weil er nicht aus einem reichen Haus stammt und sich nicht wie ein Angeber benimmt. Ein wenig nervös fährt er sich über die blonden kurzen Haare.
„Du siehst fantastisch aus. Hast du früher auch, aber irgendwie doch anders“, versucht er lächelnd zu erklären.
„Na ja, vielleicht gehöre ich ja zu den wenigen Frauen, die mit dem Alter tatsächlich besser aussehen.“ Er erwidert mein Lächeln und nimmt einen Schluck aus dem Bier, das er mitgebracht hat.
„Sagt eine Sechsundzwanzigjährige.“ Er zieht mich auf. Der vertraute Ton lässt mich wachsam werden. Schließlich ist es Jahre her, seit wir derart miteinander geredet hatten. Wenn ich Philip ansehe, muss ich an ihn denken, und das macht mir etwas aus, auch wenn ich es nicht zugeben möchte. Nicht mal vor mir selbst.
„Hör mal, Ella.“ Seine Stimme klingt plötzlich so ernst.
„Vielleicht weißt du es ja schon, aber wenn nicht, sollte ich dich vorwarnen, weil es gut sein kann, dass du noch auf ihn triffst.“
Egal, was mir Philip sagen möchte, ich habe jetzt schon einen Knoten im Magen, und alleine die vage Vorstellung, ich müsste Jan, meinem Exfreund, begegnen, lässt sämtliche Nerven durchbrennen. Philips Gesicht vor mir verschwimmt etwas, als er weiterspricht.
„Jan hatte einen Autounfall, Ella, vor etwa einem Jahr. Es hat ihn ziemlich schlimm erwischt. Auch wenn es noch schlimmer hätte sein können. Er hat sichtbare Narben und sein Bein ist ziemlich hinüber.“
Tunnelblick. Mir wird schwarz vor Augen. Und mir wird übel.
Ich versuche noch immer zu begreifen, was Philip mir gerade gesagt hat. Doch irgendwie ergeben die Worte keinen Sinn. Jan, der gut aussehende und charmante Herzensbrecher. Jan, der gut gebaute Sportliebhaber. Jan, der mich so sehr beschädigt hat, ausgerechnet er soll verkrüppelt sein, von Narben gezeichnet?
Meine Vorstellungskraft schafft es nicht einmal ansatzweise, sich das auszumalen. Philip redet weiter auf mich ein, aber ich höre nur halb zu und verstehe lediglich bruchstückhaft, was er da von sich gibt. Mir dreht sich alles und ich habe das Gefühl hinter einer milchigen, dicken Plastikwand zu sitzen.
„… und erst das Humpeln … der arme Kerl geht kaum noch vor die Tür … kein Wunder … Monate bei seinen Alten daheim …“
Ein Teil von mir möchte Philip anschreien, möchte, dass er endlich still ist. Doch ich sitze weiter nur da, vermutlich mit leerem Gesichtsausdruck und Philip findet einfach kein Ende.
„… hat Tage gedauert, bis ich ihn überreden konnte, sich hier mit mir zu treffen für ein Feierabendbier.“
„Was?“
Meine Stimme klingt viel zu hoch und panisch. Heißt das, was ich denke, dass es heißt? Jan kommt hierher, heute Abend?
„Ich sagte, wir treffen uns heute auf ein Bier.“
Philip brüllt mich an, als würde ich ihn nicht verstehen.
„Wann?“, bringe ich gerade so hervor. Mein Magen stellt im Moment komische Dinge mit dem Cocktail an, den ich intus habe. Kurz sieht Philip auf seine Uhr und zuckt mit den Schultern. „Eigentlich sollte er schon da sein.“
Während er einen weiteren Schluck Bier nimmt, höre ich ihn beim Abstellen der Flasche murmeln: „Wenn er nicht wieder hinschmeißt.“ Fragend blicke ich ihn an. Doch Philip gibt sich Mühe, mich zu ignorieren. Kein Zweifel. Das ist Absicht.
Inzwischen pressen meine Finger das Glas in meiner Hand so fest, dass sie schmerzen. Ich werde Jan Herzog wiedersehen. Den Mann, den ich eigentlich nie wiedersehen wollte.
Werde ich ihn überhaupt noch erkennen? Philip sagte etwas von Narben, Verletzungen. Die Reste des Alkohols versuchen bei dem bloßen Gedanken daran wieder meine Kehle hochzukommen. Schweiß sammelt sich zwischen meinen Brüsten, als ich Philips große Armbanduhr betrachte, deren Zeiger immer weiter vorwärts zucken. Als die Tür aufgeht und kalter Wind einen neuen Gast mitbringt, muss ich mich fast übergeben.
„Ach … Äh … Philip. Entschuldigst du mich kurz? Ich muss mal …“ Lahm deute ich auf mein riesiges, leeres Cocktailglas und erhebe mich umständlich vom Hocker. Als meine Füße den Boden berühren, ist mein Stand alles andere als fest. Und das liegt bedauerlicherweise nicht an den hohen Schuhen oder an dem Mai Tai. Ich muss hier weg, zur Toilette, mich verstecken. Verhindern, Jan Herzog über den Weg zu laufen. Diesem Mann kann und darf ich nicht begegnen. Meine Absätze klacken hektisch auf dem Weg runter zu den Toiletten. Noch nie war ich so froh, das Wort „Damentoilette“ zu entdecken wie jetzt. Gott sei Dank. Ich bin alleine hier. Niemand muss mit ansehen, wie ich mich am Waschbeckenrand festhalte und meine Atmung auf Hochtouren läuft. Am liebsten würde ich mir eiskaltes Wasser ins Gesicht klatschen, aber dann sähe ich aus, als hätte ich sie nicht mehr alle. Ich begnüge mich damit, meine Hände mit kaltem Wasser abzuspülen, um sie mir fest in den Nacken zu pressen. Die Kälte erdet mich, bringt meine Gedankenflut einigermaßen zur Räson. Gut, genau das brauche ich jetzt. Mit geschlossenen Augen atme ich durch und ignoriere das Klopfen auf der anderen Seite der Tür. Als es lauter und drängender wird, öffne ich die Augen und sehe mir selbst im Spiegel entgegen. Überrascht stelle ich fest, dass ich ganz normal aussehe. Sieht man von dem ängstlich traurigen Blick mal ab. Ich sehe zu sehr aus wie ich, egal was Philip meint. Es gibt keine Chance, dass Jan mich nicht erkennt.
„Hey, jetzt mach mal! Wir müssen auch“, keift mich eine Frau durch die Tür an.
„Ja, gleich“, verspreche ich. Doch eigentlich möchte ich lieber hierbleiben, auch wenn das nicht geht.
Mit mulmigem Magen öffne ich die Tür und ernte einen vernichtenden Blick eines blonden Mädchens, dessen falsche, lange Nägel deutlich machen, dass mit ihr nicht zu spaßen ist. Sie schubst mich beinahe zur Seite, mustert mich abfällig und rennt in die Toilette. Eine schüchtern wirkende Brünette zuckt entschuldigend mit den Achseln.
Manche Schritte im Leben setzt man nur sehr ungern und vorsichtig, so wie ich jetzt. Im Schneckentempo steige ich die Treppe zum Lokal hoch. Oben angekommen, sehe ich mich um und erspähe Philip sofort. Auf meinem Platz, neben ihm sitzt ein großer Kerl, dessen Gesicht man nicht erkennen kann, da er ein Basecap tief ins Gesicht gezogen trägt. Er drückt sich am Ende der Bar regelrecht gegen die Wand und blickt ständig nach unten. Ist das etwa Jan?
Jan, der einen schlimmen Autounfall hatte. Jan, der mir gezeigt hat, was guter Sex ist. Jan, in den ich wahnsinnig verliebt war, ehe er mir das Herz gebrochen hat. Jan, den ich seit vier Jahren nicht gesehen habe. Schwer zu sagen. Ich habe eigentlich nur zwei Möglichkeiten: abhauen und nie wieder hierherkommen oder rübergehen und es herausfinden.
Leider gehöre ich zu jenen Menschen, die immer, wirklich immer, am Schorf kratzen müssen, bis es wieder zu bluten anfängt. Auch in diesem Moment bleibe ich mir und meiner Natur treu – dumm wie ich bin – und gehe rüber zu ihnen. Ohne auf meinen pochenden Herzschlag und meinen brennenden Magen zu hören, umrunde ich die Bar, bis ich vor einem um Entschuldigung blickenden Philip stehe, der mir die Sicht auf seinen Begleiter versperrt.
„Das ist kein guter Zeitpunkt, Ella“, versucht er mich flüsternd vorzuwarnen. Die Panik in seinen Augen bereitet mir mehr Sorge als die Bedeutung seiner Worte.
Der Typ, von dem ich glaube, dass es Jan ist, lehnt sich etwas vor. Doch mehr als sein bartbeschattetes Kinn und die Andeutung von Nase und Wangen erkenne ich nicht, auch wenn mir das, was ich sehe, vage vertraut vorkommt.
„Sehr gut siehst du aus, Ella. Richtig erwachsen. Wie das blühende Leben.“ Voller sarkastischer Bitterkeit spuckt er mir die Worte hin, als wolle er mich in aller Öffentlichkeit bloßstellen. Nur die inzwischen laute Musik verhindert, dass jemand außer uns dreien gehört hat, was er wie zu mir gesagt hat. Völlig erstarrt stehe ich da, erkenne langsam, dass es tatsächlich Jans Stimme ist, auch wenn ich mich nicht erinnern kann, jemals diesen Ton von ihm gehört zu haben.
„Ich …“, stammle ich, ohne es verhindern zu können.
„Du, was?“, richtet er sich schneidend an mich. Jan blickt mich nun direkt an und trotz der spärlichen