war ihm ziemlich schnuppe, was die Leute über den Namen dachten. Eigentlich hatten die Buchstaben für Oliver und Jo gestanden, seinem ersten Liebhaber und ihm, aber jetzt diente es nur noch als Erinnerung. Eine Ermahnung, sich nicht mit ungeouteten Männern einzulassen, egal ob romantisch oder beruflich. Da die Initialen umgedreht seinen Spitznamen ergaben, hatte er sich nie die Mühe gemacht, sich etwas anderes auszudenken.
Oliver hatte sich aus dem Staub gemacht, bevor sie überhaupt eröffnet hatten. Er hatte ihren Traum weggeworfen und eine reiche Hotelerbin geheiratet, sich ins gemachte Nest gesetzt. Das hatte ihm auf einen Schlag alles verschafft, was er immer gewollt hatte: Macht und Reichtum! Jos Liebe und sein einfacher Wunschtraum von einer erfolgreichen kleinen Bar hatten damit nicht konkurrieren können.
Jo schob die bitteren Gedanken beiseite und suchte sich seinen Weg durch die Ladezone. Am Rande registrierte er das Chaos, bevor er die eigentliche Bar betrat, wo er von den tanzenden Männern fast erschlagen wurde. Beweise seines Erfolgs stießen ihn von allen Seiten an, als er sich einen Weg durch die Menge bahnte.
Beinahe sofort bemerkte ihn sein Chefbarkeeper Diego, ein dunkelhäutiger Endzwanziger, dessen Mutter aus der Dominikanischen Republik stammte und grinste. Er winkte und bedeutete Jo hinter den Tresen zu kommen, wo er beschäftigt war, Drinks auszugeben und zu der ohrenbetäubenden Musik zu tanzen. Nur zögernd folgte Jo der Aufforderung. Er hatte gehofft, unbemerkt in sein Büro schleichen zu können, aber nun? Diego zu ignorieren war keine Option. Er war ein guter Freund und hervorragender Geschäftsmann und Jo brauchte ihn zu sehr, um eins davon zu riskieren.
„Hallo, Chef! Bist du zum Spielen hier oder kommst du, um mich zu überprüfen?“ Diego zwinkerte, die weißen Zähne blitzten in dem dunklen Gesicht und die Rastalocken flogen wild hin und her. Jo konnte nicht anders als zurückgrinsen.
„Gott allein weiß, dass dieser Ort auseinanderfallen würde, wenn man dich nicht im Auge behält. Keine Ahnung, warum ich dich behalte.“ Er erwiderte Diegos Zwinkern, während er automatisch in die Rolle eines Barkeepers fiel, Bestellungen annahm und Drinks mixte.
Jo hatte Diego vor vier Jahren eingestellt und er war schnell zu einer unschätzbaren Kraft geworden, besonders als Torsten gestorben war. Als Jo zusammengebrochen war, hatte er das Zepter in die Hand genommen, beinahe jeden Aspekt des Geschäfts gemanagt. Jo hatte ihn daraufhin offiziell zum Geschäftsführer befördert und seitdem lief der Laden wie von selbst oder besser, er lief durch Diego. Alles, was Jo noch tun musste, war an den markierten Linien zu unterschreiben, damit die Rechnungen und Gehälter bezahlt wurden.
Irgendwann musste er allerdings wieder anfangen sich in die Bar einzubringen oder komplett aussteigen, denn die Regelung war für keinen fair. Diese Bar war sein Traum und die Früchte von viel schweißtreibender Arbeit über ein Jahrzehnt lang. Der Gedanke, dass aufzugeben, verursachte ihm ebenso Bauchschmerzen wie der Lärm und die vielen Menschen um ihn herum.
Trotz der vertrauten Routine wurde er nach einigen Minuten bereits nervös, er fühlte sich unter so vielen Leuten nicht mehr wohl. Einst hatte er davon gelebt, aber jetzt legte es seine Nerven blank und er war kurz vorm Überschnappen. Besonders mit der Schuld, die ihn zusätzlich niederzwang. Als Torsten gestorben war, hatte Jo jegliches Interesse an allem verloren, besonders dem „OJ’s“. Er hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, zuzumachen, nachdem die Bar beinahe durch Vernachlässigung den Bach heruntergegangen wäre.
Diego zu befördern war der letzte Ausweg gewesen und dieser hatte es bewundernswert geschafft, wieder Leben in den Laden zu bringen. Er schuldete dem anderen Mann viel mehr als nur Dankbarkeit für jeden Tag, den er hier blieb und die Bar am Laufen hielt, weil Jo das nicht mehr konnte.
Sich in der Bar umsehend, glaubte Jo in jeder Ecke seinen Mann zu sehen, immer außerhalb seiner Reichweite. Die Erinnerungen waren überall und auch nach beinahe zwei Jahren zu schmerzhaft, um sich ihnen komplett zu stellen. Um sich abzulenken, griff er nach einem Lappen unter der Kasse und wischte über den Tresen. Diego beobachtete ihn eine Weile, doch Jo weigerte sich, seinem Blick zu begegnen. Es gab keine Flecken auf der Theke, aber er konnte nicht aufhören. Er musste zumindest die Illusion von Beschäftigung aufrechterhalten.
Diego schenkte einige Biere aus, dann kam er zu Jo hinüber. Eine dunkle Hand legte sich auf seine, stoppte seine Bewegungen. „Bist du okay, Chef?“
Jo nickte, rückte vom Tresen ab und gab Diego ein flüchtiges Lächeln. „Ja, alles klar. Hab‘ nur gerade ziemlich viel im Kopf. Ich dachte, ich komm‘ vorbei, um mir die neuesten Zahlen anzusehen, die Rechnungen zu begleichen, mal schauen, wie viel Kapital wir flüssig hätten. Ich denke darüber nach, den Boden der Bühne zu erneuern, vielleicht auch eine Erweiterung. Wir hatten schon ewig keine Live-Auftritte mehr und es gibt eine Menge toller lokaler Bands, die wir buchen könnten. Müssen uns etwas einfallen lassen, um den Laden interessant zu halten.“ „Das wäre ein guter Start. Die Bühne ist viel zu lange leer gewesen.“
Diego schüttelte seinen Kopf, gab zwei weitere Drinks aus, bevor er sich zu Jo umdrehte. „Du solltest wirklich darüber nachdenken, die Bar auszubauen. Am Wochenende erreichen wir regelmäßig unser Limit und müssen sogar Leute wegschicken. Die Seitenwand auf der linken Seite könnte raus, damit hätten wir doppelt so viel Platz. Wir könnten eine zweite Bar auf der anderen Seite aufstellen, mit einem so richtig offenen Grundriss, wo man von einem Ende zum anderen sehen kann.“ Diegos Augen schimmerten vor Aufregung, als er die Möglichkeiten aufzählte.
Jos Kehle verengte sich und er dachte an die Zeit zurück, als er noch diese Leidenschaft für das Geschäft gehabt hatte und zahlreiche Hoffnungen für die Zukunft. Torsten und er hatten dieselben Pläne einige Monate vor dem Unfall diskutiert. Die Aussicht erfüllte ihn jetzt mit Furcht und Erschöpfung anstelle der Aufregung, die er bei seinem Geschäftsführer sah. „Wie gesagt, ich denke darüber nach, aber ich glaube, ich werde alt, müde.“
Diego schnalzte missbilligend mit der Zunge. Er kam auf Jo zu, die Hände in die Hüften gestützt, mit einer grimmigen Miene. „Wie kommst du darauf, dass du alt bist? Müde bist du, weil du dich selbst runterziehst und dir die Schuld für etwas gibst, dass du gar nicht kontrollieren konntest. Torsten hat dich geliebt und er würde nicht wollen, dass du ihm ewig nachtrauerst. Vor allen Dingen würde er nicht wollen, dass du deinen Traum, deine Existenz aufgibst. Es sind beinahe zwei Jahre, Jo. Lass los. Warum gehst du nicht da raus auf die Tanzfläche, suchst dir einen Freund für eine Nacht, hast ein wenig Spaß?“
Jo biss seine Zähne zusammen und sah über die Bar hinweg auf die Tanzfläche, wo sich heute hauptsächlich junges Publikum zu den beschwingten Rhythmen austobte. „Du gehst zu weit, Diego. Es mögen beinahe zwei Jahre sein, aber Torsten und ich kannten uns dreißig, sechs davon waren wir ein Paar. Ich bin fünfunddreißig! Ich weiß, dass ich noch nicht tot bin und ich weiß auch, dass ich als guter Fang angesehen werden kann. Doch ich suche nicht irgendeinen blutjungen Kerl für einen schnellen Fick. Ich suche überhaupt nicht, klar? Lass es gut sein.“
So rasch, wie der Ausbruch gekommen war, verschwand sein Zorn wieder. Er fühlte sich ausgelaugt und beschämt. Diego hatte ihm nur helfen wollen und er hatte eigentlich auch recht. Obwohl Jo sich nicht einmal vorstellen konnte, wieder auszugehen, er musste öfters raus seinem Schneckenhaus, wieder Spaß haben, sonst würde er komplett in Depressionen versinken. Er hatte bloß keine Ahnung mehr, wie das ging. Schwer schluckend wandte er sich von der verletzten Miene Diegos ab.
„Es tut mir leid. Was ich gesagt habe, war daneben.“ Jo warf den Lappen in einen Korb hinter sich und verließ den Tresen. Über die Schulter warf er dem anderen Mann ein entschuldigendes Lächeln zu, bevor er sich rasch in sein Büro zurückzog.
An seinem Schreibtisch starrte Jo zornig auf den Packen von drei Tagen Post, die darauf wartete, sortiert zu werden. Mit einem resignierten Seufzen arbeitete er sich durch Rechnungen und Werbebriefe. Er hasste Büroarbeit, aber sie musste getan werden und es auf jemand anderen abzuwälzen war undenkbar. Wenn auch nichts anderes, zumindest die Buchhaltung lag noch in seiner Verantwortung.
Endlich das Ende des Stapels erreichend, gefroren seine