Violett McKenzie

Melody - Das Erwachen


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      Ihre Worte durchbrachen sein augenblickliches, vorherrschendes Gedankenwirrwarr. Für einen Moment fühlte er einen heftigen Stich in seinem Herzen. Er wusste, dass seine Tage als altruistischer Freund und Ritter in der glänzenden Rüstung gezählt waren. Er hatte gewusst, dass auch Stuart Chapman der Konferenz beiwohnen würde. In den einsamen Stunden der letzten Nacht hatte er sich eingestehen müssen, dass er den Gedanken hasste, Melody könne Stuart möglicherweise vergeben und zu ihm zurückkehren. Bei Gott, er hasste es diese Eifersucht zugeben zu müssen. Aber genau das war er: eifersüchtig! Er liebte sie von ganzem Herzen, und er wollte sicherstellen, dass es für Chapman keine Chance gab, sie zurückzugewinnen. Als er sie so verändert sah, befürchtete er, dass seine tiefgehende Angst – sein schlimmster Albtraum – vielleicht wahr geworden war.

      »Ich bin so froh, dass du vorgeschlagen hast, einen Tag zu warten«, sprach sie weiter. »Ich bin gestern noch durch den Park gelaufen. Es war wirklich schweinekalt, weißt du? … Ich ging stundenlang spazieren gegangen und dachte noch einmal über all das nach, was in meinem Leben seit dem Feuer passiert ist. Und … ich schäme mich fast, das zuzugeben, aber Dr. Smith, … du weißt, er ist mein langjähriger Psychiater, der letztes Jahr in den Ruhestand gegangen ist, die ganze Zeit über recht hatte.« Sie legte eine Pause ein, um einen Schluck Wasser zu trinken. Dabei bemerkte sie den seltsamen Ausdruck in seinem Gesicht. »Verzeih', Ryan, aber ich scheine heute in einer seltsamen Stimmung zu sein. Ich schweife ab. Ich habe mich heute nicht wie ein verwöhntes kleines Mädchen verhalten, zu dem noch nie jemand ›Nein‹ gesagt hat …« Sie lächelte still. »Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich rebelliert!« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe heute verstanden, dass meine Eltern vom Unfall genauso betroffen waren wie ich, und dass ich einfach keinen Platz in meinem Herzen hatte, um ihnen oder irgendjemandem zu vergeben. Bis heute Morgen war das so.« Sie pausierte, um ihre Beine zu überkreuzen und einen weiteren Schluck Wasser zu sich zu nehmen.

      »Und das bedeutet, meine Süße?«, fragte er. »Wirst du die Show machen? Wird alles so weitergehen wie früher?« Er versuchte seine Anspannung und jede Verärgerung aus seiner Stimme zu nehmen, scheiterte aber damit.

      »Ja, ich werde die Show machen. Aber nur für diese zwölf Wochen, danach sind sie wieder auf sich allein gestellt ...«

      Er fühlte sich gezwungen, sie erneut zu unterbrechen. »Du meinst, sie wollten, dass du länger in der Show auftrittst?«

      Melody lächelte und streckte ihre Hand aus, um ihn neben sich auf das Ledersofa zu ziehen. »Mein Vater wollte, dass ich für immer zurückkomme ... Nein, warte eine Sekunde und lass mich ausreden!« Sie schaute ihm stolz in die Augen. »Ich habe Nein gesagt, und dass ich andere Verpflichtungen eingegangen bin … Deinen Film zum Beispiel.«

      »Ist der denn für dich eine Verpflichtung?« Wieder konnte er seinen Unmut nicht aus seiner Stimme und seinen Worten heraushalten.

      Überrascht sah sie ihn an. »Nein, das bedeutet mir viel mehr als das. Es ist mir wichtig, was du mit diesem Film über unsere sich verändernde Welt sagen willst und wie wir sie so herzlos zerstören …« Sie senkte ihre Augen und blickte auf ihre behandschuhten Hände. »Aber ich … ich … interessiere mich auch für dich. Du bist mir der beste Freund, den ich je hatte. Du weißt so viel mehr über mich als alle anderen.«

      »Nicht einmal Stuart Chapman?« Die Worte waren aus seinem Mund, ehe er sie zurückhalten konnte.

      »Ich habe Stuart nie erzählt, was ich mit dir geteilt habe. Als ich mit ihm verlobt war, war ich wie ein Kind. Das kann ich jetzt sehen ... Du und ich … Wir haben unsere Gedanken, unsere Hoffnungen und unsere Träume geteilt, um zu versuchen, in dieser Welt etwas zu bewirken.« Sie beugte sich vor, um ihm einen sanften Kuss auf die Wange zu drücken. »Ich möchte mich nicht mit dir streiten. Das ist nicht der Grund, warum ich hergekommen bin.«

      Ryan spürte das Kribbeln, das ihr Kuss bis zum empfindlichsten Teil seiner Anatomie verursacht hatte. Manchmal konnten selbst ihre leichtesten Berührungen ihn innerhalb von Sekunden mehr erregen als es jede andere Frau nackt und in seinem Bett hätte tun können. Er lehnte sich ins Sofa zurück. »Okay, das ist also nicht der Grund, warum du zu mir gekommen bist«, wiederholte er. »Sagst du mir, warum du mich mitten am Tag in meinem Büro aufsuchst, … einem Ort, den du in den letzten Jahren immer gemieden hast, wenn wir zur gleichen Zeit in der Stadt waren?«

      »Und da habe ich gedacht, ich wäre schlau«, gab sie mit einem kindlichen Schmollmund zu. »Also gut. In Ordnung. Frei heraus …« Sie lächelte ihn gewinnend an. »Ich möchte in den nächsten zwölf Wochen in deinem Apartment wohnen.«

      Wäre er ein Spieler gewesen, hätte er sein ganzes Geld auf alles oder nichts gesetzt, dass es eher einen Börsencrash geben würde, als sie fragen zu hören, ob er mit ihr seine Wohnung teilen wollte. Nie hatte er sie dazu gedrängt, ihre Beziehung auf einer körperlichen Ebene zu vertiefen. Aber ahnte, dass sie sich schon seit einiger Zeit seiner Sehnsucht nach ihr bewusst war. Ihr dann am gestrigen Abend seine Liebe einzugestehen, hatte ihn selbst ebenso überrascht wie sie. Er fragte sich, ob sie damit gerechnet hatte, dass sie sich die Wohnung teilen würden oder davon ausgegangen war, dass er bald nach Kalifornien zurückkehren würde – was auch keinen großen Unterschied machte. Auf keinen Fall würde er sie im Penthouse allein lassen und das freie Feld möglicherweise Stuart Chapman überlassen – schon gar nicht in seiner Wohnung.

      Er hegte keinerlei Zweifel daran, dass Chapman es bereits sehr bereute, die Verlobung mit ihr vor all diesen Jahren aufgelöst zu haben. Denn obgleich er immer noch in der Show auftrat, war er immer noch ein Außenseiter. Er würde niemals Teil des Familienunternehmens werden, wenn er nicht in dieses Unternehmen einheiratete. Und wenn Veronica die bereits zehn Jahre lang andauernde Ehe zu ihrem Mann auflöste, gab es für ihn keinen anderen Weg in die Familie als durch Melody. Er wäre verdammt, würde er es Chapman leicht machen.

      »Also, was denkst du, Ryan? Bist du bereit, mich für zwölf Wochen als deine Mitbewohnerin aufzunehmen? Ich verspreche dir auch, mein eigenes Bett zu machen und hinter mir aufzuräumen«, fügte sie schüchtern hinzu, ohne zu wissen, wie weit sich Ryans Gedanken inzwischen vom eigentlichen Thema entfernt hatten. »Deshalb bin ich hierhergekommen ... Ich konnte damit einfach nicht bis zum Abendessen warten.«

      »Die Situation könnte vielleicht recht kompliziert werden, Melody, meine Süße, wenn wir unter einem Dach zusammenleben.« Er fühlte sich dazu gezwungen, sie so taktvoll wie nur irgend möglich darauf hinzuweisen, dass sich ihre Beziehung in eine Richtung entwickeln könnte, die sie vielleicht nicht vollständig in Betracht gezogen hatte. Es war der Teil von ihm, der ihr deutlich machen wollte, dass es gut möglich war, dass er die Kontrolle über sich verlor, wenn er sie halb nackt zu Gesicht bekam.

      *

      Wie die meisten Männer hatte Ryan noch viel über Frauen zu lernen. Melody schlief vielleicht nicht mit jedem X-Beliebigen, aber sie wusste um die Fakten des Lebens und hatte sehr darauf geachtet, dass er nicht merkte, wie sehr er sie körperlich anzog. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn liebte oder nicht, aber sie wusste, dass sie ihn mehr liebte, als sie jemals jemanden zuvor geliebt hatte. Und sie hatte sich dazu entschlossen, die Dinge zwischen ihnen körperlicher werden zu lassen, sobald sie wieder in Kalifornien waren.

      Ihr war bewusst, dass er ihr vielleicht nicht glauben würde, und ihre Entscheidung wieder an der Show mitzuwirken damit in Zusammenhang brachte, dass sie Stuart wiedersehen wollte. Wie hätte er auch nur ahnen können, dass sie heute bei Stuarts Anblick nicht vor Angst oder Lust ohnmächtig geworden war. Das wenige, was er zu ihr gesagt hatte, hatte sie nur darin bestärkt, dass es das Beste von ihm gewesen war die Verlobung aufzulösen. Zwar war er immer noch einer der schönsten Männer, die sie je gesehen hatte, aber sie hatte seit gestern viel nachgedacht. Und nachdem sie ihre Erinnerungen an ihn aus den Augen einer Erwachsenen betrachtet hatte, waren sie bei weitem nicht mehr so süß gewesen, wie sie diese im Gedächtnis hatte. Sie entschied, dass es ein wenig Draufgängertum erforderte, die Dinge auf Kurs zu bringen.

      »Wenn es dir Angst macht, dein Zuhause mit mir zu teilen, sage es einfach. Ich bin sicher, ich kann ein einsames, unpersönliches Hotelzimmer für die zwölf langen, unendlichen Wochen mieten.«