harald hohensinner

Lotterleben


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– besser gesagt, seine Leber. Neben ihm der Blade, ein Schwergewicht, gutmütig aber etwas beschränkt. Ein schlanker, immer tänzelnder Typ wird Homo genannt. Ob er tatsächlich schwul ist, entzieht sich meiner Kenntnis, ist mir auch egal. Der Kanzler ist einer, der viel redet und über alles Bescheid zu wissen glaubt, ein anstrengender Typ. Es gesellen sich immer ein paar Neue dazu und so wächst die illustre Runde. Die Gespräche, die geführt werden, drehen sich um belangloses Zeug: ums Saufen, das Prahlen mit Eroberungen von Schönheiten, um das bei den meisten nicht vorhandene Geld, alles eher niveaulos und entbehrlich. Aber sich schweigend dem Suff hinzugeben ist auch nicht das Wahre. Mich nennen sie übrigens Edamer, nach der holländischen Käsesorte. Der Grund ist mein Körpergeruch: ich konnte wegen eines Rohrbruches tagelang keine Körperpflege betreiben. Ehrlich, ich habe mich dafür geschämt. Jetzt müssten sie mir einen anderen Namen geben, aber der Edamer bleibt mir.

      Gegen einundzwanzig Uhr kehre ich zurück in meinen Wigwam. An der Tür steckt ein Zettel. Kein gutes Zeichen, denke ich und lese: „Alfred, das ist der letzte Aufruf – wie am Flughafen. In deinem Fall nur umgekehrt: Zahlst du bis Ende der Woche nicht, fliegst du!“

      Das ist eindeutig. Ich mache Kassa­sturz, mein gesamter Barbestand beträgt 268 Euro. Mit zweihundert werde ich meinen Hausherren vorübergehend zufrieden stellen. Mit dem Rest muss ich noch zwölf Tage auskommen. Mein Gehirn arbeitet um diese Zeit nicht mehr auf Hochtouren, aber es funktioniert – nur etwas langsamer halt. Ich mache es mir im Bett bequem und kontrolliere die Brieftasche des Hofrats intensiver. Rechnungskopien, ein Einkaufszettel, ein gebrauchter Fahrschein für die Straßenbahn. Und was ist das?, überlege ich und ziehe ein gefaltetes Stück Papier heraus. Ein Wettschein von Euromillionen für die kommende Donnerstag-Ziehung. Ich habe noch nie Lotto gespielt, Glücksspiel hat mich eigentlich nie interessiert. Aber nachdem ich jetzt im Besitz eines gültigen Wettscheines bin, werde ich wohl am Freitag nachschauen, ob diese gesetzten Zahlen zu einem Gewinn fähig sind. Mit diesen Gedanken schlafe ich ein, träume wirres Zeug, erwache am Morgen mit Magenschmerzen und Kopfweh und starte meinen täglichen Zweikampf mit meinem Freund und Gegner, dem Alkohol.

      Kapitel 2

      Herr Pokorny ist verzweifelt, seine Wohnung hat er schon auf den Kopf gestellt, praktisch alles von oben nach unten gedreht, nichts von seiner Geldbörse zu sehen. Immer wieder überlegt er, wo er gestern überall gewesen ist. Hat er das Portemonnaie beim Einkauf liegen lassen? Aber gestern war er doch gar nicht im Supermarkt. Ein Spaziergang stand auf seinem Vormittagsprogramm. Ratlos setzt er sich auf den Diwan und versucht noch einmal den vergangenen Tag zu rekonstruieren. Es geht ihm um die Kreditkarte: Wenn die in die falschen Hände gerät. Ich muss es melden, überlegt er und denkt an das für ihn komplizierte Prozedere des Sperrenlassens. Aber es muss sein und am besten sofort.

      Nach zwei Tassen Kaffee lässt das Kopfweh nach, trotzdem glaube ich, mein Schädel ist innen wattiert. Der Magen rebelliert noch immer, vielleicht sollte ich etwas essen, etwas Trockenes. Langsam, wie in Zeitlupe, ziehe ich mich an, nehme ein frisches T-Shirt und schlüpfe in meine fleckigen und zerrissenen Jeans. Die sollten auch wieder einmal mit einer Waschmaschine in Berührung kommen. Ich rieche, und zwar entsetzlich, bemerke ich und ziehe die Stinkbombe wieder aus. Automatisch kommt mir der Name Edamer in den Sinn. Mehr als berechtigt!, signalisiert mein langsam in die Gänge kommendes Gehirn. Ich wechsle zur zweiten und damit letzten Gelegenheit: einer Sommerhose. Sie besteht den Geruchstest. Zum Glück ist das Wetter immer noch warm und sonnig, obwohl sich der September dem Ende nähert. Heute habe ich allerhand an Erledigungen zu absolvieren. Das ist gut, das hält mich vom Saufen ab. Ich bin immer noch stocksauer auf meinen treuen Begleiter Alkohol. Im Moment ist er mein erbitterter Gegner und im Innersten formieren sich eine Reihe von guten Vorsätzen, die nur darauf warten, in die Tat umgesetzt zu werden. Aber das Warten sind diese guten Geister bereits gewöhnt.

      Mein erster Weg führt mich zum Haus meines Vermieters, dem ich die Rate schweren Herzens in einem gebrauchten Kuvert in seinen Briefkasten werfe. Hoffentlich beruhige ich diesen Gierschlund für eine Weile. Die nächste Station, ein Waschsalon, wo ich das geruchsintensive Kleidungsstück schleunigst in den Schlund einer frei gewordenen Maschine werfe. Jetzt heißt es warten. Mein persönlicher Feind klopft mir auf die Schulter und murmelt: „Sind wir wieder gut.“ Ich ziere mich noch, aber meine Aversion ihm gegenüber bröckelt erkennbar ab. Warum dauert der Waschvorgang so lange?, frage ich mich, sehe aber sofort ein, dass dieses Dreckstück stundenlang rotieren muss, um wieder in einen geruchlosen Zustand zu gelangen. Endlich gibt die Maschine meine Hose frei – jetzt nichts wie in den Trockner damit.

      Die guten Vorsätze, meinem Feind doch die Stirn zu bieten, habe ich wieder schubladiert. Kollege Alkohol sitzt schon auf meiner Schulter, flüstert mir ständig ins Ohr: „… du bist mein bester Freund, du brauchst mich.“ Die Magenschmerzen und das Kopfweh, wie weggeblasen. Ich fühle mich gut und ich weiß auch schon, wo mich mein nächster Weg hinführt. Die saubere Hose unter dem Arm, werden meine Schritte flotter, bestimmter und das Ziel ist vorgegeben.

      „Hallo, Edamer, heute bist du aber spät“, empfängt mich ein junger Säufer, der erst seit Kurzem in diese Runde aufgenommen wurde. Anscheinend hat er den Eignungstest mit Bravour bestanden.

      „Ja, ich habe noch bei meiner Bank vorbeigeschaut, die Dividende meiner Voest-Aktien kassieren“, erkläre ich mit vollem Ernst.

      Der Junge versteht meinen ironischen Sager nicht, während sich andere Vormittagstrinker um mich scharen. „Na, wenn das so ist, gibt es jetzt sicher eine Extrarunde, was Edamer?“, und klopfen mir aufmunternd auf die Schulter.

      „Die Auszahlung erfolgt erst im letzten Quartal, ihr müsst euch also noch etwas gedulden. Aber dann gibt es ein Vorweihnachtsgeschenk, versprochen.“

      Wenn es ums Saufen geht, und die Möglichkeit eines Gratisgetränkes tut sich auf, verstehen meine Saufkumpane keinen Spaß. Mit Genuss gleitet das erste Bier durch meine trockene Kehle und der Kollege auf der Schulter, inzwischen wieder zum Freund geworden, applaudiert heftig. Beim zweiten Bier fällt mir plötzlich ein, dass ich die Geldbörse des Hofrats samt Lottoschein auf dem Tisch liegen gelassen habe. Egal, morgen ist auch noch ein Tag, und jetzt bin ich gerade in netter Runde. Außerdem habe ich Aufholbedarf und da kann und will ich mir keine unnützen Unterbrechungen leisten.

      Der neu dazu Gestoßene will sich besonders hervortun, so als müsste er den etablierten Trinkern etwas beweisen. Er ist bereits beim fünften Bier, was sich bei seiner Artikulation bemerkbar macht. Undeutlich und nicht zusammenhängend werden seine Sager. Immer wieder hebt er seine Willensstärke hervor. „Jederzeit, aber wirklich jederzeit, kann ich mit dem Trinken aufhören. Ehrlich, ich werde euch das beweisen.“ Sein Griff nach der Flasche geht ins Leere, er dreht sich um die eigene Achse und klatscht auf den Boden. Er übergibt sich und macht sich gleichzeitig in die Hose. Also, die Aufnahmeprüfung doch nicht bestanden. In solchen Momenten verspüre ich einen unbändigen Hass auf den Alkohol, der sofort wieder zu meinem Feind wird, und auf mich selbst, der ich nicht in der Lage bin, etwas dagegen zu unternehmen. Wir mutieren sogleich zur Selbsthilfegruppe, zerren den armen Kerl auf eine Bank, geben ihm ein Taschentuch. Homo kommt mit einem Glas Wasser, während der Kanzler ein Pflaster über seine Kopfwunde klebt. „Wird schon wieder, Kleiner“, meint der Blade beruhigend, „das sind nur Anlaufschwierigkeiten.“

      Ich stehe daneben und gaffe nur blöd, so als wäre ich in eine Schockstarre gefallen. Doch nach ein paar Minuten ist alles wieder beim Alten, business as usual. Die Lockerheit in mir kehrt zurück, ich bestelle das nächste Bier, der Vorfall ist vergessen, das Saufen kann weitergehen.

      Der Hofrat ist erleichtert, er hat seine Kreditkarte sperren lassen und eine neue beantragt. Ein Blick auf die Uhr, dann macht er sich fertig zum Ausgehen. Es ist elf Uhr fünfzehn, Zeit zum Vormittagsspaziergang. Anschließend geht er Mittagessen, immer ins gleiche Gasthaus. Dieses Ritual findet bereits seit fast sechs Jahren statt, seit seine Frau Agnes ihn verlassen hat. Da die Ehe kinderlos geblieben ist, er also von dieser Seite keine Unterstützung zu erwarten hat, meistert er alleine seinen Alltag. Von einem Freundeskreis kann keine Rede sein. Pokorny war immer schon ein Einzelgänger, der Freundschaften nie nachdrücklich gesucht hat. Vielleicht tut es ihm jetzt, im Alter, leid. Er ist zwar sehr belesen