an delegiert Ihr. Ihr seid nicht wie die. Wie ich“, fügte er leise hinzu. „Menschen haben zu gehorchen!“
„Ich fange morgen an, eine Fürstin zu sein.“ Sie stand auf – nicht wie ein Mensch, sondern fliesend wie ein Werwolf mit der Grazie einer Antilope. Einer Antilope mit Zähnen. „Jetzt will ich jagen.“
Francesco stöhnte leise. „Seid aber pünktlich wieder zuhause. Und lasst Euch nicht von anderen Tieren provozieren.“
Claudile zog den Soldatenrock und die Stiefel aus und stand nun barfuß und nur mit Unterhemd und Hose bekleidet dar. Von weitem konnte man sie fast für einen jungen Mann halten, der seine Haare wild und lang wachsen ließ. Von sehr weit weg.
Sie wandte sich kurz um und nickte ihrem Freund zu. Dann ließ sie sich nach hinten fallen.
Der Mann lächelte knapp, griff zum Becher und blieb noch ein bisschen auf den Schindeln liegen. „Bleibt mehr für mich.“
Wie ein Geschoß flog sie in die Tiefe, passierte das Ende der Mauer und drehte sich im richtigen Moment, um sich kurz vor dem Aufprall abzurollen und sofort wieder wie ohne Blessuren stramm stehen zu können. Wie die meisten Werwölfe hatte sie das Maximum ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit längst erreicht und als Sprinterin und Jägerin sich den Respekt ihres Rudels verdient. Das kurze Donnern ihres Sturzes verklang schnell. Sofort nahm sie den Wald war, seine Geheimnisse, seine zahllosen Fährten. Und ihre Beute.
Vor ihr duckte sich der Wolf hin und knurrte leise, als sie sich ihm näherte. Er schnupperte aufgeregt und versuchte den neuen Geruch einzuordnen.
Wir sind viele, vernahm sie mit ihren Sinnen. Du bist anders – nicht wie er!
Der Jungwolf heulte leise.
Geh weg, signalisierte sie. Das ist mein Revier.
Zwei weitere Augenpaare erschienen im Dunklen. Lefzen wurden gezogen, und sie begannen ihr Spiel, indem sie sie umkreisten. Knurrend bewegten sie sich vorwärts.
Claudile kannte das Genüge. Wölfe waren nicht dumm. Sie spürten Gefahr, aber sie forderten auch gerne heraus. Zähne wurden gebleckt. Wenn sie weglief oder aufgab, war ihre Dominanz dahin. Der Wald hatte ein Gedächtnis.
Wir beißen. Wir reisen. Du wirst dein Rudel nie wieder sehen.
Triumphierend bellten die männliche Wölfe und machten sich zum Sprung bereit.
Claudile lächelte und griff an.
Die Bewohner von Blaqrhiken duckten sich auf ihren Schlaflagern, als sie das Gebell hörten. Wenige schliefen weiter. Die meisten konnten nicht schlafen, horchten in der Dunkelheit und fürchteten die Geräusche, die nichts Gutes brachten. Der Wald bot keinen Schutz für Menschen, sondern war eine grüne Mauer um sie herum – mit einem Monster in ihren Reihen. Kinder wichen näher an ihre Eltern heran, wimmerten leise. Begütigende Laute der Eltern brachten nicht den ersehnten Frieden, da ihre eigenen Stimmen zitterten. Der Wald hatte ein Gedächtnis.
Und er wusste, wo es gefahrlos Fressen gab.
Das Mädchen des Försters lag in ihrem Bett und kauerte hilflos in einem Wulst aus Decke und Kissen. Das Trippeln von Pfoten auf dem Dach hatte sie aufgeschreckt. Es kam vor, dass Wölfe des Nachts kamen und nach Beute Ausschau hielten. Nie die erste Wahl für einen Wolf – wie gesagt, sie waren nicht dumm – aber eine lohnende Sache für den Jäger. Das Mädchen richtete sich auf, lauschte ins Dunkle ihres Zimmers und rüttelte hastig an der Schulter ihres Vaters. Langsam kam er hoch und starrte zu der Stelle des Zimmers.
Und dann bewegte es sich in das hereinfallende Licht des Mondes, so dass man ihn gerade eben erkennen konnte, ein Schatten aus einem Alptraum: Canis Lupus – ein Wolf.
Immer wieder prüfte er den Raum. Mit seinen unnatürlich glatten Wänden und dem menschlichen Gestank, der nach Furcht roch. Die Krallen scharrten über den Boden, und alles in ihm drängte daran, wieder raus in den Wald zu laufen. Auf der anderen Seite saßen zwei Menschen und sahen ihn nahen. Aber sie flohen nicht. Sie gaben selten ein Geräusch von sich, sahen sie nie kommen, sondern standen bloß da. In regelmäßigen Abständen gingen sie schlafen, standen wieder auf und taten, was Menschen tun. Die Menschen merkten nie etwas. Sie lasen keine Spuren, sondern trampelten über sie hinweg. Sie machten Lärm, aber konnten nicht kämpfen. Sie bemerkten sie nie. Sie waren dumpf, verweichlicht und langsam. Im Rudel konnten sie gefährlich werden, mit ihren Spitzen und dem Feuer, um das sie sich gerne scharrten. Aber jetzt nicht. Der Mann war kein Problem – ein schneller Sprung an seine Kehle und dann das Kind. Es würde schnell gehen.
Die Menschen sprachen miteinander.
Er fragte sich, ob ihre Knochen so zerbrechlich waren wie die eines Kaninchens. Er fragte sich, ob sein Blut so warm war wie das des Rehs, dass vor wenigen Tagen das Pech hatte, ihm zu begegnen.
Genug des Wartens.
Plötzlich hielt er inne. Ein unerwartetes, plötzliches Chaos. Krieger, die schreiend starben. Dort flammte es auf, rauschte über die Bäume und hielt auf ihn zu. Kein Mensch. Kein Tier. Nein, es war schlimmer.
Der Wolf blinzelte verwirrt. In seinem Kopf wirbelten Fragmente von Erinnerungen und Instinkten herum, die er nicht einordnen konnte. Der alles durchdringende Schmerz des Verlustes, eines unwiederbringlichen, betäubenden Verlustes strömte durch seinen Körper. Er bedeutete nichts und alles.
Das Fenster gab nach, etwas Schweres und sehr Kraftvolles landete vor ihm auf den Boden und rollte sich perfekt ab. Der Wolf duckte sich weg – nicht wegen der Kraft eines ausgewachsenen Bären oder der Schnelligkeit einer Schlange, sondern wegen dem Geruch. Der Geruch von etwas sehr Altem, das sich behaupten konnte. Etwas wölfischem, aber dazu etwas Kaltem und sehr Scharfem.
Sie.
Die Meister waren nicht willkommen. Sie gehörten nicht zum Wald – nicht zu diesem Revier weit hoch im Norden. Das Licht und die Kraft. Mehr Kraft als Mensch. Mehr Licht als Wolf. Aber sie gehörten nicht hierher…
Mein Revier, bellte er.
Gewesen, sagte die Präsenz.
Er jaulte leise, als er die Meisterin erkannte.
Ihre strukturelle Perfektion wurde nur noch von ihrer Feindseligkeit übertroffen. Sie war eine Überlebende, die sich weder durch Bewusstsein, Gewissen oder moralische Illusionen behindern ließ.
Der Wolf legte sich hin und jaulte seine Zustimmung.
Was blieb ihm anderes übrig?
2
„Der Wald ist unruhig. Die natürlichen Pfade werden nicht mehr gegangen. Es wird Wochen dauern, bis sie wissen, wie es zu laufen hat“, sagte Claudile am nächsten Morgen, als sie allein mit Korporal Axel über die Straße zum Marktplatz ging. Sie trug gemäß der Etikette ein doppelgewebtes Kleid mit Rüschen, die an sich schon übertrieben vornehm wirkten. Zum Glück war das ganze Kleid blutrot, so dass niemand den Prunk auffallen würde. Über ihre Augen trug sie eine dunkelglasige Brille, die ihre Augen vor dem Licht der Sonne schützen würde. Nach einer anstrengenden Nacht beliebten es die Herren, sich zu schonen. Sie wirkte sehr müde; und nicht nur in körperlicher Hinsicht. Sie hatte schweigend zugehört, als der Korporal berichtete, was die Leute in aller Frühe auf dem Marktplatz gefunden hatten. Leichen.
Von Wölfen.
Er blickte sie von der Seite aus an. „Wölfe haben des Öfteren uns heimgesucht.“
„Ja, sie brauchten einen Denkzettel.“
Er schluckte als Antwort.
Sie deutete auf die Blutlachen vor sich. „Lyren hat als Wolf versagt – das ist schlimmer als seine Verbrechen gegen euch. Er darf kein Mitleid erwarten.“ Sie spazierten rüber zu einem Fleischerstand, der zufälligerweise Wolf im Angebot hatte. Es waren nur drei gewesen, erinnerte sich Claudile dumpf, die sich hässlich ihr gegenüber geäußert hatten. Der Rest war über