harald hohensinner

Lotterleben


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erklärt Eimer, „für Medizinstudenten habe ich meine Leber hergezeigt. Die waren ganz beeindruckt. Dafür habe ich einen Gutschein für das Vinzi-Stüberl bekommen.“ Wir alle glauben ihm kein Wort, egal, er war wieder da – und das ist ein Extra-Bier wert.

      Ich fühle mich heute nicht so locker, wie sonst unter meinesgleichen. Immer wieder denke ich an die Delogierung, die mir in einer Woche bevorsteht. Wohin soll ich gehen? Irgendwie bin ich ein verwöhnter Obdachloser, schlafen möchte ich unter allen Umständen in einem geschlossenen Raum und nicht unter der Donaubrücke. Der einzige Pluspunkt für mich ist die Streichung meiner Verbindlichkeit, ich bin sozusagen ein Schuldenfreier unter freiem Himmel.

      Gerade jetzt fällt mir dieser Hofrat ein, beziehungsweise seine Adresse: Tulpenweg 8. Den Ort muss ich mir anschauen, vielleicht wäre das eine gute Adresse für Edamer. Erleichtert klinke ich mich wieder in die hochgeistige Diskussion ein und lege nach mit einem Bier.

      Das Wetter ändert sich, es regnet. Ein Horror für mich, nur daran zu denken, solche Nächte im Freien verbringen zu müssen.

      Ich bin für meine Begriffe schon zeitig unterwegs.Mein Ziel: Tulpenweg 8. Das liegt ziemlich nah am Zentrum, und es handelt sich dennoch um eine ruhige Wohngegend, sozusagen ein Zuhause für Betuchte. Der Herr Hofrat gehört ohne Zweifel zu dieser elitären Schicht. Entlang einer verkehrsberuhigten Straße gelange ich zur gewünschten Adresse. Nun stehe ich davor und staune: ein entzückendes altes Haus mit einem kleinen, verwilderten Garten. Hier wohnt er also, der Herr Pokorny. In diesem Haus, meinetwegen im Keller, eine Schlafstelle zu finden, das wäre mein Traum. Wie ich das bewerkstelligen soll? Keine Ahnung. Aber ich werde daran arbeiten. Zumindest kommen wir in Kontakt, wenn ich ihm seine Geldbörse bringe und ihm erzähle, wo ich sie gefunden habe. Außer dem Geld fehlt nichts, und mit meinem ehrlichen Gesicht kann ich ohne Mühe darlegen, dass ich seine Börse in diesem Zustand gefunden hätte und sie ihm jetzt zurückbrächte. Da könnte ich auch über einen Finderlohn mit dem Hofrat sprechen. Ich frage mich nur, ob ich wirklich so vertrauenswürdig aussehe?

      Vielleicht finden wir beide über so einen verbalen Austausch zueinander und werden Freunde? Blödsinn – ich glaube, ich fantasiere. Aber irgendwie so könnte es funktionieren. Wieder einmal so eine nicht ausgereifte Idee, von denen ich ja ständig unzählige ausbrüte. Aber dieses Thema kann ich in meiner Bruderschaft der Alkoholiker nicht vorbringen. Die würden alle gerne dort einziehen, damit wäre mein Wunsch jetzt schon Schall und Rauch. Ich komme wieder, lieber Hofrat, sage ich halblaut und trete den Rückzug an.

      Ich wäre jetzt gerne zu Sonjas Kiosk gegangen, doch meine Barschaft ist bereits verbraucht und anpumpen will ich sie auf keinen Fall. Ich verschiebe den Besuch auf morgen, wenn der Geldbeutel wieder voll ist. Erreicht habe ich heute gar nichts, eigentlich kein guter Tag. Keine neue Bleibe, keine Sonja und zwei leere Taschen. Jetzt kommt mir wieder der Lottoschein zwischen die Finger, auch den habe wieder vergessen. Ich kehre in meine Miniwohnung zurück – dunkel und kalt, aber um einigess besser, als neben Eimer oder dem Bladen zu liegen, zu frieren und sich den Regen, den der Wind durch alle Ritzen treibt, ständig aus dem Gesicht wischen zu müssen.

      Kapitel 4

      Zahltag, ein erhebendes Gefühl, wir alle stehen in einer Reihe und warten auf den Geldsegen. Das heißt, die mageren Tage sind vorbei, für kurze Zeit zumindest. Ich bin der Letzte in unserer Gruppe, der die heißersehnten Scheine zählt und dann in die Tasche steckt.

      Heute beginnen wir unsere Aufwärmrunde am Schillerpark. Der Kiosk ist renoviert worden und bietet auch einen Unterstand, sodass wir bei Regen nicht auch außen nass werden. Karli, der Betreiber, hat das Geschäft von seinem Vater übernommen. Seine Statur ist furchterregend, eine Hüne von einem Mann, ergo auch ein ruhiger und sicherer Trinkplatz. Kaum haben wir den ersten Zug aus der Flasche gemacht, ist es der Kanzler, der das Maul aufreißt und mit einem Vortrag beginnt, der so entbehrlich ist, wie ein eingewachsener Zehennagel.

      Eimer legte seinen Arm freundlich um den Redner und fragt den Besserwisser: „Kanzler, wen glaubst du interessiert dein Vortrag?“

      Der Angesprochene schaut irritiert, wirkt etwas beleidigt, und erwidert: „Wenn ihr euch nicht weiterbilden wollt, na gut, dann werde ich eben schweigen.“ Vielleicht aus Protest trinkt er sein Bier in einem Zug aus und ordert ein neues. Wir alle lachen darüber und tun es ihm gleich.

      Ein Neuer gesellt sich zu uns, auch so ein Besserwisser. Wir haben doch schon einen, denke ich. Er möchte eine Einstandsrunde zahlen, wir alle sind eingeladen. Natürlich lehnen wir nicht ab, obwohl mir bereits klar ist, der wird sich nicht lange halten. Blödsinn reden, okay. Auch Spaß machen ist akzeptiert, aber nur angeben, zeigen wollen, wie gut man ist und was man alles drauf hat, das geht gar nicht.

      Der Blade nimmt sich ihn gleich zur Brust: „Sag, was macht dich denn so sicher, dass du so dick aufträgst? Du musst ja einen IQ haben, der durch die Decke geht, durch die Schädeldecke meine ich. Ich glaube viel mehr, und da werden mir meine Freunde recht geben, dass deine Gehirnzellen schneller davonschwimmen als sie nachwachsen. Saufen ist ja soweit in Ordnung, aber man muss es auch vertragen. Bei dir wurde anscheinend schon zu viel Substanz weggeschwemmt. Dein Hirn stell’ ich mir wie ein ausgetrocknetes Flussbett vor. Also, danke für die Runde. Aber wende dich besser an den Verein der Großmäuler. Da wärst du besser aufgehoben!“

      So schnell können wir gar nicht schauen, ist der Angesprochene um die Ecke verschwunden. Wir brüllen vor Lachen und gratulieren unserem Bladen. Ein triftiger Grund, die nächste Runde Bier zu bestellen.

      Homo ist nun an der Reihe, uns eine Episode zu schildern, als er noch als Friseur tätig war und die seinen Vater, den Besitzer dieses Salons, betraf.

      Automatisch musste ich an meinen Vater denken, den ich sehr mochte und der mich eigentlich immer als Freund behandelt hat. Sein Ausspruch „Du musst dir das Leben holen, Alfred“, klingt mir heute noch in die Ohren. Damals habe ich den Sinn noch nicht verstanden, aber im Nachhinein betrachtet hat mein Vater mit beiden Händen zugegriffen.

      In der Grundschule wurden wir aufgefordert, über die Berufe unserer Väter zu erzählen. Ich hatte damals keine Ahnung, welcher Tätigkeit mein Vater nachging. Eines Tages, nachdem ich ihn gefragt hatte, klärte er mich auf: „Weißt du, Alfred, ich bin so etwas ähnliches wie ein Brückenbauer.“ Voller Stolz erzählte ich das in meiner Klasse und alle beneideten mich um den seltenen Beruf meines Vaters. Später, in der Realschule, erfuhr ich aus Zufall, was seine wirkliche Profession war: er verdingte sich als Waffenhändler. Und ich konnte beim besten Willen keinen Anknüpfungspunkt zwischen Brückenbauer und Waffenhändler herstellen. Er war viel und oft unterwegs, hatte auf der ganzen Welt seine Geschäfte gemacht, viel Geld verdient, aber gleichzeitig auch viel ausgegeben. Dass der Job gefährlich war, bestätigt sein plötzlicher Tod in Somalia – unter einer Brücke. Hier scheint sich offensichtlich der Kreis zu schließen.

      Die Freunde lauschen gespannt meiner Erzählung über das Leben meines Vaters. Der Kanzler will wissen, wie mein Verhältnis zu meiner Mutter war. Eigentlich möchte ich über meine Familie nicht allzu viel erzählen, aber jetzt muss ich wohl oder übel fortfahren. Ich nehme einen kräftigen Zug aus der Flasche, dann beginne ich mit einem sehr schwierigen Kapitel.

      „Meine Mutter ist ganz und gar im Glauben und der Religion aufgegangen. Es gab keine Diskus­sion oder Gespräch, in dem nicht am Anfang oder Ende ein Bibelspruch kam. Mutter hat sozusagen eine Zwischenebene eingezogen und sich fast gänzlich vom täglichen, profanen Leben zurückgezogen. Dadurch glaubte sie, dem Himmel ein Stück näher zu sein. Immer waren der „Herr“ und die „heilige Gottesmutter“ zugegen. Wir waren praktisch immer zu fünft. Glücklicherweise waren nur drei Gedecke am Tisch, aber sonst schwebte jede Art von Heiligkeit durch unsere Räume. Ich konnte damit nichts anfangen und dis­tanzierte mich mehr und mehr. Fragt nicht, wie es Vater erging. Der hatte natürlich die Möglichkeit, so oft wie möglich abzuhauen, sich hinter seinen Geschäftsessen zu verstecken. Natürlich hatte er seine Freundinnen – und er genoss es, das könnt ihr mir glauben. Mit so einer Frau wie Mutter es war, gab es keinen Sex, mit der einzigen Ausnahme, als ich gezeugt wurde. Wahrscheinlich wurden Vater die Augen verbunden