Violett McKenzie

Melody - Das Erwachen


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Anwesenden hier.«

      Erst jetzt bemerkte Melody, dass ihre ältere Schwester Veronica und deren Ehemann Jeff Cronenberg bereits am Konferenztisch Platz genommen hatten. Neben den beiden saßen die Schwester ihres Vaters Becky und deren Mann, Richard Anderson, beidseits von ihren zwei anderen Brüdern, Robert und Georg, flankiert. Sie vermisste Cathrine, Roberts Frau, die als Autorin für die Show arbeitete.

      Robert begegnete ihrem Blick. »Sie wollte hier sein, Melody, aber unsere beiden Kinder sind krank. Windpocken. Geht schon die ganze Woche.«

      Unwillkürlich musste sie über den Ausdruck lachen, der sich auf seinem Gesicht abzeichnete.

      »Ich weiß, was sie durchmacht. Zwei von Gabrielas Kindern hatten sie, während ich bei ihnen war, und es war eine ziemlich lehrreiche Erfahrung für mich.«

      »Denkst du, dass du vielleicht …«, setzte Robert mit einem Lächeln in seinen Augen und seiner Stimme an.

      Über den Tisch hinweg ergriff sie die Hand ihres jüngeren Bruders. »Ich würde dir und Cathrine gerne helfen. Da die Vorstellungen in New York beendet sind habe ich ein wenig Zeit … Und ich habe entdeckt, wie sehr ich Kinder liebe, sogar kranke.«

      »Das wundert mich nicht im Geringsten, da du dich ohnehin schon immer wie ein Kind verhalten hast«, meldete sich aus der schattigen Ecke des Zimmers darauf eine Stimme, die sie seit neun Jahren nicht mehr gehört hatte.

      »Stuart, bitte ...«, mahnte Geena.

      Als er in das Licht des Raumes trat, sah Melody ihren Ex-Verlobten – den Mann ihrer mädchenhaften Fantasien, der sie nach dem Feuer einfach sitzengelassen hatte, nachdem er wusste, welch hässliche Narben sie zurückbehalten würde. Oh ja, dachte sie bei sich, du hast alles: Aussehen, Talent und jetzt sogar Geld. Dein kohlschwarzes Haar, deine Größe und dein schlanker, durchtrainierter Körper haben ausgereicht, um dich zur Nummer eins zu machen. Ich bin überrascht, dass du so lange bei der Show geblieben bist. Immerhin ist es ein offenes Geheimnis, dass du dir eine Wunschliste für quasi jede andere Seifenoper schreiben kannst. Sie schmunzelte in sich hinein. Aber eines ist dir dann doch versagt geblieben: Der Erfolg in der Filmindustrie, den du so verzweifelt wolltest! Sie lächelte, als sie sich des einzigen Films erinnerte, den er je gedreht hatte. Sie war sich absolut sicher, dass die beiden, die damals zwei Reihen von ihr saßen, die einzigen waren, die das Stück am Premierentag im Kino ganz in der Nähe ihres Hauses überhaupt gesehen hatten.

      Wenn sie ihn bereits vor fünfzehn Jahren, als er zum ersten Mal in der Show auftrat, für verheerend attraktiv gehalten hatte, so war das heute mehr denn je der Fall. Aber das Bemerkenswerte war, dass sie davon nichts spürte. Vielleicht sollte ich für all die jahrelangen Therapien doch dankbar sein, dachte sie, als Stuart in den Raum vortrat. In diesen hatte sie entdeckt, wer sie wirklich, wer ihre Freunde waren und wie grausam die Welt sein konnte.

      Trotz ihrer Narben, der vielen Hauttransplantationen, der immensen Schmerzen und der Einsamkeit, erkannte sie, dass sie mit dem kleinen Mädchen, das sie vor dem Feuer gewesen war, nichts mehr gemein hatte – das kleine Mädchen war für immer verschwunden. Jetzt war sie stärker und selbstbewusster wie nie zuvor. Sie war erwachsen geworden, hatte ihre eigenen Freunde, ihren eigenen Erfolg und vielleicht würde sie eines Tages auch wieder lieben.

      Als sie seinen stürmischen blauen Augen begegnete, atmete sie tief ein, lächelte ihn an und fühlte sich ausgeglichen und stark. »Wie recht du doch hast, Stuart«, erwiderte sie kühl, wobei sich ihre Mundwinkel leicht nach oben zogen. »Ich war ein sehr verzogenes Kind, nicht wahr? Ganz die kleine Prinzessin, immer darauf aus, dass Dinge auf meine Art und Weise erledigt wurden oder gar nicht.« Sie wandte sich wieder ihren Eltern zu, denen die Fassungslosigkeit infolge dieses Zugeständnisses ins Gesicht geschrieben stand. »Ich beschuldige euch gar nicht, etwas falsch gemacht zu haben ... Es war einfach so, dass alle einen unheimlichen Wirbel um mich als Kind gemacht haben, dass ich einfach alles als mein Recht angesehen habe.« Melody spürte eine wohlige Wärme in ihrem Herzen, als sie die Worte laut aussprach. Es ist alles so wahr, dachte sie bei sich, und jetzt kann ich endlich die Vergangenheit hinter mir lassen. Sie ergriff die Hände ihrer Eltern. »Was geschehen ist, ist geschehen, und wir können es nicht mehr ändern. Alles was wir können, ist nach vorne zu schauen … in die Zukunft und abzuwarten, was passieren wird. Also machen wir uns an die Arbeit.«

      *

      Stuart beobachtete, wie Melody alle am Tisch Sitzenden manipulierte und nach ihrem Willen lenkte. Dabei stellte er ironisch fest, dass der einzige freie Platz genau gegenüber ihrem Vater lag, der am Kopfende des Tisches saß. Trotz allem, was sie vortrug, glaubte er ihr nicht ein einzelnes Wort. Schon im Vorfeld hatte er Nein gesagt und darauf aufmerksam gemacht, dass es falsch sei, sie dazu zu bewegen zurückzukommen. Er hatte darauf bestanden, dass sie auch einen anderen Weg finden könnten, um die sinkenden Einschaltquoten der Show wiederzubeleben und erklärt, dass es ein Fehler sei, ihr nachzulaufen, wo sie doch jetzt ›Everybody's Darling‹ beim Film und Theater war. Obwohl sie seit dem Verlassen der Show vor neun Jahren nicht mehr fürs Fernsehen gearbeitet hatte, gab es niemanden, der ihren Namen oder ihr Gesicht nicht kannte.

      Als er vor fünfzehn Jahren seinen ersten Auftritt in der Show hatte, war sie eine Wucht gewesen. Er hatte schnell festgestellt, dass, wenn er mehr als nur ein x-beliebiger Schauspieler sein und nicht auf der Strecke bleiben wollte, in die Familie einheiraten musste. Aber da ihre ältere Schwester Veronica bereits verheiratet war, blieb ihm nur sie. Selbst jetzt, wo er seine Blicke über ihre glatten, fast perfekten Gesichtszüge huschen ließ, musste er sich eingestehen, dass sie noch immer eine Wucht war, obwohl ihre Kleidung all die Narben bedeckte, von denen er wusste, dass sie immer noch vorhanden waren.

      Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte er von Melodys Ärzten recht anschaulich erfahren, wie die Narben aussehen würden und was ihm noch wichtiger war, was durch plastische Chirurgie rekonstruiert werden konnte und was nicht. Und obwohl ihn der Gedanke an die Narben auch heute noch abstieß, musste er zugeben, dass ihr Körper das Versprechen seiner Jugend erfüllt hatte.

      Mit fünf Fuß sechs war Melody die kleinste im Raum, aber sie machte ihren Mangel an Größe mit einem fast perfekten Körper mehr als wett. Ihre langen, glänzendroten Haare fielen ihr wie ein Wasserfall fast bis zur Taille. Ihr Gesicht war als klassisch schön zu bezeichnen und ihre katzenhaften Augen deuteten in ihrer grüngoldenen Intensität und Form, auf ein tiefes unberührtes, leidenschaftliches Naturell hin. Im Gegensatz zu all den magersüchtigen Frauen ähnelte sie einem ›Peter Paul Rubens-Gemälde‹. Sie war eine prachtvolle Frau mit vollen Brüsten, schmaler Taille und göttlich abgerundeten, gebärfreudigen Hüften – eine Frau, der Gott alles geschenkt hatte, um sie zu einer liebreizenden Erscheinung zu machen.

      Stuart spürte einen schmerzhaften Schlag in seinem Unterleib, als er feststellte, dass er sie immer noch begehrte. Für ihn repräsentierte sie so viele Dinge, und nicht nur seine ehemalige Verlobte. Sie war seine feste Verbindung zur Familie und zur Show gewesen. Und jetzt, wo sie ausgezeichnete Verbindungen in die Filmwelt hatte, wäre sie noch sehr viel wertvoller für ihn geworden. Auch ihre neuentdeckte Reife und das Selbstvertrauen, von dem sie nie etwas gezeigt hatte, als er sie zum letzten Mal sah, faszinierten ihn. Dennoch konnte er sich nicht helfen. Er traute ihr nicht und hätte sich nicht einmal darüber gewundert, wenn sie hier allen etwas vormachte. Vielleicht war sie noch immer wütend darüber, wie er und ihre Familie sie behandelt hatten und plante eine Art von Rachefeldzug.

      »Setz' dich, Stuart, damit wir anfangen können!«, brachte ihn Owens Stimme mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. »Wir wollen Melodys Ideen hören.«

      Unbeholfen schritt Stuart zu seinem Stuhl.

      »Ich weiß nicht genau, wer unsere Vorstellungen präsentieren soll«, fuhr Owen an Melody gewandt fort. »Traditionell wären es Georg und Richard, unsere ausführenden Produzenten, und natürlich Robert, auf dessen Schultern jetzt der Großteil der verantwortlichen Leitung liegt. Es wäre wohl an ihm, dir den Handlungsstrang vorzustellen und den Deal abzuschließen … Aber ich möchte zuvor einräumen, dass es von Anfang an meine Idee war, … und wenn du auf jemanden böse sein willst, sollte das wohl ich sein.« Erwartungsvoll hielt er inne, sah seiner