Andreas Nass

Krisheena - Tor zum Abyss


Скачать книгу

kippen. Sein Griff war eisern und schmerzte verstärkt durch den Gedanken, was mich da festhielt. Vor meinen Augen verschwand der Gang des Scharlachroten Tempels. Trockener Staub kitzelte meine Nase, fahles Sonnenlicht warf langgezogene Schatten. Wir standen in einer gewinkelten Gasse. Unzählige Gebäude erstreckten sich vor mir, einzelne Mauern, an die drei Schritt hoch und sehr breit, versperrten den Blick. Gänge verzweigten ohne erkennbaren Sinn. Übler Schweißgeruch füllte die Luft, die Ausdünstungen einer sterblichen Gesellschaft. Hoffnung keimte in mir auf.

      Ein Passant rempelte mich an, murmelte ein »wesch« und hinterließ herben Alkoholgeruch. Mühelos erkannte ich die Sprache der Goblinartigen. So wie ich die verschiedenen Rassen um mich herum beobachtete, stierten aus unterschiedlichen Richtungen und Höhen Augenpaare zu mir und den plötzlich aufgetauchten Begleiter herüber. Einige Gesichter senkten sich wieder, um ihrem alltäglichen Treiben nachzugehen. Andere hefteten sich auf meine Brüste und ich spürte die Blicke kleiner, runzeliger Goblins geradewegs auf meinen Po gerichtet.

      Etwa fünfzig Schritte weiter baumelte ein Schild mit einer bluttriefenden Axt neben einem Eingang.

      »Nimm dir dort ein Zimmer und warte, bis die anderen eintreffen«, wies er mich wie ein kleines Gör an und zauberte aus seinen Lumpen einen kleinen Beutel hervor, der klimpernd vor meinen Füßen zu Boden fiel.

      Noch bevor ich meine zahlreichen Fragen äußern konnte, war Landru verschwunden. Nur der Fäulnisgeruch blieb. Ich nahm den Geldbeutel auf und entfernte mich schnellen Schrittes. Zielstrebig hielt ich auf dieses offensichtliche Gasthaus zu. Je näher ich kam, umso deutlicher waren Unterhaltungen zu vernehmen. Es musste noch sehr früh sein, denn der Schankraum war nur gering besucht.

      An einem Tisch saßen zwei Minotauren und stemmten schwere Krüge, deren Inhalt gelblichen Schaum auf dem braunen Fell hinterließ. Ihre kräftigen Männerkörper wirkten durch den Schädel eines Stiers noch imposanter. Selbst im Sitzen war ihr hoher Wuchs unverkennbar.

      Hinter dem Tresen stand ein bärtiger, gedrungener Mann und putzte akribisch einen Tonkrug. Eine junge, etwas füllige Bedienstete sprach in einer Ecke mit vier Gästen, von denen einer sicherlich Orkblut in sich trug. Seine platte Nase und die vorstehenden Eckzähne erinnerten mich stark an ein Schwein.

      Leichtfüßigen Schrittes näherte ich mich dem Tresen.

      »Gruß und gute Geschäfte, Herr Wirt. Wenn Euer Met frisch ist, soll es meine Kehle erfreuen.«

      »Frisch? Ob mein Met frisch ist?« Aus tiefer Kehle kam sein Brummen, das einen Grizzlybären in die Flucht geschlagen hätte. »Es ist das Beste, was Ihr hier finden könnt, an diesem staubigen Ort! Nehmt einen guten Schluck, um Eurer Zunge den nötigen Respekt zu lehren, junge Frau. Ihr seid neu hier, Gesichter merke ich mir immer gut. Und das Eure werde ich genau beobachten!«

      Während er sprach, putze er einen Krug sauber, auch wenn ich meine Zweifel hatte, ob das Tuch nicht ebenso viel Dreck erzeugte wie es mit sich nahm. Dann füllte er ihn randvoll und setzte das schäumende Getränk laut polternd auf den Tresen ab.

      »Macht drei Kupfer«, forderte er geschäftig.

      »Fünf, wenn Ihr mir noch sagt, ob sich in den letzten Tagen weitere vereinzelte Reisende eingefunden haben.«

      Er nahm die Münzen wortlos und blickte aus seinen trüben Augen direkt in mein Gesicht.

      »Es gibt viele, die hier durchkommen, und manche sind allein. Seht Euch um, dann werdet Ihr sehen, wer keine Gesellschaft mit sich brachte.«

      »Vielen Dank«, endete ich unseren kurzen Wortwechsel, nahm den Krug und drehte mich langsam herum.

      Über einen kurzen Zug von dem Met hinweg lugte ich in den Schankraum. An den Tischen fanden sich zahlreiche kleine Gruppen ein. Vielleicht war ich auch eine der ersten.

      »Verzeiht die Unterbrechung«, hörte ich eine ruhige, wenngleich auch unterschwellig dominante, weibliche Stimme hinter mir und beendete meine Suche, »aber ich denke, wir sollten uns einander vorstellen.« Ich drehte mich zur Sprecherin um.

      Am Tresen hatte sich ebenfalls eine leicht gebräunte Frau eingefunden, die durchaus einen zweiten Blick wert war. Ihr kahl rasierter Schädel und die wenigen Kleidungsstücke, allesamt aus Ketten gefertigt, zeugten von Schlichtheit und dem Verzicht auf Luxus. Ihr schlanker Körper war drahtig, ein Zeugnis für den häufigen Gebrauch ihrer Muskeln bei geringer Nahrungsaufnahme, und maß etwa fünfeinhalb Fuß. Dunkle, rotbraune Augen musterten mich. Neben ihr stand ein kleiner Krug, aus dem sie etwas Met in einen Becher gab und mir zuprostete.

      »Ich bin Moi’ra und ebenso schnell an diesem Ort abgesetzt worden wie Ihr, zumindest soweit ich es aus der kurzen Unterhaltung mit dem Wirt entnehmen konnte.«

      »Sei gegrüßt, Moi’ra, ich bin Crish und froh, auf jemanden zu treffen, den das gleiche Schicksal traf. Aber lassen wir doch die Förmlichkeiten – wir Frauen müssen an einem solchen Ort zusammenhalten.« Wir stießen an und nahmen einen guten Schluck.

      »Es sollen weitere eintreffen?«, erkundigte ich mich neugierig.

      »Mir wurde sicher nicht mehr erzählt als dir. Auf jeden Fall sollten wir hier ein Zimmer nehmen, um der weiteren Dinge zu harren. Und die Gelegenheit nutzen, näher Bekanntschaft zu machen.«

      Ich lächelte und prasselte mit den Fingernägeln auf das Holz.

      »Wirt?«, rief ich fordernd.

      Mit leicht schwingendem Oberkörper überwand der Bärtige die wenigen Schritt zu uns und schenkte mir Gehör.

      »Ihr habt doch sicherlich noch ein Zimmer frei für zwei müde Gäste«, unterstellte ich.

      »Zwei Betten stehen in den Quartieren bereit. Wollt Ihr ein Frühstück am nächsten Morgen?«

      »Ja, das wäre angemessen. Und auch noch ein Abendbrot, mit viel Met.«

      Wir regelten die Bezahlung und ich drückte ihm noch Trinkgeld in die Hand, damit die Getränke nicht so lange auf sich warten ließen.

      »Sucht einen Tisch aus«, sagte er gefälliger, »Merjal wird die Speisen bringen.«

      Mit einer einfachen Handbewegung gab ich Moi’ra den Vortritt. Wir nahmen den freien Tisch zur Mitte des Schankraumes. Von dort konnte ich meine Ohren für die umgebenden Gespräche spitzen. Auf einem großen Tablett kamen unsere Speisen und ein Krug frischen Mets. Emsig machte ich mich über das deftige Essen her.

      Gestärkt suchte ich, das Gespräch wieder aufzunehmen.

      »Wie bist du zu der Ehre gekommen, in diese entlegene Gegend geschickt zu werden?«, fragte ich und spülte einen Bissen mit Met herunter.

      »Mein Vater hat mich ausgesandt.« Ihre Stimme veränderte sich, als zitierte sie jemand anderen. »Es ist an der Zeit, Erfahrungen zu sammeln.« Ein langer Atemzug folgte, bevor sie mich fragte: »Woher kommst du?«

      »Von einem Tempel in Bregantier, dem Reich des Odimorr, auf Geheiß der Hohepriesterin. Einen Grund nannte man mir nicht, ich sollte nur diesem nach Verwesung stinkenden Kerl folgen.« An ihrer Reaktion erkannte ich, dass sie wusste, von wem ich sprach und nicht minder schlecht von ihm dachte. »Ungewöhnliche Kleidung trägst du, insbesondere für eine Frau. Und das Fehlen der Haare kenne ich nur von Menschen, die Entbehrungen auf sich nehmen, um höhere Weihen zu empfangen.«

      »Ich bin ein Mönch, und die Weihen, von denen du sprichst, sind Erkenntnisse über die Kontrolle des Körpers durch seinen Willen.«

      Sie sprach voller Überzeugung und Stolz. Meine gespitzten Lippen und langsames Nicken zeugten den Respekt, den ich ihrem Ehrgeiz entgegenbrachte. Gleichzeitig wurde mir klar, dass sie nicht auf der Seite des Chaos stand, von dem eine solche Disziplin nicht zu erwarten war. Ich wollte sichergehen.

      »In welchem Herrschaftsbereich liegt denn das Kloster?«, vergewisserte ich mich. »Ich gehe davon aus, so wird ein Ort genannt, an dem Mönche ihren Körper konditionieren.«

      »Unsere Gemeinschaft lebt tatsächlich in einem Kloster. Ich gehöre dem Orden des dunklen Mondes an. Der Ort liegt auf einem Hügel in Asuria, dem