aus der Gosse, zugegeben. Beim Militär hatte man ihm Selbstdisziplin, das Marschieren und den Umgang mit Waffen beigebracht. Seit seinem erzwungenen Dienst als Privatlehrer hatte er sich daran gewöhnt jeden Tag zu Baden. Daheim am Hofe des Werwolfskönigs hatte selbst er Diener gehabt, die ihm jeden Tag die Kleider zurechtgelegt hatten. Man kochte für ihn, man putzte ihm die Stiefel und Geld spielte keine Rolle. Aus offensichtlichen Gründen. Zu seinem Glück interessierten sich die Werwölfe seit langem für höfische Etikette. Das hatte ihm einen gehobenen Lebensstil eingebracht. Jetzt stand er wie Claudile sprichwörtlich im Matsch und musste für sich selbst sorgen. Denn Diener gab es hier nicht. Noch nicht, berichtigte er sich.

      „Die Koffer sind ausgepackt und der Kutscher hat die Rückreise angetreten.“ Er beugte sich etwas vor. „Der Baron hat die Leute terrorisiert. Über Jahre fürchteten sie seine Willkür. Er nahm sich alles, was er brauchte…“

      „Genug.“

      Francesco gehorchte.

      Nach einer Weile sah sie ihn traurig an. Ihre gelben Augen stachen beeindruckend durch die aufkommende Düsternis des Abends. „Ich will das nicht. Ich will heim, Francesco.“

      „Wenn Ihr geht, bekommen wir beide Ärger, vergesst das nicht. Die Königin hat uns aufgetragen, dieses Land zu halten. Es ist, wie es ist.“

      „Mir gefällt das nicht“, entgegnete sie knapp und beobachtete die Rehe, wie sie vor dem Wolf Reißaus nahmen. Sie hatten seine Witterung aufgenommen. Anfänger, dachte sie säuerlich. „Heute auf dem Platz roch ich ihre Angst. Sie werden in ihren Häusern bleiben und sich verschanzen. Wie sollen sie mich lieben?“

      Und da haben wir das Problem, dachte Francesco säuerlich.

      Kein Mensch kam auf die Idee, sich offen gegen die dominante Spezies zu stellen. Tat man es doch, waren die letzten Sekunden gezählt. Sie mussten keine Rücksicht nehmen. Selbst, wenn alle Burgen verfallen und alle Dörfer menschenleer waren, so konnten die Werwölfe weiter durch die Wälder streifen. Es änderte sich kaum etwas für sie. Und dann war da Claudile…

      Claudile nahm die Leiden und Sorgen der Menschen persönlich. Sie wollte alles besser machen, für jeden. Aber wenn man ein Werwolf war, durfte man sich nicht mit dem Menschen auf eine Stufe stellen.

      Jeder hing seinen Gedanken nach.

      „Haben wir Gold?“ fragte sie nach einer Weile.

      „Die Kammern sind voll, möchte ich meinen. Wir haben genau vierzehntausend und sechshundertdreiundreissig Norfesta-Münzen. Sowie eine ansehnliche Sammlung an Perlenketten, erlesenen Büchern und Ölgemälden. Entweder ist der Baron ein Meister in Kalkulation gewesen, oder er hat sich nicht um die Rechnungen gekümmert. Sicherlich müssten einige Schulden beglichen werden. Sein Arbeitszimmer ist ohne System, aber da arbeite ich mich schon rein.“

      „Wir werden die Leute bitten, wieder zurückzukommen.“

      „Das wird nicht einfach.“

      „Wir sollten ein Fest geben.“ Ihr Gesicht hellte sich etwas auf. „Ich will Musik und Tanz.“

      „Eure Ladyschaft“, begann Francesco langsam aber hielt in einem neuen Gedanken