Dani Merati

Spielzeit


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Torstens Hand fuhr von seiner Schulter zum Nacken, umfing diesen sanft. „Nun, ich könnte falsch liegen, und wenn dem so ist, sag’s einfach, doch ...“ Sein Freund zuckte die Achseln und nahm seine andere Hand von der Wand, um sie auf Jos Brust zu legen. Er rieb in kleinen Kreisen darüber, glitt dann über den Bauch, ehe er die offensichtliche Beule hinter Jos Jeans umfasste.

      „Aber ich denke, dass du es jetzt so meinst, wie es sein sollte, hab ich recht?“ Torsten grinste und drückte vorsichtig zu, bevor er näher kam, seinen Kopf zurücklegte und in Jos Augen starrte.

      Jo stieß ein raues Keuchen aus, griff nach seinem Freund und küsste ihn hart. Torstens Mund öffnete sich für ihn und Jos Zunge drang ein, lernte seinen Geschmack, seine Weichheit und Hitze. Ihre Zähne klackten aneinander und ihre Zungen duellierten sich. Torsten drängte sich an ihn, als wolle er in ihn reinkriechen und Jo lachte begeistert. Er konnte sein Glück gar nicht fassen. Was er gebraucht hatte, war die ganze Zeit direkt vor ihm gewesen und er konnte nicht verstehen, wie blind er gewesen war. Doch jetzt sah er es klar und deutlich und er würde es nie wieder loslassen.

      ***

       Köln, 3. August 2012

      Jo schob das letzte Glas in die riesige Industriespülmaschine, schloss die Tür und drückte den Knopf, der das Teil zum Leben bringen würde. „Okay, fertig! Endlich. Wie spät ist es eigentlich?“

      Torsten band die letzten Müllsäcke an der Hintertür zu, bevor er hinter ihm auftauchte. Er drängte sich an Jos Rücken, schlang seine Arme um ihn und hielt sein Handgelenk vor Jos Gesicht, zeigte ihm seine neue Uhr. Die Worte „Spielzeit“ waren in großen roten Buchstaben zu lesen. Die Zeiger erklärten, dass es beinahe fünf Uhr morgens war. Verdammt, es war spät!

      Torstens Erektion presste sich gegen Jos Oberschenkel und er grinste, verflocht seine Finger mit denen seines Mannes. „Die Arbeit ist getan, mein Schatz. Jetzt ist Spielzeit.“ Torsten lachte. „Oh ja. Lass uns nachhause verschwinden. Da können wir spielen, bis wir beide umfallen.“ Sein Mann zog ihn mit sich und sie gingen gemeinsam zum Hinterausgang. Sie griffen nach den Müllbeuteln und schlossen ab.

      „Fahr du vor, Schatz. Ich bin direkt hinter dir.“ Jo nahm Torstens Beutel und neigte seinen Kopf, um ihn zu küssen. Sein Mann lächelte, zog sich zurück und beugte sich über seine Maschine, um den Helm vom Lenker zu lösen. Der hochgereckte Hintern war zu unwiderstehlich für Jo und er gab ihm einen deftigen Klaps darauf, bevor er zum Müllcontainer eilte. „Diesem Arsch würde ich überallhin folgen. Ich seh‘ dich zuhause, Schatz!“

      Torsten stieg auf sein Motorrad und ließ den Motor dröhnen. Er wartete, bis Jo in seinen Wagen geklettert war, und rollte dann vom Parkplatz mit Jo dicht hinter ihm. Er war immer nervös, wenn sein Mann die Maschine fuhr, obwohl Torsten ein umsichtiger Fahrer war. Die Kölner Straßen lagen noch verlassen vor ihnen, bis auf die Müllabfuhr war kaum Verkehr.

      An der letzten Straßenkreuzung vor ihrem Haus änderte sich das schlagartig. Ein großer Hummer, der nach Jos Meinung auf deutschen Straßen nichts zu suchen hatte, fuhr dicht hinter ihm auf, berührte beinahe seine Stoßstange. Jo ignorierte die Provokation und folgte Torsten über die Kreuzung, sobald die Ampel grün zeigte.

      Der schwere Geländewagen blieb an ihm dran, fuhr erneut viel zu dicht auf und blendete ihn wiederholt mit seinen Scheinwerfern. Jo bremste ab, hoffte, dass der Idiot den Hinweis kapierte und zurückblieb, doch stattdessen drückte der Arsch auf die Hupe und fuhr noch näher auf. Jo gab Torsten ein Lichtsignal, forderte ihn auf an die Seite zu fahren, aber es war zu spät.

      Der Fahrer des Hummers wechselte in die andere Spur, gab Gas und raste wie ein Irrer an Jo vorbei. Entsetzt beobachtete Jo, wie sich der schwere Wagen vor ihn setzte, dabei Torstens Maschine tuschierte, die er offenbar nicht wahrgenommen hatte. Das Motorrad sprang aus der Fahrspur, rutschte über den Seitenstreifen und knallte in die Leitplanke.

      „Nein! Oh bitte, Gott, nein!“ Jo hatte keine Ahnung, ob er die Worte laut schrie oder nicht. Es spielte keine Rolle. Er musste zu seinem Mann.

      Jo trat auf die Bremse. Kreischend kam sein Auto zum Stehen und er dachte gerade noch rechtzeitig daran, die Handbremse anzuziehen, bevor er seinen Sicherheitsgurt öffnete und aus dem Fahrzeug stolperte. Er rannte über den Asphalt, kletterte über die verbogene Leitplanke, um zu der reglosen Gestalt seines Mannes zu gelangen. Dessen Beine waren unnatürlich verdreht und sein rechter Arm war unter dem Vorderrad der Maschine eingeklemmt. Jo fiel auf die Knie neben ihm, entfernte äußerst vorsichtig den Helm und legte Torstens Kopf in seinen Schoß.

      „Torsten! Schatz, kannst du mich hören? Torsten, bleib‘ bei mir, hörst du? Komm‘ schon, mach die Augen auf. Sieh‘ mich an, verdammt!“ Torsten schien ihn anzulächeln, als er mit zusammengebissenen Zähnen nach Luft schnappte, während sein Körper heftig in Jos Armen zitterte. Er drückte Jos Hand, sagte aber kein Wort. „Verflucht, Schatz. Rede mit mir!“, wisperte er an der Wange seines Mannes.

      Einen Augenblick später flatterten Torstens Augenlider und schlossen sich. Seine Finger verloren ihren Griff um Jos Hand. Der stockende Atem und das Zittern hörten auf und sein Leib wurde schlaff. Alles, was Jo tun konnte, war dazuknien, seinen Mann festhalten, bis der Rettungswagen eintraf und die Rettungssanitäter ihn wegzogen.

      Ihre Ankunft erschreckte ihn. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie bereits hier hockten oder wer überhaupt den Notruf getätigt hatte. Alles, was er wahrgenommen hatte, war nur sein eigener rasender Herzschlag, der ihm in den Ohren rauschte. Hilflos sah er zu, wie die Sanitäter seinen Mann auf eine Trage luden und ihn von Kopf bis Fuß zudeckten. Halb bekam er mit, dass sie ihn untersuchten, aber seine Aufmerksamkeit galt der Bahre, wo sein Mann lag. Sein toter Mann.Taub vor Unglauben schloss er seine Augen und sein Herz, hoffte, dass er den Schmerz ausschließen konnte, von dem er wusste, dass er nie mehr vergehen würde.

      Kapitel 2

       Köln, 6. August 2014

      Jochen Weber fuhr auf den überfüllten Parkplatz der Bar, die er seit zehn Jahren betrieb und spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Die Autos standen bereits bis auf die Straße und den Stellplätzen der anderen Geschäfte. Er fuhr zur hinteren Seite, setzte sich in die letzte verfügbare Parklücke der Angestelltenparkplätze. Seinen Platz. Der, der immer frei blieb. Vor dem Parkplatz thronte ein riesiges Schild, das Torsten entworfen hatte, nachdem der Laden angezogen hatte.

      Wenn ihr hier trinken wollt, parkt nicht hier! (Es sei denn, ihr arbeitet hier.) In diesem Fall allerdings, Trinken während der Arbeit nicht gestattet!

      Über die Jahre hatte sich diese Lücke zu seinem Platz entwickelt, keiner seiner Angestellten wagte es dort zu parken. Für einige Minuten blieb er im Auto sitzen, starrte abwechselnd zwischen der Bar und den Leuten, die dort hineilten hin und her. Die Hintertür schwang kurz auf und Nguyen, einer seiner Kellner trat mit mehreren Müllsäcken in den Händen heraus. Jo seufzte und öffnete die Autotür, entschlossen es hinter sich zu bringen. Als er sich dem Gebäude näherte, sah er auf seine Uhr und bereute es sofort.

      Das beschädigte Schmuckstück war das, welches Torsten am Abend des Unfalls getragen hatte, die Nacht in der er gestorben war. Jo musste unwillkürlich lächeln, als er das Wort „Spielzeit“ las, das dort prangte. Er glaubte die neckende Stimme seines Mannes zu hören, der ihn milde maßregelte, ihn daran erinnerte, dass ein überfüllter Parkplatz eine volle Bar mit sich brachte. Das bedeutete, ein Bombengeschäft und es gäbe nichts Besseres als das! Besonders um 21.30 Uhr an einem Mittwoch, noch ziemlich früh und das Wochenende noch lange hin.

      Jo blinzelte seine Tränen zurück und winkte seinem Angestellten zu, der jetzt an einer Wand lehnte und in sein Handy sprach. Der Junge grüßte zurück und Jo zog die Tür mit dem „Nur Personal“ Schild auf. Im Vorbeigehen warf er einen Blick auf das Logo der Bar, „OJ’s“. Das hatte im vergangenen Jahrzehnt für einige Lacher gesorgt, weil die meisten Gäste annahmen, es stünde für die Abkürzung